Gelsenkirchen. Die Kinder und Schwiegerkinder, die Enkel und Urenkel werden heute pünktlich um 10 Uhr auf der Matte stehen, denn dann feiert Bernhardine Wedwing im Seniorenheim an der Fürstinnenstraße ihren 100. Geburtstag.

Und diese Frau soll heute 100 werden? Man glaubt es nicht. Topfit und quietschvergnügt sitzt sie in ihrem Sessel am Fenster und freut sich diebisch, als echtes Christkind heute ihren Geburtstag ganz groß im städtischen Seniorenheim an der Fürstinnenstraße zu feiern.

„Was wollen sie denn wissen?“, fragt Bernhardine Wedwing, um gleich hinzuzufügen: „Intime Fragen beantworte ich nicht.“ Ist es zu intim, wenn die WAZ Tipps für ein so langes Leben möchte? „Nein“ befindet die Seniorin und zählt auf: „Schön brav leben. Arbeiten, aber nicht zu viel. Und kein Sport!“ Zwar ist die Seniorin Schalke-Fan und Fan von Adler Feldmark, aber den aktiven Sport habe sie immer gemieden. Auch wenn sie mit ihren 100 Jahren noch erstaunlich beweglich ist. In ihrem Sessel sitzend, schmeißt sie die Beine hoch in die Luft: „Eine steife Krücke bin ich nicht.“

Seit zwei Jahren lebt Bernhardine Wedwing in dem Seniorenheim. Bis dahin war sie 98 Jahre lang ganz in der Nähe am Schillerplatz 11, im 2. Stock, zu Hause. Geboren wurde sie in der Wohnung, hat als Kind hier gelebt und später mit ihrem Ehemann und den drei Kindern. 1945 hat sie geheiratet. Ihr Mann war gelernter Goldschmied, hat später bei Gelsenwasser gearbeitet. Ein Foto des längst Verstorbenen steht auf dem kleinen Tischchen neben ihrem Sessel.

Das Alter fordert seinen Tribut

Am Ende forderte das Alter seinen Tribut. Nach einem Sturz konnte Bernhardine Wedwing, inzwischen stark sehbehindert, nicht mehr alleine in der Fünf-Zimmer-Wohnung bleiben mit der Toilette ein Stockwerk tiefer.

„Es ist schön hier“, lobt die alte Dame ihr neues Zuhause. Direkt vor ihrem Fenster gibt es einen großen alten Baum – genau so wie der vor ihrer früheren Wohnung. Nachmittags wird ihr der geliebte Eierlikör serviert, abends gibt es immer heißen Kakao und oft das Lieblingsgericht Milchreis mit Zimt und Zucker. Und schließlich hat Bernhardine Wedwing im hohen Alter von 98 Jahren noch eine Freundin gefunden, die Frau Nienhaus von nebenan. Älter als sie in der großen Seniorenwohngemeinschaft an der Fürstinnenstraße ist nur der Nachbar zur Linken, der ist schon 104 Jahre alt. Liebevoll umtüdelt und täglich besucht wird die Jubilarin von Sohn Fred und Schwiegertochter Angelika Wedwing, Tochter Ursula und Schwiegersohn Wolfgang Lakatsch.

„Meckern“, das ist nicht das Ding von Bernhardine Wedwing. „Wie Du kommst gegangen, so wirst Du auch empfangen“, zitiert sie eine alte Lebensweisheit. Die Schwestern schätzen die verschmitzte alte Dame und ihre Scherze. Wie neulich, als die Spülmaschine kaputt war und die Senorin die Hilfe beim Abwasch verweigerte mit den Worten „Diese kleinen Hände sind nicht fürs Arbeiten gemacht. . .“

Schwester Cilli (93) kommt auch

Dabei hat Bernhardine Wedwing Zeit ihres Lebens viel gearbeitet, die drei Kinder groß gezogen und dazu als Schneidermeisterin gearbeitet. Sie hat die Handarbeitsschule besucht, davor die Schillerschule um die Ecke. Aus der Zeit ist ihr noch das Gedicht „Die alte Waschfrau“ von Adalbert von Chamisso im Kopf, jeden einzelnen der 48 Verse (!) kann sie rezitieren.

An ihrem Ehrentag heute dürfen andere Gedichte sagen und Geburtstagsständchen bringen. Neben den Kindern und Schwiegerkindern kommen auch Mitbewohner aus dem Haus, die drei Enkel und zwei Urenkel, Nichten und Neffen und vor allem Schwester Cilli, mit 93 Jahren die letzte der vielen Geschwister.