Gelsenkirchen. Eine junge Frau wurde im Alter von zwölf Jahren zum ersten Mal sexuell missbraucht. Vom Patenonkel, einem guten Freund ihrer Eltern. Zwei Jahre lang ging das so. Jahre, die die heute 22-Jährige verändert haben. Mit 14 war sie suizidgefährdet, flüchtete sich zu einer Freundin ...

Der Patenonkel war ein sehr guter Freund ihrer Eltern – und wurde zum Täter. „Es gab Situationen, da waren meine Eltern in der Küche und er sagte: ,Ich schau mal, was Sherin macht’. Oder er meinte, er könne mir vielleicht bei den Hausaufgaben helfen.“ Oder gemeinsam mit ihr einen Film anschauen oder mit ihr ins Kino gehen ... Am schlimmsten war es, wenn er vorschlug, das Mädchen könne mal bei seiner Familie übernachten.

Sherin Cirnigliaro war zwölf Jahre alt, als es anfing. Als der Onkel sie zum ersten Mal sexuell missbrauchte. Und sie schwieg. Aus Angst. „Wenn du irgendwas sagst, wirst du schon sehen, was deiner Mutter passiert.“ Mit diesen und ähnlich diffusen Drohungen schüchterte er das Mädchen regelmäßig ein.

Und vergriff sich weiter an ihr. Sherin veränderte sich – radikal. „Ich bekam Asthma, ich wurde aggressiv. In der Schule wurde ich immer schlechter.“ Und sie war schließlich sogar suizidgefährdet.

Mit 14 ist sie von Zuhause abgehauen. Zu einer Freundin, der sie sich inzwischen anvertraut hatte. „Ich habe mich damals geschämt, ich habe mich dreckig gefühlt“, sagt Sherin Cirnigliaro, heute 22 Jahre alt, verheiratet und Muter einer kleinen Tochter.

Freundin sprach mit Sherins Mutter

Die Freundin, zu der sie vor acht Jahren geflüchtet ist, hat den wohl entscheidenden Schritt gemacht: „Sie hat alles meiner Mutter erzählt.“ Als sie anschließend wieder nach Hause gekommen sei, habe sie sich elend gefühlt. „Weil ich wusste: Jeder weiß es.“ Die damals 14-Jährige hat sich eingeigelt. „Ich war sehr verschlossen. Meine Mutter hat mir geglaubt und gesagt: ,Wenn du reden möchtest, ich bin für dich da’.“ Später ist sie mit ihrer Mutter zum Kinderschutzbund gegangen, wo man den Frauen geraten hat, den Mann anzuzeigen. Sie taten es – aber: Freispruch! „Er hatte es auch bei anderen versucht, aber die wollten nicht aussagen.“ Die junge Frau lächelt tapfer, zuckt mit den Schultern.

Betroffene sollen einen geschützten Ort zum Reden haben

Sherin war zwei Jahre in psychologischer Behandlung, hat die Schule weiter besucht. Und vor vier Jahren den jungen Mann kennen gelernt, mit dem sie heute verheiratet ist. Alessio kennt ihre Leidensgeschichte. Und erzählt: „Wenn im Fernsehen irgend etwas über das Thema Missbrauch kommt und meine Frau, die bis dahin gut drauf war, das hört, verändert sie sich und wird nachdenklich.“ Die 22-Jährige nickt bestätigend.

Sie fühlt sich heute stark genug, anderen Opfern zu helfen und gründet eine Selbsthilfegruppe. „Ich möchte, dass die Menschen reden und sich nicht allein gelassen fühlen, damit es ihnen besser geht.“

In der Gruppe gemeinsam stark werden

Die Selbsthilfe-Kontaktstelle beim Paritätischen Wohlfahrtsverband leistet bei der Gründung der Selbsthilfegruppe für Betroffene und Angehörige Starthilfe. Die beiden Diplom-Sozialpädagoginnen Ute Rosenthal und Christa Augustin-Sayin begleiten auch die ersten Treffen der neuen Gruppe. Das Motto der Gruppe, das auch auf den Flyern steht: „Stärker durchs Leben nach Missbrauch“.

Erklärte Ziele der Initiatorin Sherin Cirnigliaro für sich und andere Betroffene: Gemeinsam stark werden, Reden ohne Schamgefühl, Lernen „Nein!“ zu sagen, das Erlebte gemeinsam aufarbeiten, lernen, das Leben wieder zu lieben. „Unter Betroffenen ist das etwas anderes, wenn jemand sagt: ;Ich versteh dich’,“ sagt die 22-Jährige. Und setzt nach: „Ich würde mich freuen, wenn Betroffene den Weg in die Gruppe finden.“

Das erste Treffen findet am Donnerstag, 13. März, um 18 Uhr (bis 19.30 Uhr) im Alfred-Zingler-Haus am Margaretenhof 10 in Bismarck statt. Und ab dann immer am jedem zweiten „ungeraden“ Donnerstag am selben Ort zur selben Zeit.

Wer vorab Kontakt aufnehmen möchte, ist hier richtig: Selbsthilfe-Kontaktstelle, Dickampstraße 12, 9 13 28 10.