Gelsenkirchen. Das Jugend-Musikorchester des MiR in Gelsenkirchen spielt “Der Kaiser von Atlantis“. Komponist Viktor Ullmann schrieb die Kurzoper in Theresienstadt.

Kunst kennt keine Furcht, auch nicht vor Tyrannei und Tod. Die Triebfeder, Dinge beim Namen zu nennen oder kunstvoll verfremdet aufklärerisch zu wirken, ist stärker als jedes Korsett, in das man sie gewaltsam zwingen will – letztendlich wird sie es sprengen. Jetzt widmet sich das Musiktheater im Revier (MiR) einem der zentralen Werke aus dem Entstehungskontext der „Entarteten Musik“ in Nazi-Deutschland – Viktor Ullmanns „Der Kaiser von Atlantis“. Premiere feiert der Einakter am Sonntag, 7. April, um 18 Uhr (Kleines Haus).

Was in dem Zusammenhang besondere Erwähnung (und Lob) verdient ist, dass das schwere Sujet auf Initiative des MiR-Jugend-Orchesters Einzug in den Spielplan gefunden hat – zeigt es doch, dass die Aufarbeitung dieser schändlichen Episode unserer Geschichte, die Thematisierung von Folter und Diktatur, nicht spurlos an der „Generation Internet“ vorbeigeht.

Auf jeden Despoten übertragbar

„Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit ist allgegenwärtig“, berichtet Dirk Erdelkamp, musikalischer Leiter des Jugend-Ensembles. „Selbst in den Probenpausen wird noch heftig diskutiert.“ Ein Umstand, den Carsten Kirchmeier, der das Stück inszeniert, nur zu gern aufgreift. Hinweise auf „das damalige Leben im Ghetto“ sind daher ebenso zu finden wie Verweise darauf, dass die Kurzoper „auf jeden Despoten“ übertragbar ist – losgelöst von der Zeit.

Die Handlung spielt im sagenhaften Atlantis. Kaiser Overall verkündet den totalen Krieg aller gegen alle. Der Tod fühlt sich dadurch entehrt und verweigert fortan jeden Dienst: Die Menschen können nicht mehr sterben. Zum Tode Verurteilte bleiben nach ihrer Hinrichtung am Leben, ebenso die Soldaten auf den Schlachtfeldern. Erst als Overall auf die Bedingung des Todes eingeht, mit seinem eigenen Sterben den natürlichen Zustand wieder in sein Recht zu setzen, gibt der Tod seine Verweigerung auf.

Stück entstand in Theresienstadt

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Hintergrund: Der tschechische Komponist Viktor Ullmann, 1942 nach Theresienstadt deportiert, wurde dort zu einem der Protagonisten der vielfältigen kulturellen Aktivitäten, die groteskerweise in diesem Konzentrationslager der Nazi-Schergen möglich waren – zu Propagandazwecken. Hier schrieb Ullmann „Der Kaiser von Atlantis” auf ein Libretto von Peter František Kien, einem Maler und Schriftsteller, der ebenfalls dorthin deportiert worden war. Das Stück wurde dort sogar geprobt, aber nicht mehr aufgeführt. Im Oktober 1944 wurden Ullmann, Kien und die vielen Musiker nach Auschwitz deportiert. Ullmann wurde zwei Tage später in der Gaskammer ermordet.

Das Stück ist daher nicht nur wegen seines recht hohen musikalischen Anspruchs eine handwerkliche Herausforderung für die jungen Musiker (12-24 Jahre), sondern eine ebenso berührende für jeden historisch-politisch Interessierten.