Gelsenkirchen. . Sie sind eigentlich eher Auto- bzw. Radfahrerinnen. Gerade deshalb waren sie idealen Testerinnen. Doro Rudde und Brigitta Blömeke vom WAZ-Leserbeirat der Gelsenkirchener Redaktion fuhren sechs Wochen lang mit dem Ticket 1000 Probe, spendiert von der Bogestra. Sie fanden Bus- und Bahnfahren durchaus attraktiv: Aber nicht als kompletten Ersatz fürs Auto.

Umsteigen auf Bus und Bahn statt Auto und Fahrrad – lohnt sich das? Ist das eine echte Alternative zum Auto? Das kann letztlich jeder nur für sich selbst beantworten. Wie gut das Angebot von Bogestra und den anderen Nahverkehrsunternehmen im Verkehrsverbund Rhein Ruhr (VRR) wirklich ist, wo es hakt, wo es gut ist, wo es persönlich oder auch objektiv nicht passt: Das testeten jetzt für die WAZ-Lokalredaktion Gelsenkirchen die Leserbeirätinnen Doro Rudde und Brigitta Blömeke. Sechs Wochen lang nutzten sie das von der Bogestra spendierte Schnupper-Abo Ticket 1000 sooft wie möglich.

Unterm Strich waren beide eher angenehm überrascht von den Qualitäten des ÖPNV. Nachtexpress, Geschwindigkeit bei Straßenbahn-Direktverbindungen, Pünktlichkeit: Das fanden beide ausgesprochen angenehm. Doch nun zu ihrem Urteil im Detail.

Taktung

Bei den Straßenbahnen eher gut, bei den Bussen nicht immer. Dass Busse aber in Randgebieten aus Kostengründen nicht alle zehn Minuten und dann oft leer fahren können, können beide aber nachvollziehen.

Pünktlichkeit

In der Beziehung bekommen Bogestra und Vestische bei beiden eine klare Bestnote. Keine bzw. eine nennenswerte Verspätung in sechs Wochen: Da hatten die Testerinnen nichts auszusetzen.

Kundenfreundlichkeit

Beim Begleitpersonal empfanden sie diese ausgezeichnet. Diese hätten spürbar ein Deeskalationstraining absolviert, so die Testerinnen. Bei den Fahrern waren Erfahrungen gemischt. Und bei der Übersichtlichkeit der Fahrpläne sehen beide ausgesprochenen Nachbesserungsbedarf.

Nicht wirklich selbsterklärend sind die Ticketautomaten. Wer kein Nahverkehrsprofi ist, braucht da schon mal einen Moment, bevor er ans ersehnte Ticket kommt.
Nicht wirklich selbsterklärend sind die Ticketautomaten. Wer kein Nahverkehrsprofi ist, braucht da schon mal einen Moment, bevor er ans ersehnte Ticket kommt. © WAZ FotoPool

„Wenn ich nur die Adresse weiß, zu der ich will, aber keine Haltestelle in der Nähe kenne, bin ich bei der Online-Auskunft aufgeschmissen“, klagt Brigitta Blömeke. In der Tat muss ein wichtiger öffentlicher Ort in der Nähe benannt werden können, räumt der VRR diese Schwachstelle ein. Und auch die Fahrkartenautomaten erscheinen den Testerinnen nicht unbedingt selbsterklärend. Weiteres Manko: Wer eine Vierfahrtenkarte in der Straßenbahn kauft, bekommt die automatisch abgestempelt. Auf Vorrat kaufen – was für Fahrten mit der Vestischen nötig ist, da es dort in Bussen keine Viertickets zu kaufen gibt – geht also nicht.

Preissystem

Unsinnig bzw. zu teuer, lautet das Urteil. Bei den Tickets 1000 und 2000 ist die Zuzahlung bei Überschreiten der Stadtgrenze viel zu hoch (neuerdings 3 Euro je Weg, egal wie weit es über die Grenze geht). Das Monatsticket im Jahresabo rechnet sich nicht für Menschen, die länger Urlaub am Stück machen. Die Jahresersparnis wird durch das Nichtnutzen in einem Monat nivelliert. Und die Einzeltickets sind viel zu teuer. Doro Rudde etwa müsste von Resse nach Buer und zurück 4,80 Euro zahlen. Von Resse nach Süd und zurück kostet es das Gleiche. Besser fänden beide andere Rabattsysteme, die den Nahverkehr auch für nicht tägliche Nutzer attraktiv machen.

Sauberkeit/ Komfort

Busse und Bahnen fanden beide in aller Regel tipptopp sauber und gepflegt, ebenso die Haltestellen.

