Gelsenkirchen.

Die rot-grüne Minderheitsregierung in NRW steht vor dem Aus. Der Einzelplan für das Innenministerium ist am Mittwoch in 2. Lesung des Haushaltes von der Opposition abgelehnt worden. Das Stimmverhältnis betrug 90:91. Damit ist der Gesamtetat von Ministerpräsidentin Kraft (SPD) gescheitert. „Das ist ein historischer Tag“, sagte Heike Gebhard in einer ersten Reaktion.

Die beiden Gelsenkirchener SPD-Landtagsabgeordneten Heike Gebhard und Markus Töns erklärten: „Wenn die FDP unbedingt politischen Selbstmord begehen will, dann kann man sie nicht daran hindern. Allerdings ist so auch schwerer Schaden für das Land und für Gelsenkirchen entstanden. Nun ist nicht absehbar, wann ein verabschiedeter Landeshaushalt für 2012 vorliegen wird. Damit sind auch die dringend benötigten Hilfen für die Kommunen erst einmal auf Eis gelegt.“ Jetzt könnten nur noch die Wählerinnen und Wähler entscheiden, welchen Weg NRW in Zukunft gehen wird.

Oberbürgermeister zeigt sich erstaunt

Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) kommentierte: „Ich bin mehr als erstaunt, dass die Entscheidung zu Neuwahlen jetzt so schnell kam und dass die Auswirkung der Ablehnung von Einzelhaushalten im Rahmen der zweiten Lesung wohl alle Akteure in Düsseldorf überrascht hat. Letztendlich ist die Auflösung ein konsequenter Schritt. Eine Landesregierung ohne verabschiedeten Haushalt wäre eine permanente Hängepartie. Dann lieber jetzt ein klarer Schnitt.“ Die Regierung habe eine Menge auf den Weg gebracht, so der OB weiter. Sie sei deutlich kommunalfreundlicher als die Vorgängerregierung gewesen. „Vielleicht hat sie nicht alles so umgesetzt, wie ich es mir gewünscht hätte. Aber dies alles als Minderheitsregierung realisiert zu haben, verdient Respekt.“

Wie viele Wahlen verträgt der Mensch?

Es mutet an wie eine Sensation. Viele Politiker sprechen zumindest von einer Überraschung. Aber ist die beschlossene Auflösung des Landtages eine?

Man sollte davon ausgehen dürfen, dass eine Minderheitsregierung wie die rot-grüne in Düsseldorf eben auf Grund einer fehlenden eigenen Mehrheit ihre Hausaufgaben macht. Dazu gehört es zweifelsfrei, rechtzeitig Mehrheiten abzusichern, wenn elementare Entscheidungen anstehen. Gelingt das nicht, ist so eine Entscheidung wie am Mittwoch auch keine echte Überraschung oder Sensation.

So oder so: Auf Gelsenkirchen (und andere auch) kommen nun bewegte Jahre zu. Kurzwahlkampf in NRW in 2012, Bundestagswahl 2013, Kommunal- und Europawahlen 2014, Oberbürgermeisterwahlen 2015. Dann ist ein Jahr Pause, ehe 2017 in Bund und Land wieder gewählt werden muss.

Da fragt man sich unweigerlich: Wie viele Wahlen verträgt der Mensch? Und wer interessiert sich für die zu erwartende Parolen-Schwemme angesichts einer jetzt schon verbreiteten Politikmüdigkeit? Den Spannungsbogen aufrecht zu erhalten, wird die Kunst sein.

Und die Parteien? Sie müssen permanent ihre Mitglieder für den Straßenwahlkampf motivieren. Mal ganz abgesehen von der Intensität, kostet das auch ganz viel Geld. Da werden die kleineren Gruppierungen sehr genau überlegen müssen, wie, wo und wann sie sich richtig engagieren.

Die Gelsenkirchener Politiker, deren Parteien im Landtag vertreten sind, zeigten sich am Mittwoch durch die Bank überrascht von den nun anstehenden Neuwahlen, die nach der Auflösung binnen 60 Tagen durchgeführt werden müssen. Irene Mihalic, Stadtverordnete und Mitglied des Bündnisgrünen Landesvorstandes, könnte sich als Wahltermin den 6. oder 13. Mai vorstellen. „Wir haben aber auch im Landesvorstand noch nicht darüber geredet.“

Für Klaus Haertel, SPD-Fraktionsvorsitzender im Rat, hatte das Ergebnis „sehr überraschende Züge“. Ihn erinnere das Verhalten der Opposition eher an Abenteurertum als an berechenbare Politik, sagte er. „Ich mache mir nicht nur um die Landespolitik Gedanken, sondern auch um die Kommunen. Was heißt das denn alles jetzt mit Blick auf den Stärkungspakt Stadtfinanzen und wie geht es da weiter?“ Mit Blick auf den bevorstehenden Wahlkampf glaubt Haertel an die Stärken der SPD: „Wir sind für den Straßenwahlkampf sehr gut gerüstet und können schnell beginnen.“

Werner Wöll, CDU-Fraktionsvorsitzender, sagte der WAZ: „Ich hätte damit nicht gerechnet, dass die Opposition einen Einzelplan geschlossen ablehnt. Wir als CDU brauchen eine Neuwahl sicherlich nicht zu fürchten. Ich denke, wir werden gestärkt daraus hervorgehen.“ Wöll rechnet dann auch mit klaren Mehrheitsverhältnissen im Landtag, wobei er eine Rollenverteilung aktuell als völlig offen betrachtet.

Irene Mihalic war sich sicher, dass die Opposition den Haushalt durch die 2. Lesung bringen würde, um dann einen Kompromiss zu finden. „Es hat Angebote an die Linke und die FDP gegeben.“ Gerade das Verhalten der Liberalen überrasche sie sehr, so Mihalic, „zumal sie nach den aktuellen Umfragewerten nicht wieder in den Landtag einziehen würden.“ Die Grünen, sagt die Ratsfrau mit Blick auf den Wahlkampf, seien gut aufgestellt. „Wir mussten immer damit rechnen, dass es Neuwahlen geben kann. Wir können von heute auf morgen auf Go stellen und beginnen.“

Den allgemeinen Aussagen in Richtung eines landespolitischen Selbstmordes möchte Jens Schäfer, FDP-Fraktionsvorsitzender, nicht folgen. Er findet das Abstimmungsverhalten seiner Partei persönlich zwar doch überraschend. „Aber es ist ehrlicher, den eigenen Prinzipien treu zu bleiben, statt umzufallen – auch wenn es anschließend sehr schwierig werden kann.“