Gelsenkirchen. .

Vincent dribbelt den Fußball verträumt vor sich hin und stolpert dabei in einen Mann hinein. Vincent guckt zu ihm hoch und ist platt: Der Fünftklässler blickt mitten hinein in sein Spiegelbild. Wer könnte das sein, der ihm so unglaublich ähnlich sieht? Etwa sein Vater, den Vincent nie kennengelernt hat?

Aber da ist der fremde Mann auch schon wieder weg und eine abenteuerliche Detektivgeschichte nimmt ihren Lauf. „Geheimsache Daddy“ heißt der druckfrische Jugendroman der Gelsenkirchener Autorin Inge Meyer-Dietrich, der in diesen Tagen im renommierten Ravensburger Verlag erschienen ist.

Die vielfach preisgekrönte Schriftstellerin widmet sich einmal mehr einem Thema mitten aus dem Leben. In Zeiten, in denen herkömmliche Familienstrukturen auseinander brechen, in denen Patchwork-Lebensgemeinschaften oder alleinerziehende Mütter und Väter keine Seltenheit mehr sind, erzählt sie sensibel über einen kleinen Jungen, der seinen Vater schmerzlich vermisst.

Für Junge und jung gebliebene

Meyer-Dietrich verpackt das ernste Thema klug in einen spannend-kurzweiligen Text mit heiterer Note. Ein Mutmach-Buch: Es ermuntert dazu, Erwachsenen auch unbequeme Fragen zu stellen. Es macht Hoffnung, dass es Licht am Ende des Tunnels gibt. Und es weckt Lust darauf, durch hartnäckige Recherche eigene Lösungen zu finden.

Und in kleinen Randepisoden verarbeitet Inge Meyer-Dietrich weitere zeitnahe Themen: Die beiden Hauptprotagonisten Vincent und seine kleine Schulfreundin Malin freunden sich zum Beispiel mit zwei Senioren aus dem benachbarten Heim an. Es entsteht eine liebe- und respektvolle Beziehung, von der Jung und Alt gleichermaßen profitieren.

Freundschaft, Mut, Zivilcourage - auch das sind Themen des Buches, das nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch jung gebliebene Erwachsene mühelos zu fesseln vermag.

Die 67-jährige Bueranerin, Mutter dreier erwachsener Kinder, trifft in ihren Schreibwerkstätten an Schulen immer wieder Mädchen und Jungen, die nichts über ihre Väter wissen: „Diese Abwesenheit ist oft eine schlimme Situation.“ Die die Autorin an die eigene Kindheit kurz nach dem Krieg erinnert, als viele Kinder ohne Vater dastanden.

Harte Lektion für Kinder

Und als sie selbst früh einen Elternteil verlor: „Meine Mutter starb, als ich acht Jahre alt war. Damals war das Lesen und Schreiben für mich ein Überlebensmittel, Bücher ein Zufluchtsort.“

Inge Meyer-Dietrich begann schon mit fünf Jahren, kleine Geschichten aufzuschreiben: „Das hat mir geholfen, Dinge klar zu ziehen. Manchmal habe ich mir das Leben auch schön geschrieben.“

Ob das Leben für den kleinen, pfiffigen Romanhelden Vincent und seine kluge Freundin am Ende seiner Abenteuergeschichte tatsächlich schöner wird, sei nicht verraten. Nur soviel: Ein hundertprozentiges Happy End serviert die Autorin nicht. Aus gutem Grund: „Auch Kinder müssen lernen, sich von Träumen zu verabschieden. Oft hilft eine Enttäuschung aber mehr als ständige Unsicherheit.“

Was das Buch noch zu einem echten Hingucker macht, sind die Zeichnungen von Leonard Erlbruch. Meyer-Dietrich, ist eine disziplinierte Schreiberin, arbeitet inzwischen längst wieder an neuen Themen, an einer witzigen Weihnachtsgeschichte zum Beispiel für kleine Leser.