Gelsenkirchen. Im Vergleich zu den Nachbarstädten werden Tagespflegepersonen in Gelsenkirchen deutlich schlechter bezahlt. Das wollen sie nicht mehr hinnehmen.

Liebevolle Betreuung, dazu noch flexibel, in einem familiären, behüteten Umfeld und kleinen Gruppen: Die Arbeit der Tagesmütter und Tagesväter in Gelsenkirchen ist für nicht wenige Eltern eine gefragte Alternative zur Betreuung in einer Kindertageseinrichtung. 2023 gab es in Gelsenkirchen 365 Plätze in der Kindertagespflege, sowohl bei einzelnen Tagespflegepersonen, als auch in der Großtagespflege. Die Stadt bemüht sich, beispielsweise mit einer groß angelegten Werbekampagne, schon seit einiger Zeit um weitere Kräfte – doch innerhalb der Tagespflege rumort es. Nun wird sich auch die Politik aktuell mit dem Thema beschäftigen.

Tagespflege in Gelsenkirchen: Für viele reicht es nicht, existenzsichernd zu arbeiten

Der Hintergrund: Im vergangenen Jahr hatten sich Tageseltern aus Gelsenkirchen zusammengetan, um für bessere Bedingungen in der Tagespflege zu kämpfen. Außerhalb der Kitas sind Tagespflegepersonen in dieser Stadt als Selbstständige tätig, sie bekommen bis zu 3,50 Euro je Kind und Stunde (wenn sie die höchste Qualifizierung haben). Das Problem: Für viele Tageseltern reicht das nicht, um existenzsichernd zu arbeiten.

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„Fast keine von uns kann es sich leisten, nur eine 25- oder 35-Stunden-Betreuung anzubieten. In der Regel sind es 40 Stunden je Woche und mehr. Zu den drei Euro je Stunde kommt eine Monatspauschale für den Sachaufwand wie Frühstücksverpflegung, Versicherungsbeiträge, anteilige Miet- und Nebenkosten, Fahrtkosten und mehr in Höhe von 260 Euro je Kind, das für insgesamt 40 Stunden in der Woche betreut wird. Für das Mittagessen zahlen die Eltern zudem einen Obolus“, berichtete Kerstin van Bernum im vergangenen Sommer im Gespräch mit der WAZ. Die Tagesmutter hat gemeinsam mit ihrer Kollegin Sandra Veseli die Regionalgruppe Gelsenkirchen des Vereins Berufsvereinigung der Kindertagespflegepersonen gegründet, ist zudem ihre Sprecherin.

Politik fordert gerechtere Bezahlung von Gelsenkirchener Tageseltern

Im Laufe der vergangenen Monate haben sie viele Zahlen zusammengetragen und ausgewertet. Sie haben eine Liste erstellt, die auch der Redaktion vorliegt. Daraus wird ersichtlich, wie hoch nach ihren Recherchen das Jahreseinkommen der Tageseltern in den Nachbarstädten ist. Grundlage der Berechnungen ist die Betreuung von vier Kindern, jeweils 40 Stunden in der Woche.

Die Zahlen sind ernüchternd: Laut Kerstin van Bernum und Sandra Veseli verdienen Tageseltern in Herne pro Jahr knapp 26.800 Euro, in Bochum 27.360 Euro, in Essen knapp 27.636 Euro, darüber liegen Gladbeck (knapp 35.573 Euro), Marl (34.400 Euro) und Herten (35.496 Euro). Die Liste führen an: Dorsten (35.662 Euro) und Recklinghausen (36.115 Euro). Ernüchternd, weil: Nach der Rechnung von van Bernum und Veseli kommen Tageseltern in Gelsenkirchen auf ein Jahreseinkommen von 21.744 Euro, die Berechnungen nach dem Mindestlohn ergeben ein Jahreseinkommen von 25.912 Euro. Abgezogen werden müssen in Gelsenkirchen noch weitere Posten wie etwa die Beiträge für die Kranken-, und Rentenversicherung oder die Einkommenssteuer.

