Gelsenkirchen-Scholven. Was das Unternehmen in Sachen Kohlekraftwerk Gelsenkirchen-Scholven Neues beschlossen hat. Und was dies für die Nutzung von Wasserstoff bedeutet.
Alle sprechen von der Energiewende. In Gelsenkirchen findet sie vor der eigenen Haustür statt: Wo Uniper hoch im Norden der Stadt in einem der einst größten europäischen Kraftwerke Kohle verstromt, steht der Abschied von fossilen Energieträgern an. Denn die neue Gas- und Dampfanlage soll zukünftig mit grünem Wasserstoff betrieben werden. Doch die Transformation vor Ort, sie verzögert sich in gleich doppelter Hinsicht.
Dass der Krieg in der Ukraine den internationalen Energiemarkt durcheinandergewirbelt hat, ging – wie berichtet – auch am Standort Scholven nicht spurlos vorüber: Entgegen den ursprünglichen Planungen hat Uniper Block C nicht zum Oktober 2022 aus dem Markt genommen, sondern hält ihn weiter betriebsbereit. Nun hat das Unternehmen darüber hinaus beschlossen, auch Block B „über den 31. März hinaus am Markt zu betreiben“, so Sprecherin Ilona Flechtner auf Nachfrage der Redaktion. Block B sollte eigentlich ab April in die Reserve genommen werden.
Beide Anlagen haben eine Leistung von je 345 Megawatt, produzieren aber aktuell zusammen je nach Nachfrage 180 bis 220 Megawatt.
Besondere Herausforderung, Kohleblöcke in Gelsenkirchen weiterzubetreiben
Schon im September 2022 hatte Kraftwerksleiter Lars Wiese im Umweltausschuss von den Herausforderungen berichtet, die eine verlängerte Laufzeit für Personal, Liefer- und Genehmigungsabläufe sowie Kraftwerkstechnik mit sich bringe. So hatte das Unternehmen in Hinblick auf die geplante Stilllegung den Abbau von 150 Mitarbeitenden durch Vorruhestandsregelungen und Abfindungen forciert. Diesen müssen ihre alten Jobs nun doch wieder schmackhaft gemacht werden. Auch auf dem externen Markt schaue man sich um, hieß es damals.
Wie genau die personelle Situation jetzt aussieht, wie viele Beschäftigte womöglich fehlen vor dem Hintergrund, dass auch Block B weiterbetrieben wird, von welchen Befristungen der Arbeitsverträge man ausgeht: Dazu will Uniper nichts Konkretes sagen. Lediglich die Zahl von 200 Mitarbeitenden im Schichtbetrieb nennt das Unternehmen.
Uniper: Wie lange sich das Aus der Kohleblöcke in Gelsenkirchen verzögert, ist unklar
Klar sei nur, „dass die Arbeitsplätze (in Bezug auf die Blöcke C und B, Anm. d. Red.) nicht dauerhaft sein werden“, erklärt die Sprecherin weiter, auch wenn diese Anlagen nach Beendigung des Marktbetriebs „noch einige Zeit in der Systemrelevanz verbleiben“. Kurz: Wie lange sich das endgültige Aus der Blöcke C und B verzögern wird, ist derzeit unklar. Offenbar rechnet man aber mit mindestens zwei Jahren – Netzreserve-Verträge liefen immer nur über diesen Zeitraum, so Flechtner.
Was die Technik angeht, so sei es insgesamt „kein Problem, die vorhandenen Blöcke B und C weiter im Betrieb zu halten“, heißt es auf Nachfrage. Ob wegen deren fortgeschrittenen Alters – errichtet wurden sie 1968 bzw. 1969 – Störungen drohen, Wartungsintervalle erhöht oder Reparaturen notwendig werden, die ohne Laufzeitverlängerung nicht nötig gewesen wären: Auch auf diese Fragen ging Uniper nicht konkret ein. „Oberste Priorität“ bleibe aber die „Sicherheit unserer Mitarbeiter“ sowie ein „störungsfreier Betrieb der gesamten Anlage in Scholven“.
Start des neuen Gaskraftwerks verzögert sich bis zum zweiten Quartal 2023
Mit einer weiteren Verzögerung ist Uniper in Sachen Gaskraftwerk befasst: Eigentlich sollte es im Sommer 2022 an den Start gehen. Doch die Anfang 2020 begonnenen Bauarbeiten sind noch immer nicht ganz abgeschlossen. „Wir hatten leider coronabedingt eine Menge Personalausfälle bei unseren Vertragspartnern. Hinzu kamen dann noch die allgemein bekannten Lieferkettenprobleme“, sagt Sprecherin Ilona Flechtner. Nun sollen die zwei Gasturbinen und der Dampfkessel im zweiten Quartal 2023 in den Probebetrieb gehen – also mit rund einjähriger Verspätung.
Die Rentabilität des Prestigeprojekts könnte sich allerdings anders entwickeln als erwartet, wie Uniper andeutet: „Die Entwicklungen des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine und dessen Auswirkung auf den Energiemarkt könnten zu einem niedrigeren Lastprofil des Gaskraftwerks durch gestiegene Gaspreise führen und die Konkurrenzfähigkeit von Kohleverstromung in den kommenden Jahren erhöhen.“
Gelsenkirchener Kraftwerk-Anwohner müssen noch etwas auf Lärm-Reduzierung warten
Abgesagt ist die Energiewende in Scholven freilich nicht: Das Unternehmen hält an dem Ziel fest, Energie bis 2035 CO2-neutral zu erzeugen. Die bisherige Zeitplanung, die Gas- und Dampfanlage bis 2030 mit grünem Wasserstoff zu betreiben, will Flechtner jedoch auf Nachfrage nicht bestätigen. Möglicher Knackpunkt: Der Hersteller müsse „die Machbarkeit der Umstellung der notwendigen Komponenten“ von Erdgas auf Wasserstoff offenbar noch erforschen. [Lesen Sie auch: OB Welge: Wasserstoff ist für Gelsenkirchen die neue Kohle]
In Folge der durch den Ukrainekrieg entstandenen Energiekrise werden die Anwohnenden also noch etwas auf die erhoffte Entlastung warten müssen, die Uniper mit der Stilllegung der Kohleblöcke und dem Start der Gas- und Dampfanlage verspricht: nicht nur massive Einsparungen an Kohlendioxid, sondern auch weniger Lärm durch Lkw, die das Kraftwerk mit Steinkohle versorgen, sowie durch die Anlage selbst.