Gelsenkirchen. Entsetzen bei Matthias P. nach letzter Rechnung. Stadt in Sorge wegen steigender Ausgaben für Leistungsempfänger. Hoffnung: neue Anlagen.

So wie Matthias P. dürfte es vielen Fernwärmekunden gehen. Vor ein paar Tagen landete die Uniper Jahresabrechnung für 2023 im Postfach des Gelsenkircheners. Was da unter dem Strich stand, nämlich ein stattlicher Preissprung, war für Matthias P. ein Schock. Er fragt sich: „Die Preisentwicklung macht mir Sorgen. Einerseits will die Stadt Gelsenkirchen bei Ihrer Wärmeplanung die Fernwärme priorisieren, andererseits wird ein neuer Uniper-Eigentümer mit der Macht der Preisfestsetzung künftig eigene Interessen verfolgen. Wo aber bitte bleibt der kleine Endabnehmer?“

Denn anders als bei Gas oder Strom lässt sich der Anbieter bei der Fernwärme nicht mal eben fix wechseln - Uniper und Iquony haben hier auf ihren Gebieten praktisch eine Monopolstellung. Matthias P. ist seit „über 20 Jahren Kunde von Uniper“, das Unternehmen versorgt den Gelsenkirchener Norden, für den Süden zeichnet Iquony verantwortlich. Da hilft im Prinzip nur ein Umzug in ein Heim mit anderer Versorgung.

Fernwärme-Preis in Gelsenkirchener Norden ist 132 Prozent teurer als beim Nachbarn Herten - der Grund

Für Matthias P. belief sich der durchschnittliche Jahrespreis 2023 auf rund 16 Cent pro Kilowattstunde netto und 17,12 Cent pro Kilowattstunde brutto. Die angrenzenden Stadtwerke Herten berechnen allerdings nur 6,89 Cent/Kilowattstunde netto, 7,37 Sent/Kilowattstunde brutto. Bei einem Jahresverbrauch von rund 25.000 Kilowattstunden ergibt sich bei dem Gelsenkirchener Kunden allein beim Arbeitspreis bei Uniper ein Betrag von 4280 Euro, bei den Stadtwerken Herten lediglich eine Summe von 1842,50 Euro. „Damit ist der Bezug der Fernwärme bei Uniper rund 132 Prozent teurer“, rechnet Matthias P. vor. Dies verwundert ihn umso mehr, denn beide Unternehmen beziehen einen Teil ihrer Fernwärme aus dem gleichen Müllheizkraftwerk, nämlich dem RZR Herten. Wie kommt dieser Unterschied zustande?

Uniper-Sprecherin Ilona Flechtner begründet das unter anderem damit, dass die Fernwärme „eben nicht nur in der Müllverbrennungsanlage RZR in Herten erzeugt wird, sondern sie stammt zu einem weitaus größeren Teil aus anderen Wärmequellen.“ Der Sprecherin zufolge beträgt der Anteil aus der Müllverbrennung rund 15 Prozent, den Großteil mache die Kohle (rd. 62 Prozent) aus, gefolgt von Erdgas (rd. 12 Prozent), Heizöl (rd. 10 Prozent), Grubengas und Strom (beides unter 1 Prozent). Außerdem handele es sich bei den Stadtwerken Herten um ein Querverbundunternehmen, das neben Fernwärme auch andere Energiearten wie Strom und Gas liefere. „Deshalb sind andere Preise möglich als bei einem reinen Fernwärmeanbieter“, so Flechtner.

Auf dem Gelände der BP-Raffinerie entsteht eine Anlage (Leistung: rund 50 Megawatt) zur Auskopplung von Abwärme. Bis zu 30.000 Haushalte könnten demnach im nördlichen Ruhrgebiet beliefert werden. 
Auf dem Gelände der BP-Raffinerie entsteht eine Anlage (Leistung: rund 50 Megawatt) zur Auskopplung von Abwärme. Bis zu 30.000 Haushalte könnten demnach im nördlichen Ruhrgebiet beliefert werden.  © WAZ | Foto: BP

Uniper-Fernwärmepreis: Anstieg innerhalb von drei Jahren um 178 Prozent

Uniper Wärme hatte in der Vergangenheit auf eine Ausschöpfung der maximalen Preiserhöhung aufgrund der Preisänderungsformel verzichtet. Diese kundenfreundliche Regelung endete mit der Verstaatlichung des Uniper Konzerns im Herbst 2022. Hintergrund dessen: Verluste in Milliardenhöhe drohten eine Kettenreaktion auszulösen. Seitdem stieg der Arbeitspreis in der Spitze auf 17,53 ct/netto respektive 18,75ct/brutto gegenüber seinem Ausgangspreis von 6,3 ct/netto und 7,49ct/brutto vom November 2021.

