Gelsenkirchen. Über 30 Gelsenkirchener mit unterschiedlichen Wurzeln kandidieren für den Integrationsrat – und büffeln im Vorfeld der Wahl am 25. Mai an der Volkshochschule. Der Kurs hat Vorbildcharakter. Es gab auch schon Anregungen, solche Kurse für Deutsche anzubieten, die sich über Kommunalwahlrecht und andere politische Bereiche informieren möchten.

Es ist ein frühlingshaft anmutender Samstagvormittag. Während andere Gelsenkirchener durch die City bummeln, ihr Auto waschen oder noch schlummern, rauchen im Raum 205 der VHS die Köpfe.

Hier büffeln – ohne Übertreibung – Männer und Frauen, die sich am 25. Mai um einen der 17 Sitze im Integrationsrat (IR) bewerben. Die angehenden Kandidaten und Kandidatinnen machen sich schlau über kommunales Wahlrecht, Zusammensetzung der Gremien im Stadtrat, Aufbau der Verwaltung, Fragen zur Staatsangehörigkeit und setzen sich mit der Umsetzung von Bundes- und Landesgesetzen auseinander.

Gesetzes- und Sitzungsvorlagen gehören dazu

Das sind nur einige von vielen Feldern, die an den Gruppentischen beackert werden. Das bedeutet Gesetzes- und Sitzungsvorlagen lesen und bewerten, Verständnisfragen beantworten, diskutieren. Ergebnisse werden im Plenum vorgestellt.

Den mehrstündigen Kurs für die Integrationsratskandidaten gestalten neben anderen Brigitte Schneider als Programmbereichsleiterin politische Bildung der VHS, und Nezahat Kilinc, stellvertretende Vorsitzende des IR. Kilinc (48) verblüfft die Anwesenden mit ihrer Erfahrung. „Wir haben pro Jahr neun bis zehn Sitzungen. Hinzu kommen weitere Sitzungen und Ausschüsse, Einladungen von Schulen und Vereinen. Ich bin pro Woche damit gute 20 Stunden beschäftigt.“ Eine Frau stöhnt: „Das ist doch praktisch ein Halbtagsjob, das könnte ich nicht bewältigen.“ Nezahat Kilinc beschwichtigt: „Nein, das ist nur bei mir so. Die Vorsitzenden haben viel mehr zu tun. Es ist aber richtig, sich vor Augen zu führen, dass die Arbeit Energie und Zeit erfordert.“

Mehr junge Menschen kandidieren

Nezahat Kilinc rät daher: Sich lieber auf einen bestimmten Bereich konzentrieren und mit anderen IR-Mitgliedern absprechen, welche Aufgaben man untereinander aufteilen kann. Kilinc selbst wird bekanntlich nicht mehr für den IR kandidieren, sondern für den Rat.

Unter den Zuhörern: Mustafa Cetinkaya (52), seit November Integrationsbeauftragter der Stadt. Der Diplom-Geograf: „Der Kurs ist in der Form ein komplettes Novum.“ Auch VHS-Leiter Michael Salisch (57) ist auf den Ansturm der Kandidaten auf den Vorbereitungskursus für den IR sichtlich stolz und bestätigt zwei Eindrücke. „Stimmt, es gab auch schon Anregungen, solche Kurse auch für Deutsche durchzuführen, die sich über Kommunalwahlrecht und andere politische Bereiche informieren möchten. Und es ist erkennbar, dass mehr junge Menschen kandidieren, vor allem junge Frauen.“

Fragen nach Themen wie Zuwanderung und NSU

Die Atmosphäre bei den Kandidaten ist locker und freundlich, die Fragen verraten durchaus tiefer gehendes Interesse. „War die NSU ein Thema im Integrationsrat“, will ein Mann wissen. Nezahat Kilinc nickt: „Darüber wurde viel gesprochen.“ Auch die Zuwanderung aus Südosteuropa sei ein Thema.

Mit der Arbeit im Integrationsrat verdient man kein Geld. Es ist ein zeitaufwendiges Ehrenamt, für das sich über 30 Gelsenkirchener mit türkischen, spanischen, rumänischen, syrischen, griechischen, libanesischen, marokkanischen oder US-amerikanischen Wurzeln bewerben. Der Vorbereitungskurs in der Volkshochschule Gelsenkirchen hat übrigens Vorbildcharakter und wird durch Landesmittel mitfinanziert.

Junge Kandidatin liebt ihre Heimatstadt Gelsenkirchen

Filiz Gültekin (23) gehört zu den jüngsten Bewerberinnen, die bei der Wahl am 25. Mai antreten. „Ich liebe Gelsenkirchen. Hier bin ich geboren, hier möchte ich etwas bewegen“, lautet ihre Antwort auf die Frage, warum sie sich zur Wahl stellt. Gültekin tritt zum ersten Mal an. Sie gehört keiner politischen Partei an, möchte „vor allem junge Menschen – besonders junge Frauen – dazu motivieren, sich zu engagieren und ihre Lage in der Stadt zu verbessern“. Die 23-Jährige studiert in Essen Deutsch und Sozialwissenschaften auf Lehramt. Ihr Abitur hat sie am Grillo-Gymnasium gemacht. Filiz’ Mutter, von Beruf Altenpflegerin, kam im Alter von drei Jahren nach Gelsenkirchen, ihr Vater, ein Arbeiter, als junger Erwachsener. Sie hat zwei jüngere Brüder, von denen der 21-Jährige auch studiert. In ihrer Freizeit liest Gültekin, sie mag Kino und Reisen.

Bewerber ist bekennender Schalke-Fan

Antonio Rodriguez (54) bewirbt sich zum zweiten Mal um einen Sitz im IR. „2010 haben

wir mit unserer Gruppe ,Spanish Sociedat del Emigrante Espagnol’ leider nicht genügend Stimmen bekommen.“ Entmutigt hat ihn das nicht, im Gegenteil: Der gelernte Werkzeugmacher hält es für wichtig, sich noch intensiver zu engagieren. „Besonders die Lage Jugendlicher, ihre Chancen auf Beruf und Ausbildung, muss besser werden. Wir müssen junge Menschen von der Straße holen.“ Nach seiner Meinung bekommen junge Leute, vor allem mit Migrationshintergrund, in GE immer noch zu wenig Aufmerksamkeit. Der 54-jährige Spanier ist geschieden und hat zwei Kinder. 1970 kam er nach Deutschland, seit 1971 lebt er in Gelsenkirchen, fühlt sich hier zu Hause. Rodriguez interessiert sich für Fotografie und Fußball. „Ich bin natürlich Schalke-Fan!“