Gelsenkirchen. Ein verblichenes Nazi-Symbol auf der Brust von Opernsänger Evgeny Niktin sorgte jüngst für einen Eklat bei den Festspielen in Bayreuth. Tätowierer Ti, der in Gelsenkirchen das Tattoo-Studio “Gestochen scharf“ betreibt, ist ein Körperkünstler aus Überzeugung. Er sagt, dass er Hakenkreuze oder ähnliches niemals stechen würde. Anfragen dieser Art hat er dennoch.

Die Klimaanlage summt leise, die Maschine schnurrt sanft. Aus dem Lautsprecher erklingt Klassik, die Wände zieren bunte Zeichnungen. Nur die Batterie an spitzen Nadeln, die auf dem Tisch steht, könnte zarte Gemüter erschrecken. Denn diese Nadeln sind garantiert „Gestochen scharf“.

Und das sind auch die Bilder, die im gleichnamigen Tattoo-Studio entstehen. Bewegte Bilder für die Ewigkeit, die ein Leben lang glücklich machen können – oder auch nicht.

Wer seinen Körper in eine Leinwand verwandelt, läuft in der Regel den Rest seines Daseins mit Anker, Herzchen oder Totenkopf auf der Haut herum. Das kann eine Bereicherung sein, das kann aber auch in eine furiose Pleite münden. Wie in diesen Tagen geschehen. Den russischen Bass-Baritin Evgeny Nikitin kosteten zweifelhafte Körpergemälde erst kürzlich das Engagement auf dem Grünen Hügel von Bayreuth.

Jede Arbeit ein Unikat

Zu Recht, wie ein Fachmann urteilt. Tätowierer Ti, der seit 2006 sein Tattoo- und Piercing-Studio „Gestochen scharf“ an der Hagenstraße in Buer betreibt, lehnt Runen und NS-Symbole, wie sie der Opernsänger offensichtlich auf der Brust trägt, konsequent ab. „Nein, so etwas würde ich nie stechen, obwohl es auch in unserem Studio durchaus Anfragen für solche Symbole gibt“, sagt der 32-jährige gebürtige Vietnamese. Und er sagt: „Die guten Kollegen, die würden das alle nicht machen, das haben die nicht nötig.“

Der russische Opernheld, einst Schlagzeuger in einer Heavy-Metal-Band, musste wegen der Tätowierung auf seiner Brust, die in einem alten Video zu sehen war, auf die Titelpartie in der Eröffnungspremiere „Der fliegende Holländer“ verzichten. Der Vorwurf: Reste eines Hakenkreuzes und Nazi-Runen auf der breiten Sängerbrust. Der Gelsenkirchener Tattoo-Künstler Ti erzählt von sogenannten Swastika, die in Asien als Friedenssymbole gelten und dem Hakenkreuz durchaus ähnlich sehen. „Nein, auch solche Symbole würde ich nicht stechen, weil die Verwechslung zu groß wäre. Das wäre grenzwertig.“

"Nur wer gut malen kann, kann auch tätowieren"

Der gebürtige Vietnamese, der die ersten vier Lebensjahre in Bayern und später in Gelsenkirchen aufgewachsen ist, widmet sich stattdessen einer ganzen Palette attraktiverer Motive. Der Mann, der in Studios in Düsseldorf und Köln sein Handwerk gelernt hat, bevorzugt traditionelle asiatische Motive, Comic-Zeichnungen, „auch Skurriles und Makaberes“. Jeder seiner drei Mitarbeiter verwirklicht einen anderen Stil auf der Haut der Kunden.

Ti ist ein Körperkünstler, der die Zeichnung schon früh für sich entdeckt hat: „Nur wer gut malen kann, kann auch tätowieren. Sonst kopiert man nur.“ Bei Ti ist jedes Tattoo ein Unikat. Wer zu ihm kommt, sollte schon genau wissen, was er will: „Für viele sind Tattoos nur noch ein sinnentleertes Modeaccessoire wie ein Nagellack.“ Dabei sollten die Bilder eine Aussage haben, Individualität ausdrücken.

Die Nachfrage nach gestochen scharfen Bildern von Ti ist inzwischen so groß, dass die Wartezeiten lang sind, auch für Promis. Der große Erfolg ermöglicht es dem Tätowierer aber auch, Wünsche abzulehnen, Wünsche nach zweifelhaften Symbolen, aber auch solche: „Eine 18-Jährige wollte den Namen ihres Freundes, den sie erst drei Monate lang kannte, auf dem Oberarm haben. Die habe ich wieder weg geschickt.“ Ein Körperkünstler mit Verantwortung.