Gelsenkirchen. Gerhard Majer hat mit dem Wasserschloss Chenonceau sein zwölftes Werk vollendet. 1994 machte er mit dem Wasserschloss Herten den Anfang. Viele Originale hat er gar nicht gesehen.

Gerhard Majer ist ein ungewöhnlicher Schlossherr. Wer bearbeitet seine historischen Mauern, verschnörkelten Fenster und dicken Wände schon mit dem Skalpell? In liebevoller Detailarbeit macht sich der 73-Jährige ans filigrane Werk und baut bedeutende Burgen und Schlösser nach. Mit seinem neusten Kunstobjekt dokumentiert der kreative Tüftler aus der Resser Mark die Schönheit der Schlosslandschaft entlang des Loiretals. Im Maßstab 1:87 entsteht das Wasserschloss Chenonceau auf dem Dachboden seiner Wohnung.

Unterschiedliche Besitzer hüten heute die Burgen und Schlösser, die der Gelsenkirchener Meisterkonstrukteur einst schuf. 12 sind es bis heute geworden und allesamt haben sie den gleichen Geburtsort: den heimischen Dachboden. 1994 hat Gerhard Majer mit dem Schloss Herten sein erstes Modell geschaffen. Nach dem Wasserschloss entstanden in der Gelsenkirchener Schlossschmiede unter anderem auch die Wartburg, die Nürnberger Stadtburg, Burg Elz, Hohenzollern oder Meersburg. Mit einer Länge von drei Metern war die Nürnberger Stadtburg sein größtes Produkt. Vom Schloss Neuschwanstein war ein libanesischer Sammler besonders angetan. Er stellte den Nachbau in seiner Heimat auf.

Alle Details berechnen

Dabei hat der 73-Jährige viele Originalschlösser gar nicht zu Gesicht bekommen. Angaben im Internet, Zeichnungen und Fotos dienen als Vorlagen. Systematisch sortiert, von jedem Winkel aus fotografiert, sind die Bilddokumente an der Decke aufgereiht. Um den Maßstab 1:87 auch bis ins letzte Detail einzuhalten, muss sich der Modellbauer auch auf seine Rechenkünste verlassen. Denn auch die dritte Dimension muss ja im richtigen Verhältnis dem Original entsprechen.

Letzte Hand an legt der Gelsenkirchener Modellbauer an sein neustes Werk.
Letzte Hand an legt der Gelsenkirchener Modellbauer an sein neustes Werk. © WAZ FotoPool

Beim Modelllieferanten Heki ist der Gelsenkirchener ein gern gesehener Konstrukteur. Der 73-Jährige kooperiert schon seit Jahren mit dem Unternehmen: „Die schicken mir das Material und ich baue die Burgen.“ Spaß und Ehrgeiz treiben den gelernten Metallformer an, immer wieder ein neues Werk zu modellieren. „Es ist ein schönes Gefühl, wenn man zeigen kann, was mit Geschick machbar ist und sich Original und Nachbau nicht unterscheiden.“

Mehr auf dem Dachboden als in der Wohnung

Man muss schon von einer gewaltigen Portion Idealismus angetrieben sein, um das schweißtreibende Hobby zu pflegen. Über 1000 Stunden schnitt, klebte und formte der Schlossherr im letzten Jahr an seinem Modell. „Ich war mehr auf dem Dachboden als in der Wohnung.“

Mit Kunststoff stabilisiert er das Grundmaterial aus Styrodur. Um die Türmchen und Erker wie im Original in eine runde Form zu bringen, rückt er den Vorlagen mit dem Fön zu Leibe. Dann wird das Material elastischer. Ein Spezialkleber sorgt schließlich für den Zusammenhalt. Ob geschwungene Brückengeländer, Stuckverkleidungen an Turmhaube und Erkern oder filigran verlaufende Balkonbrüstungen - das Modell soll Originalität und Charme des echten Schlosses wiedergeben. Selbst der Schlossgraben wirkt authentisch. Dank 5 kg Gießharz spiegeln sich Boote, Enten und Grünzeug auf der vermeintlichen Wasseroberfläche.

Täuschend echt sieht das Wasser im Schlossgraben aus, auf dem der Bootsfahrer unterwegs ist.
Täuschend echt sieht das Wasser im Schlossgraben aus, auf dem der Bootsfahrer unterwegs ist. © WAZ FotoPool

Nächstes Projekt bereits im Kopf

Seelenlos ist das Wasserschloss ohnehin nicht. Im Schlossgarten sind Radler unterwegs, ein Landwirt mäht die Wiese, ein Künstler hat seine Staffelei aufgebaut, ein Team dreht einige Filmszenen.

Wenn der 73-Jährige den Dachboden und sein Modell nicht mehr sehen kann, macht er sich zum Spaziergang auf. Am liebsten im Dunkeln durch den nahen Wald, um auf andere Gedanken zu kommen. Dabei hat er längst das nächste Projekt im Kopf. „Es könnte zum ersten Mal etwas Sakrales werden“, will der Schlossherr den Wechsel in die Kirchengeschichte nicht ausschließen. Ins gestalterische Auge gefasst hat er bereits den Wormser Dom.