Wer in der Kanalisation arbeitet, macht einen knüppelharten Job
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Gelsenkirchen.. Schwindelfrei und frei von Angst vor engen Räumen muss sein, wer unter den Straßen der Stadt arbeiten will. Nicht ahnend, was für einen knüppelharten Job ich kennenlernen sollte, startete „Gelsenkirchen von unten“. Ein Gang in die Kanalisation in orangener Warn- und Schutzkleidung samt oberschenkelhoher Stiefel.
Millionen lockte das ZDF im vergangenen Jahr vor die Fernsehschirme. Alle wollten „Deutschland von oben“ sehen. Auch ich war beeindruckt und da ich Dinge gerne aus anderen Perspektiven entdecke, ist jetzt mal die „von unten“ dran. Der Pütt hat seine Schächte in Gelsenkirchen lange schon dicht gemacht. Die Kanalisation sollte es sein.
„Kein Problem“, hatte Kanalmeister Rolf Pospiech am Telefon gesagt. Schwindelfrei und frei von Angst vor engen Räumen muss aber sein, wer unter den Straßen der Stadt arbeiten will. Nicht ahnend, was für einen knüppelharten Job ich kennenlernen sollte, startete „Gelsenkirchen von unten“. Sicherheitseinweisung. Joachim Schwarz ist für die Ausrüstung der Kanalarbeiter bei Gelsenkanal zuständig. In seiner Werkstatt in der Gelsenkanal-Zentrale an der Daimlerstraße wartet er die Geräte der Kollegen, gibt sie aus. Das erste mulmige Gefühl macht sich breit. Gasmessgeräte, Sauerstoffselbstretter, Verhaltensregeln, Sicherheitsgeschirr: im Ernstfall überlebenswichtig. Und das alles im Kanal ein paar Meter unter der Erde? Und ob.
Schutzkleidung muss sein
In orangener Warn- und Schutzkleidung samt oberschenkelhoher Stiefel wartet der Einstieg an der Husemannstraße. Die Kollegen sind bereits vor Ort, der Schachtdeckel ist offen, ein Dreibein steht darüber. Wilfried Gogolin ist seit 1981 bei Gelsenkanal, die Welt unter den Straßen und Häusern der Stadt kennt er wie seine Westentasche. „Ab“, ruft er in den Schacht, nachdem der Reporter angeseilt ist und langsam geht es die schmalen Steigeisen hinab. Schon nach wenigen Metern steigt einem ein muffiger Geruch in die Nase. Bis zu ersten Plattform sind es nur wenige Meter, doch schon hier es ist dunkel und nass. Und weitere Abstiege sollen folgen.
Geheimnisvolle Kanäle
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„Das ist unser Dükerbauwerk. 27 Meter tief geht es unter die Erde. Wir brauchen es, um den Wasserfluss unter der U-Bahn-Trasse herleiten zu können“, erklärt Rolf Pospiech. Dicke, rostbesetzten Rohre sind so angelegt, dass der natürliche Wasserfluss für die Weiterleitung genutzt wird. Dazwischen ein kleineres Rohr, knapp einen Meter dick. „Das ist die zentrale Abwasserleitung. Die Schmutzwässer der Gelsenkirchener Anschlüsse aus dem Innenstadtbereich laufen hier zusammen“, sagt Pospiech. Kein Wunder, dass es nach dem nächsten Abstieg deutlich unangenehmer riecht.
"Es gibt nichts Schöneres"
Ganz unten angekommen, eine kleine blaue Pumpe. Eine der kommenden Baustellen. „Sie geht zwar noch, hat aber einen kleinen Defekt. Zur Sicherheit werden wir sie austauschen. Aber da wir hier unten wegen der Gase nicht mit elektrischen Geräten arbeiten dürfen, müssen wir sie von Hand nach oben bringen. Das Ding wiegt 300 Kilo“, sagt Peter Popiol, Vorarbeiter bei Gelsenkanal und an diesem Tag der „Tourguide“ für den Rundgang unter der Stadt.
Einblicke in die Kanalisation Duisburgs
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Und der soll jetzt erst richtig losgehen. 1,40 Meter Durchmesser hat das kleine Rohr, durch das wir uns zwängen müssen. Schlamm klebt an den Wänden, es stinkt und zu allem Überfluss geht es dann auch noch bergauf. Der Schweiß fängt an zu laufen. Zum Glück ist die Strecke nur kurz. „Das ist noch eines der größeren Rohre. Bis zu einem Durchmesser von einem Meter müssen wir Begehungen durchführen, um Schäden zu sichten und Reparaturen durchzuführen. Jetzt stell dir dazu noch vor, dass auf 30 Zentimeter Höhe das Abwasser fließt und du dich im Entengang fortbewegen muss. Es gibt nichts Schöneres“, sagt Peter Popiol und lacht.
Langsames waten durch den Dreck
Weiter geht’s. Durch ein Gitter geht es hinunter und da ist er dann. Der große Vorfluter. 1,60 Meter im Durchmesser. Links ein kleiner Steg, um gebückt zu laufen, daneben fließen die Abwässer. Die Ekelgrenze der Männer, die hier tagtäglich arbeiten, muss unglaublich sein. Denn da schwimmt alles, was andere in der Toilette herunterspülen ganz dicht an einem vorbei. Die gebückte Haltung geht in den Rücken. Die Luftfeuchtigkeit lässt den Schweiß weiter laufen.
Zu Besuch im Untergrund
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46 Jahre alt ist Peter Popiol. Seit 1990 ist er regelmäßig im Gelsenkirchener Kanalnetz unterwegs. Routiniert geht er von Lichtkegel zu Lichtkegel. Die Kollegen „über Tage“ sichern ab, öffnen die Schächte entlang der Strecke. Kontakt halten kann im Ernstfall Leben retten. „Frank, kannst kommen“, schreit Popiol immer wieder. Frank Monse ist der zweite Tourbegleiter. Dann endet der Steg. „Vorsichtig ins Wasser gehen. Das ist spiegelglatt. Auf der Sielhaut rutscht man leicht weg“, sagt Popiol. Die Sielhaut, eine Schicht aus Bakterien und Abwässern, die sich in jedem Kanal bildet, ist nur ganz vorsichtig begehbar. Langsam waten wir durch Gelsenkirchens Dreck. Rattenköder hängen an vielen Stellen. Dann, nach 1,5 Kilometern, Licht am Ende des Tunnels. Das Auslaufbauwerk am Schwarzbach.
Gelsenkirchen von unten, eine schweißtreibende, stinkende Ansicht auf einen Job, den nur wenige machen wollen und dafür viel zu wenig Respekt bekommen.
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