Gelsenkirchen. . Da hat man uns einen Floh ins Ohr gesetzt. Ein Flohzirkus! Mit echten Flöhen! Die goldene Halsbänder tragen und Namen wie „Aladin“ oder „Resi“. Dressiert von einem Direktor – und der heißt auch noch Flo. Der Zirkus gastiert noch bis zum 7. Juli in Gelsenkirchen.
Sie haben es wirklich drangeschrieben, vorn an den hölzernen, historischen Kirmeswagen: „Lebendige Flöhe! Unglaublich!“ Aber wahr. Sie rufen jetzt nämlich „Hereinspaziert!“, und wer drinnen spaziert unter Applaus und aufgerissenen Augen, ist August. August vom Unterstamm der Tracheentiere aus der Überklasse der Sechsfüßler, hinter der pampelmusengroßen Lupe eindeutig zu erkennen als: Ctenocephalides felis. Katzenfloh! Ein Parasit, sagen die Menschen, bevor sie hier Publikum werden, ein Artist, sagt der Zirkusdirektor: „Der stärkste Floh der Welt!“ Der zieht im Drahtgeschirr ein ganzes, wenn auch winziges Karussell und ist mit dieser Nummer die Attraktion in Europas letztem echten Flohzirkus, der derzeit in Gelsenkirchen gastiert. „Die Leute denken“, weiß Flo, der mit vollem Namen Florian Kalb heißt, „wir werden jetzt verarscht. Und dann sehen sie: Der hat ja echte Flöhe, der Wahnsinnige!“
„In so ‘nen Floh geht gar nicht viel rein.“
Nun. Man möchte für ihn hoffen, er hat sie nicht selbst; schon bei dem Wort „Flohzirkus“ allein hören viele die Flöhe nicht nur husten. Noch mehr Wahrheit aber ist: Der Chef muss bluten für sein Geschäft. „Die Artisten“, sagt er, „wollen alle versorgt werden.“ Jeden Morgen kommen die bis zu 80 Flöhe zum Frühstück und abends zum Abendmahl, er nimmt sie dazu auf den Arm. Da sitzen sie in Reih’ und Glied und nuckeln, dass des Direktors Lebenssaft durch ihre kleinen Körper pulst, und seine ganze Gelassenheit erklärt er so: „In so ‘nen Floh geht gar nicht viel rein.“ Wenn er die Viecher in Ruhe speisen lässt, pro Parasit bis zu einer Stunde, hinterlassen sie nicht einmal juckende Quaddeln. Nun ist Herr Kalb zwar keine Katze, was der Katzenfloh auf die Dauer nicht goutiert – aber der Hunger treibt’s rein.
Das muss er auch, denn das Zirkusleben ist ein hartes, wie man weiß. Für den Floh zumal: August ist ja nicht ohne Grund der Starke, der könnte, wenn er Mensch wäre, aus dem Stand über den Kölner Dom springen. Oder in sieben Hüpfern um die Welt. Im Flohzirkus, auf einer sehr kleinen, sehr bunten Bühne, der man ihre 40 Jahre auf charmante Weise ansieht, zieht er sein Karussell, das ein Vieltausendfaches seines eigenen Körpergewichtes wiegt. Fridolin indes dreht eine Scheibe, Sissi, Rudi, Aladin und Cäsar ziehen goldene Kutschen und Angie eine mit Deutschlandfahne. Resi, Rosi und die Wilde Hilde tanzen unter Petticoats aus glitzernder Folie, und Theodor, der schießt den Ball ins Tor.
Das geht, weil sie alle leben in ihrem Arbeitsgerät: einmal eingefädelt von den feinmotorischen Fingern des Zirkus-Eigentümers Robert Birk (der einst als Spediteur eher große Brummer betreute), verbringen sie den Rest ihres kurzen Daseins gewissermaßen verdrahtet. Luft müssen sie noch kriegen, aber zu locker darf das metallene Halsbändchen auch nicht sein: „Dann springen sie und sind weg“, sagt Florian Kalb. Er findet sie meist wieder zwischen seinen Kissen, sie kommen des Nachts und beißen – als Betthupferl aber mag selbst er seine Tiere nicht. Normalerweise schlafen die in hölzernen Kistchen, auf denen „Floh-Garage“ steht oder „Psst, Flöhe schlafen“.
Das tun sie am liebsten, der Floh an sich ist faul. „Der will nur zwei Dinge. Essen und schlafen.“ Und so funktioniert er auch: Fremdes Blut gibt ihm die Kraft, mit aller Macht zurückzustreben in die Dunkelheit. Anpusten zum Wecken, anwärmen zwischen zwei Fingern, und schon läuft er. „Je nachdem, wie zappelig er ist“, fördert der Dompteur sein Talent. Er dressiert sie! Sagt er jedenfalls: „Jeder Floh kann nur eine Sache lernen.“ Zappelt er hinten oder auch mittig mehr als vorn, wird er Fußballer, hat er die Power im Vorderbein, spannen sie ihn vor den Fiaker, von Goldschmieden in, ja, Kleinarbeit gefertigt. „Ist wie beim Auto“, erklärt Direktor Flo ernsthaft, „Vorderantrieb ist besser als Hinterantrieb.“
„Ich weiß ja nicht, wie alt der Floh ist,wenn er von der Katze kommt“
Nun ist der Mann ein Kirmeskind, „da gibt’s für Eltern nur zwei Möglichkeiten: Man setzt es in den Flohzirkus oder ins Kasperltheater.“ Flo saß bei den Flöhen, und so ist es wohl gekommen, dass er heute, mit 29 Jahren, durch Bayern streift und streunende Katzen fängt, um ihnen die Parasiten aus dem Fell zu bürsten. „Man muss den Floh erstmal fangen, wenn ich Glück hab’, hab’ ich drei bis vier.“ Und dann hofft er, dass sie arbeitsfähig sind: „Ich weiß ja nicht, wie alt der Floh ist, wenn er von der Katze kommt. Die haben keinen Ausweis dabei.“ Lebender Floh ist man im Schnitt für ein Jahr, möglich also, dass einer von der Katze in die Kiste umzieht und diese alsbald als Sarg gebraucht. „Es gibt Flöhe, die halten weniger als drei Monate. Berufsrisiko.“
So lange sie fit sind, schaffen sie mehrere Vorstellungen am Tag, der Direktor hat „mehrere Garnituren“, aber der vorm Tor ist immer Theodor und der am Karussell immer August. Wobei, eigentlich Auguste: Die Weibchen sind dreimal so groß wie die Männchen und also besser zu sehen – aber immer noch nur millimeterklein. Schon deshalb kommen die Zuschauer der Manege von selbst ganz nah; kneifen die Augen zusammen, lassen die Lupe kreisen und staunen, wie sonst nur noch selten. Man sehe daran, sagt Pascal Raviol, der in Gelsenkirchen gerade einen ganzen nostalgischen Jahrmarkt organisiert: „Es muss nicht höher, schneller, lauter – es geht auch ganz klein.“
Und wahrscheinlich ist es das, was die Menschen schon vor über 150 Jahren in den Flohzirkus gelockt hat und was auf den Jahrmärkten bis heute funktioniert: die Neugier auf etwas, das eigentlich keiner glauben kann.
Der Flohzirkus im Nostalgischen Vergnügungspark gastiert noch bis Sonntag, 7. Juli 2013, auf dem Hof Holz in Gelsenkirchen an der A 2, Braukämperstraße 80.
Eintritt: Kinder 2 Euro, Erwachsene 4 Euro.