Ratsherrin Monika Kutzborski (CDU) hat sich nun dafür eingesetzt, dass das Thema auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Betriebsausschusses von Gekita (14. Mai) kommt. Kutzborski, gleichzeitig auch Ausschussvorsitzende, sieht die gerechte Bezahlung der Tageseltern als absolut wichtiges Thema, wie sie betont. Gerade mit Blick auf die immer noch unzureichende Versorgungsquote und den Fachkräftemangel sieht die Politikerin eine angemessene Bezahlung zudem als wichtiges Instrument, um den Beruf der Tagespflegepersonen attraktiver zu machen. Und wenn die Nachbarstädte besser bezahlen, findet sie es nicht verwunderlich, dass Gelsenkirchener Tageseltern Kinder aus eben diesen Städten vorzugsweise betreuen würden.

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Dass Gelsenkirchen im Ruhrgebietsvergleich auf „einem abgeschlagenen Niveau agiert und damit kein attraktives Arbeitsumfeld für Tagespflegepersonen darstellt“, sehen auch die Grünen. „Angesichts der Tatsache, dass bekanntermaßen ein Mangel an Betreuungsplätzen herrscht, kann sich die Stadt eine derartige Bezahlung eigentlich nicht leisten, sondern bringt vielmehr einen Mangel an Wertschätzung gegenüber diesem so wichtigen Berufsfeld zum Ausdruck“, so Grünen-Fraktionsvorsitzende Adrianna Gorczyk auf Nachfrage der Redaktion.

So brauche es auch niemanden zu wundern, „wenn Tagespflegepersonen zwangsläufig lieber Kinder aus umliegenden Kommunen betreuen, von denen sie teils deutlich bessere Tagessätze erhalten, oder ihre Tätigkeit ganz aufgeben und damit Gelsenkirchener Kindern und Familien letztlich weniger Betreuungsplätze zur Verfügung stehen“, so Gorczyk weiter.

Schlechte Bedingungen: Tagespflegepersonen kehren Gelsenkirchen den Rücken

Bereist im vergangenen Gekita-Betriebsausschuss hatte Ausschuss-Mitglied Stephan Tondorf im Rahmen einer Anfrage festgestellt: „Die Förderleistung durch GeKita für qualifizierte Kindertagespflegepersonen liegt bei drei Euro pro Stunde und Kind, was bei einer 40-Stunden-Woche mit vier Kindern einem Stundensatz in Höhe von 8,52 Euro entspricht. Dieser Betrag liegt deutlich unter dem Mindestlohnniveau.“ Und er fragte die Verwaltung: „Wie hoch wäre der notwendig aufzuwendende Betrag durch die Stadt Gelsenkirchen, um die Tagespflegepersonen mit einem Stundensatz zu fördern, der dem Mindestlohn entspricht?“ Die Antwort: „Die Kindertagespflegepersonen sind selbstständig tätig“ – und für Selbstständige gilt der gesetzliche Mindestlohn eben nicht. „Die Antwort auf unsere Anfrage ist aus unserer Sicht wenig erhellend und transportiert Widerwillen“, so Adrianna Gorczyks Bewertung.

„Wir wissen mittlerweile von mehreren Kolleginnen, die wegen der schlechten Bedingungen Gelsenkirchen den Rücken kehren“, berichten Kerstin van Bernum und Sandra Veseli. Ihren Recherchen zufolge konnten sie beispielsweise in Essen (mit mehr als doppelt so vielen Einwohnern wie Gelsenkirchen) fast fünfmal so viele Kindertagespflegepersonen zählen, in Herne seien es etwa genau so viele wie in Gelsenkirchen, allerdings hat Herne knapp 100.000 Einwohner weniger. Auch daran sehe man, dass es nicht an Tagespflegepersonen mangele.