Allerdings seien die Sitze – vor allem in Straßenbahnen – sehr schmal. „Auch zwei schlanke Personen berühren einander zwangsläufig, wenn sie sich eine Zweiersitzbank teilen“, klagt Brigitta Blömeke. Nicht ausgereift sei auch das Konzept zur Mitnahme von Kinderwagen und Fahrrädern. Da werde es oft sehr eng, für alle Beteiligten.

Ideal für den Weg in die Innenstadt

Brigitta Blömeke lebt in Bismarck, geht gern zu Fuß – auch mal 30 Minuten, wie zur Testbesprechung in der Redaktion – und fährt gern Rad. Für weitere Strecken bevorzugt sie in der Regel das Auto. Letzteres war meist auch in der Testphase nicht anders. Wenn Sie nur in die City nach Buer oder Alt-Gelsenkirchen wollte, hat sie in der Testphase allerdings gern die Straßenbahn genommen. Weil die so schön schnell ist. „Das ist ideal. Schneller bin ich mit keinem Auto, zumal die Parkplatzsuche in der Innenstadt ja auch Zeit braucht.“

An den Straßenbahnen hat Brigitta Blömeke nichts auszusetzen. Im Gegenteil. Abgesehen allerdings von der Breite der Sitze, die für mehr Körperkontakt sorgt, als angenehm ist.
An den Straßenbahnen hat Brigitta Blömeke nichts auszusetzen. Im Gegenteil. Abgesehen allerdings von der Breite der Sitze, die für mehr Körperkontakt sorgt, als angenehm ist. © WAZ FotoPool

Als sie in der Testphase in Sachen Kulturloge morgens um neun Uhr in Herten sein musste, erschien ihr das eigene Auto dann aber doch sicherer, einfacher und fast auch günstiger als Transportmittel. Schließlich hätte sie sechs Euro zuzahlen müssen, wegen Überschreitung der Stadtgrenze. Ganz zu schweigen vom mehrfachen Umsteigen.

Brigitta Blömeke wünscht sich vor allem eine flexiblere Preispolitik im Nahverkehr. Die Preiskalkulation sollte den Metropolengedanken fördern statt ihn zu behindern, findet sie. Genau das tun die hohen Aufpreise bei jeder kleinen Grenzüberschreitung aber. Ein Grund für sie, nicht zum Abo zu greifen.

In Resse braucht der Nutzer Geduld

Doro Rudde ist in der Regel mit dem Auto unterwegs. Sie wohnt in Resse und von schnellen Direktverbindungen in die City kann sie daher nur träumen. Der nahe gelegene 244er Bus fährt alle 30 Minuten, die Anschluss-Straßenbahn in die City rollt immerhin im Zehn-Minuten-Takt. Aber das hilft ihr auf dem Heimweg aus der Altstadt nicht immer. Vor allem, wenn der Anschlussbus geraaaade weg ist.

„Zu meinem Arbeitsplatz in Ückendorf wäre ich täglich pro Weg eine Stunde unterwegs, also zwei Stunden am Tag. Mit dem Auto spare ich täglich eine Stunde.“ Was ihr gefallen hat, sind der Nachtexpress und auch die Ausstattung der Busse und Bahnen.

Dass der Weg von Resse ins benachbarte Erle immer noch eine Himmelfahrt ist, findet sie allerdings weniger witzig. „Das war früher schon so. Eltern haben ihre Kinder lieber auf der Realschule in Herten angemeldet, weil das besser angebunden war als die Gerhard-Hauptmann-Realschule.“

Eine echte Alternative zum Auto ist so ein Ticket 1000 oder auch 2000 für sie jedenfalls nicht. Weil sie in Resse ganz ohne Auto nicht mobil genug wäre. Und dieses Abo zusätzlich zum Auto – das ist ihr einfach zu teuer.

Und das kostet das Abo:

Das Ticket 1000 kostet im Geltungsbereich der Stadt Gelsenkirchen monatlich ab Januar 2013 56,29 Euro. Macht 1,85 Euro je Tag. Bisher waren es 54,38 Euro im Monat.

Wer erst ab neun Uhr morgens fahren will, bekommt es für 41,30 Euro (vorher 38,85) gleich 1,36 Euro am Tag. Wer allerdings Fahrten über die Stadtgrenze nach Bochum, Herne oder Essen mit im Abo haben möchte, muss sich für die Preisstufe B beim Ticket 1000 entscheiden. Die kostet künftig 83,20 Euro im Abopreis (80,21), 2,74 Euro am Tag. Wer erst nach neun Uhr fährt, zahlt 60,93 Euro im Monat , entspricht 2 Euro am Tag. Mehr Info unter www.vrr.de