Gelsenkirchen.
Lohndumping im Friseurhandwerk war lange Zeit mehr die Regel denn die Ausnahme. Jetzt soll sich das ändern. In der Friseurbranche wird es ab August 2015 einen bundesweit einheitlichen Mindestlohn von 8,50 Euro geben. Darauf haben sich die Landesverbände und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi geeinigt. Aber: Die Preise sind oftmals zu niedrig, um Mitarbeiter anständig zu bezahlen. Prognose: Viele Salons werden den Mindestlohn nicht überleben.
Innung erwartet Marktbereinigung
Auch Holger Augustin, Innungsobermeister in Gelsenkirchen, rechnet mit einer größeren Marktbereinigung: „Ich möchte niemanden unter Generalverdacht stellen, der einen Haarschnitt zu einem Preis von unter zehn Euro anbietet, aber ebenso wie wir geht auch Verdi davon aus, dass eine ganze Reihe von Anbietern das Handtuch schmeißen werden.“ Des Weiteren sieht Holger Augustin die Kontrollbehörden nun noch mehr „in der Pflicht, künftig Betriebe mit Dumpinglöhnen aufzudecken.“
Billigfriseure behaupten sich am Markt oftmals nur wegen ihrer hohen Kundenzahl, akkordähnlicher Arbeitsabläufen und sehr niedrigen Löhnen. Gut möglich, dass auch in Gelsenkirchen einige Scherenwerker vor dem Aus stehen, immerhin scheint die Dichte an Friseuren stadtweit sehr hoch zu sein: „Es gibt hier gut 300 Friseurbetriebe, davon gehören 200 zum Billigsegment“, sagt der Obermeister.
Reaktionen sehr unterschiedlich
Die Reaktionen Gelsenkirchener Friseure in der Gelsenkirchener Innenstadt fallen unterschiedlich aus – es gibt Befürworter und Skeptiker, diese in der Mehrzahl bei sehr preiswerten Anbietern.
Hatice Tepe („Haargenau“) etwa zählt zur ersten Kategorie. Das Innungsmitglied sagt: „Die Entscheidung ist richtig, weil Friseure oft ausgebeutet werden. Sobald der einheitliche Mindestlohn kommt, zahle ich den auch. Derzeit liege ich noch knapp darunter.“ Dem schließt sich Aydan Bartosch von „Kammhair“ an: „Wir werden dabei sein, zahlen jetzt schon den Mindestlohn für NRW.“ Beide sagen aber auch, dass gutes Geld für gute Arbeit unweigerlich zu einer Verteuerung des Angebots führen werden. Dagegen bereitet Isuf Brahimi (Albi) der Mindestlohn große Sorge: „An sich ist das eine gute Sache, ich könnte mir das aber nicht leisten. Schon jetzt bin ich mein eigener Chef. Bei der Konkurrenz drumherum und dem drastischen Preisverfall für einen Haarschnitt wäre das mein Aus.“ Ähnlich drastisch sieht es Esat Ajeti (Alanya): „Eigentlich begrüße ich einen fairen Lohn, aber die Realität sieht doch ganz anders aus. Höhere Preise wären tödlich fürs Geschäft.“
Einführung in Stufen
Der flächendeckende Mindestlohn soll von August 2013 an in drei Stufen eingeführt werden. Der Osten startet zum 1. August mit 6,50 Euro Stundenlohn, der Westen mit 7,50 Euro. Ein Jahr später steigen die Mindestlöhne auf 7,50 und acht Euro, bevor die Lohnuntergrenze ab August 2015 in Ost und West einheitlich 8,50 Euro betragen wird.
In den kommenden Monaten soll außerdem beim Bundesarbeitsministerium ein so genannter Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrages gestellt werden. Damit würde der ausgehandelte Vertrag nicht nur für die Mitarbeiter in Innungsbetrieben gelten, die auch Gewerkschaftsmitglieder sind, sondern für alle Friseure. Der Mindestlohn, so hofft die Branche, soll die Attraktivität des früher beliebten Handwerks wieder fördern. Denn: Bei einem Tarifstundenlohn von bisher 3,05 Euro müsste eine ausgelernte Friseurgesellin in Brandenburg 160 Jahre lang 39 Stunden pro Woche arbeiten, um auf eine Rente in Höhe der Grundsicherung von knapp 700 Euro zu kommen.
Und: Die Zahl der Lehrlinge ging 2010 um zehn Prozent, 2011 um 12,3 Prozent und im vergangenen Jahr nochmals um 4,3 Prozent zurück. Bundesweit gibt es mehr als 80.000 Friseurbetriebe.