Gelsenkirchen. Mit 18 bekam er die Diagnose, mit 75 Jahren kämpft der Gelsenkirchener noch immer gegen den Morbus Bechterew - gemeinsam mit Leidensgenossen.
Irrsinnige Schmerzen bis zur Bewegungsunfähigkeit: Als ihr Orthopäde Brigitte Kroll 1984 erklärte, dass sie unter einer chronischen Erkrankung namens Morbus Bechterew leidet, war für die aktive Turnerin sofort klar, dass sie andere Betroffene kennenlernen musste. Es war die große Zeit der Selbsthilfegruppen, in denen Menschen mit unheilbaren, chronischen Erkrankungen, Süchten und Depressionen sich zusammentaten, um gemeinsam dagegen zu kämpfen.
Gemeinsam mit Leidensgenossen wie Rolf Brumann gründete die damals 38-jährige aktive Turnerin die Gelsenkirchener Bechterew-Selbsthilfegruppe, im Mai 1984. Heute, 40 Jahre später, zählt die Gruppe noch immer 95 Mitglieder. Eine Sensation in Zeiten, in denen viele lieber „Dr. Google“ statt das Schwarmwissen der Gemeinschaft nutzen. Fünf der Gründungsmitglieder sind noch mit an Bord, man kümmert sich umeinander. Und um alle, die neu kommen möchten, die die Diagnose erst jetzt getroffen hat. Aber es sind nur noch wenige Neuzugänge, bedauert man. Immerhin ist das jüngste Mitglied erst 35 Jahre jung.
Die „Bambuswirbelsäule“ als eindeutiges Indiz
Morbus Bechterew ist eine rheumatische Erkrankung. Sie ist chronisch, nicht heilbar, aber auch nicht tödlich. 1984 glaubten noch viele, es könne nur Männer treffen. Bei Frauen gingen Ärzte häufig davon aus, dass die Schmerzen Folgen der Schwangerschaften seien. Dass Symptome wie Schmerzen an der Wirbelsäule, anderen Gelenke, Muskeln, Sehnen und Gefäßen auch bei Frauen durch Morbus Bechterew hervorgerufen werden können, war damals vielen Medizinern unbekannt. Ohnehin war die Diagnostik schwieriger als heute mit hochmodernen Bildgebungsverfahren. Doch Brigitte Krolls Röntgenbild war eindeutig: Sie hatte bereits eine „Bambuswirbelsäule“, ohne Knorpel zwischen den Gelenken.
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Rolf Brumann ist eines der Gründungsmitglieder, ein besonders aktives, trotz seines mittlerweile - typisch Bechterew - arg gebeugten Gangs plus einer Nierenerkrankung, die ihn zur Dialyse zwingt. Was seine Aktivität nicht bremsen kann. Am Tisch aufrecht sitzend plant und organisiert der ehemalige Bauingenieur und Architekt, der jahrelang Großprojekte in aller Welt betreute, weiter die zahlreichen Aktivitäten der Gruppe. Ausflüge in Rehakliniken, Sommer- und Winterfeste, Grillpartys, ärztliche Vorträge zu aktuellen Entwicklungen und die 40-Jahr-Feier, die am ersten Juni-Wochenende stattfand.
Lange war Brumann Vorsitzender. Heute, als stellvertretender Vorsitzender, absolviert er noch immer die Hauptarbeit, wie der erste Vorsitzende, Hans Friedrich Löffler, neidlos anerkennt. Auch ihm bereitet das Gehen mittlerweile Mühe, er ist auf einen Stock angewiesen. Trübsal bläst er deshalb nicht, ebenso wenig wie die anderen im Führungsteam. Brumann arbeitet zudem im Bundesverband mit, in der AG Bauen und Planen und im Behindertenbeirat setzt er sich für barrierefreies Bauen ein.
Sterben an den Nebenwirkungen der Medikamente, nicht an der Krankheit
Dabei bereitet die nach einem russischen Neurologen benannte Krankheit, Morbus Bechterew, den meisten Patienten starke Schmerzen durch Entzündungsprozesse im ganzen Körper. Folgeerkrankungen können das Herz, die Augen, innere Organe, die Gefäße betreffen. Birgit Kroll hat deshalb eine neue Achillessehne benötigt. Bei manchen beschränkt sich die Autoimmunerkrankung aber auch auf die Wirbelsäule.
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Das Wichtigste für alle Betroffenen, egal wie ausgeprägt die Symptome sind: in Bewegung bleiben. Wer schmerzbedingt Bewegung vermeidet, wird bald noch mehr leiden, mahnen die Experten in eigener Sache. Die Selbsthilfegruppe organisiert für die Mitglieder deshalb bis heute zwei Stunden je Woche Aquafitness im Thermalbad in Nienhausen sowie am Medical Center in Buer sowie Trockengymnastik. Gründungsmitglied Gerd Kutzborski schwört auf Schwimmen als besten Weg, beweglich zu bleiben. Wie bei vielen derartigen Erkrankungen gibt es bei Morbus Bechterew keinen Königsweg. Umso wichtiger ist den miteinander älter gewordenen Gruppenmitgliedern die gemeinsame Aktivität, der Austausch.
Kontakt zur Selbsthilfegruppe
Informationen zur Selbsthilfegruppe und zu deren Aktivitäten gibt es online unter dvmb-nrw.de/gruppen/gelsenkirchen. Dort sind auch spezielle Angebote für junge Erkrankte zu finden.
Teamleiter Hans Firedrich Löffler ist unter 0209 597707 erreichbar. Ärztlicher Berater der Gruppe ist Dr. Peter Pulawski, Arztempfehlungen allerdings erteilt die Gruppe grundsätzlich nicht.
Der Mitgliedsbeitrag in der Selbsthilfegruppe beträgt 5 Euro im Monat. Hilfreich sein kann zudem aufgrund der zahlreichen Informationen zu neuesten Studienergebnissen kann die zusätzliche Mitgliedschaft in der Bundesvereinigung, für die 45 Euro Jahresbeitrag fällig werden.
Die Medikamente sind besser geworden in den letzten 40 Jahren. Aber: „Mir hat damals bei der Diagnose der Arzt gesagt. ,‚Sie werden nicht an der Krankheit sterben, sondern an den Nebenwirkungen der Medikamente‘“, erzählt Brumann schmunzelnd. Wer sich schmerzbedingt nicht bewegen kann, darf zwar dafür auch Schmerzmittel einnehmen. „Aber man muss den Mittelweg finden zwischen der richtigen Dosis für ein schmerzarmes Leben und den Einschränkungen, die zu starke Schmerzmittel mit sich bringen“, erklärt er. Und sich ablenken können, etwa beim gemeinsamen Feiern des 40-jährigen Miteinanders.