Gelsenkirchen. Bei Migranten gebe es oft wenig Vertrauen in den Staat, beobachtet Grünen-Politikerin Irene Mihalic. Macht die Bezahlkarte das nicht schlimmer?

In Gelsenkirchen-Bismarck haben sich Grüne aus ganz NRW zum großen „Vielfaltskongress“ versammelt. Am Rande der Veranstaltung hat die WAZ auch mit der Gelsenkirchener Bundestagsabgeordneten Irene Mihalic darüber gesprochen, wie mehr Menschen mit Migrationshintergrund für Politik begeistert werden können. Drei Fragen an die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion im Deutschen Bundestag:

Frau Mihalic, wie kann man Menschen mit Migrationsgeschichte besser erreichen als jetzt?

Irene Mihalic: Mit Blick auf die Partei sind wir auf einem sehr guten Weg, weil gerade Menschen mit Migrationsgeschichte uns als aufgeschlossene Partei wahrnehmen und sehen, dass sie bei uns willkommen sind und nicht diskriminiert werden. Der andere Punkt: Ich habe hier auf dem Kongress ein Panel mit dem Titel „Polizei in unserer Einwanderungsgesellschaft” moderiert und da ging es am Ende sehr viel um das Thema Vertrauen in staatliche Institutionen. Viele Menschen mit Migrationsgeschichte haben die Erfahrung gemacht: Wer im Auftrag des Staates kommt, der kommt, weil es Probleme gibt – nicht etwa als Dienstleister, der fragt: Wie können wir euch helfen, was können wir tun? Da müssen wir besser werden, um das Vertrauen zu stärken.

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Helfen da Ampel-Beschlüsse wie die Bezahlkarte für Flüchtlinge oder das Rückführungsverbesserungsgesetz, das Durchsuchungen bei Schutzsuchenden vereinfacht?

Das kann für viel Verunsicherung sorgen. Deswegen kommt es natürlich sehr darauf an, dass Modelle wie die Bezahlkarte anständig ausgestaltet sind. In Hannover zum Beispiel ist die Bezahlkarte ein Erfolgsprojekt, weil sie da bürokratische Abläufe vereinfacht hat. Die Geflüchteten müssen nicht mehr anstehen, um sich ihr Bargeld zu holen, sondern sie bekommen es einfach auf ihre Bezahlkarte und können damit auch Bargeld abheben. Es ist nicht diskriminierend, sondern für sie der digitale Zugang zu ihren Leistungen.

Ob „Latinos for Trump“ oder türkische Migranten, die für Erdogan stimmen: Es gibt viele Beispiele für Migranten, die gerade nicht die Parteien wählen, die für mehr Vielfalt stehen. Was bedeutet das für die Grünen?

Auch Menschen mit Migrationsgeschichte haben ganz verschiedene Probleme, für sie steht ja nicht immer zwingend ihre eigene Migrationsgeschichte im Vordergrund, sondern vielleicht auch, dass sie keinen Arbeitsplatz haben oder sie sich vielleicht in ihrem Quartier nicht wohlfühlen. Dann neigen sie vielleicht eher dazu, konservative Parteien zu wählen, die große Sicherheitsversprechen machen. Wir machen also selbst als Mehrheitsgesellschaft den Fehler, Menschen auf ihren Migrationshintergrund zu reduzieren und zu sagen: Solange wir diesen Identitätsaspekt ansprechen, machen wir alles richtig. Aber das halte ich für einen Trugschluss.