Eine der EU-Auflagen beim Einstieg des Staates bei Uniper ist die Veräußerung des Fernwärmebereiches. Der Verkaufsprozess ist inzwischen eingeleitet worden. Ob der neue Erwerber die zwischenzeitliche kundenfreundliche Praxis einer Preisfestsetzung unterhalb des maximal Möglichen aufgreift, wird sich allerdings noch zeigen.

Die Abhängigkeit von russischem Gas wurde Uniper zum Verhängnis. Die Probleme für Uniper fingen mit dem Krieg in der Ukraine an. Deutschland und die Europäische Union reagierten auf den russischen Eroberungskrieg mit wirtschaftlichen und politischen Sanktionen gegen Russland. Daraufhin verringerte Gazprom die Gaslieferungen nach Deutschland rapide. Da Uniper an die langfristigen Verträge mit den Stadtwerken und Großkonzernen gebunden war, musste der Konzern im Markt Ersatzmengen beschaffen. Diese konnte Uniper allerdings nur für einen deutlichen teureren Preis beschaffen.

Uniper geriet daraufhin in Schwierigkeiten. Allein für das Fiskaljahr 2022 belief sich der Verlust auf 20 Milliarden Euro. Da die Insolvenz von Uniper eine Kettenreaktion nach sich gezogen hätte und viele Stadtwerke auch in eine finanzielle Schieflage gebracht hätte, entschied sich der Bund für eine Sicherung der Energieversorgung in Deutschland. Der einzige Weg, um Uniper zu retten, war eine Verstaatlichung. Diese wurde nach Zustimmung der Kartellbehörden und der Europäischen Kommission bereits im Herbst 2022 vollzogen.

Der Bund hält aktuelle circa 99 Prozent der Anteile an Uniper. Die Rettungsaktion hat den Steuerzahler gute 30 Milliarden Euro gekostet. Eine Ausbreitung der Energiekrise auf die Stadtwerke wäre allerdings für den Bürger deutlich teurer geworden.

Matthias P. befürchtet, dass der neue Eigentümer weiter kräftig an der Preisschraube drehen werde. Mit seiner Sorge ist er nicht allein. Auch die Stadt Gelsenkirchen beunruhigt diese Entwicklung. „Denn ein hoher Verbrauchspreis bedeutet eine höhere Belastung für den kommunalen Haushalt“, wie Martin Schulmann erklärt.

Bereits jetzt seien die Gesamtkosten für Fernwärme im Jahresvergleich von 58.555,74 Euro (03/2023) auf 63.709,21 Euro (02/2024) bei den Grundsicherungsempfängern nach dem SGB XII gestiegen. Eine Darstellung der Fernwärmekosten für Leistungsempfänger nach dem SGB II im Jobcenter war nach Angaben der Stadt „technisch leider nicht möglich“. Klar aber ist: Wärmekosten werden bei Bezug von Bürgergeld oder Grundsicherung übernommen. Bedeutet: es drohen steigende Ausgaben für die Stadt.

Hoffnung: Fernwärmepreissenkung nach Ankopplung zweier neuer Fernwärme-Anlagen in Gelsenkirchen

Uniper-Sprecherin Flechtner zufolge könnte aber auch das Gegenteil der Fall sein, die Preise sinken. „Das hängt von der Anpassung der Preisänderungsformel nach Anbindung der BP-Abwärme ab. Und vom Kraftwerk Scholven.“

Denn: Auf dem Gelände der BP-Raffinerie entsteht eine Anlage (Leistung: rund 50 Megawatt) zur Auskopplung von Abwärme, Partner sind BP (Ruhr Oel – BP Gelsenkirchen) und Uniper (Uniper Wärme). Die Investitionssumme beträgt 40 Millionen Euro. Betriebsbereit sein soll die Anlage laut Uniper „zur nächsten Heizperiode“, also im Herbst/Winter ‘24/‘25. Bis zu 30.000 Haushalte könnten demnach im nördlichen Ruhrgebiet beliefert werden.

Außerdem ist am Uniper-Standort Scholven eine neue Gas- und Dampfturbinen-Anlage entstanden, aus der ebenfalls Fernwärme abgekoppelt werden soll - wahrscheinlich noch in diesem Jahr. Beides zusammen kann den Preis für Fernwärme kundenfreundlicher werden lassen.

Aktuell gelten übrigens folgende Arbeitspreise: Uniper Wärme 13,63 ct/netto und 14,598 ct/brutto; Iquony 11,48 ct/netto und 12,98 ct/brutto sowie Stadtwerke Herten 6,89 ct/netto und 12,28 ct/brutto.