Gelsenkirchen. Die Geschäftsführerin des Marienhospitals in Gelsenkirchen, Susanne Minten, über die Reformpläne und die Furcht vorm Kliniksterben.

568 Betten, rund 1300 Beschäftigte – das Marienhospital ist die größte Klinik in Gelsenkirchen. Sie befürchtet, wie viele weitere Häuser im Ruhrgebiet, zum „Grundversorger“ „herabgestuft“ zu werden. Matthias Korfmann sprach mit Geschäftsführerin Susanne Minten über die Reformpläne der Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD, Bund) und Karl-Josef Laumann (CDU, NRW).

Frau Minten, NRW und der Bund wollen die Krankenhauslandschaft reformieren. Ist das nötig?

Minten: Es muss Veränderungen geben. Das hat mit wirtschaftlichem Druck zu tun, mit Fachkräftemangel und auch damit, dass sich immer besser informierte Patientinnen und Patienten bei Bedarf nicht mehr nur ans nächstgelegene Haus wenden.

Was muss sich ändern?

Die bisherigen Strukturen sind aus verschiedenen Gründen nicht aufrecht zu erhalten, wir brauchen einen Abbau von Überversorgung in den Ballungsgebieten und ausreichende Strukturen in den ländlichen Regionen.

Was halten Sie von den NRW-Reformplänen?

Minten: Gut ist, dass die NRW-Reform im Konsens zwischen Kliniken, Kassen, Medizinerverbänden und Pflegekammer entstehen soll. Wir erleben aber, dass die Bereitschaft zu Veränderungen bei einigen Trägern nicht gleich groß ist. Viele möchten möglichst erhalten, was sie haben. Es gibt zu viele Bewerber gerade für spezialisierte und damit finanziell attraktivere Leistungen. Es wird sich aber einfach nicht verhindern lassen, dass einzelne Krankenhäuser vom Markt verschwinden. Unsere Befürchtung ist, dass die Reform zu spät kommt und dass Häuser schon vorher wegen Insolvenz verschwinden.

Ist es dann nicht besser, wenn der Bund endlich Fakten schafft?

Minten: Lauterbachs Reform würde Fakten schaffen. Aber so, wie sie angedacht ist, kann sie nach unserer Auffassung nicht funktionieren.

Warum nicht?

Minten: Weil die Zuordnung der Kliniken zu drei Stufen (Level) - Grundversorger in 2 Stufen (1i und 1n), spezielle Versorger und Maximalversorger -- zum Beispiel dazu führen würde, dass es in einer Stadt wie zum Beispiel Gelsenkirchen nur noch Grundversorger geben würde.

Was bedeutet das: Grundversorger?

Minten: Level 1n sieht die Grundversorgung vor, also eine medizinische und pflegerische Basisversorgung im Bereich der Inneren Medizin und Chirurgie. Alles, was unsere Häuser heute auch ausmacht, zum Beispiel die Geburtshilfe, die Kinderheilkunde, die Orthopädie und Kardiologie würden in den Häuser Level 2 oder Level 3 außerhalb unserer Stadt in wenigen Großkrankenhäusern behandelt. Anstelle der aktuell 1.900 Krankenhäuser in Deutschland gäbe es noch rund 200 Krankenhäuser der Level 2 oder 3. Wie soll es gelingen, diese vielen zusätzlichen Patienten überhaupt zu behandeln?

Wo gäbe es dann in Ihrer Nähe eine große Klinik?

Minten: Das wäre die Uniklinik Essen als „Maximalversorger“ im höchsten Level 3.

Wäre eine Level 1i-Klinik, also eine ohne Notaufnahme, noch ein „richtiges“ Krankenhaus?

Minten: Darüber kann man streiten. Das medizinische Angebot ist sehr reduziert, die ärztliche Präsenz eingeschränkt. Es wäre wohl am Ende kaum mehr als eine ambulante Versorgung mit ein paar Zusatzangeboten.

Lauterbach wirbt für die Level 1-Häuser: Dort werde es die klassische Gemeindeversorgung geben. Diese Häuser würden sogar am stärksten profitieren. Stimmt das?

Minten: Das ist für uns nicht nachvollziehbar. Wenn wir in unseren Krankenhäusern nur noch einen Bruchteil der bisherigen Leistungen erbringen dürfen, dann kann von Profitieren keine Rede sein. Abgesehen davon kann ich mir kaum vorstellen, dass diese Strukturen attraktiv sind für gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Lauterbach sagt auch, die ambulante Versorgung biete neue Chancen für die künftigen Grundversorger. Ist das eine Perspektive?

Minten: Nein, denn hier lässt man außer Acht, dass die ambulante Versorgung in großen Teilen über die niedergelassenen Strukturen gut abgebildet wird. Eine gute Vernetzung und sektorenübergreifendes Arbeiten macht dennoch Sinn.

Der Bund lockt damit, die Kliniken mit „Vorhaltekosten“ großzügig finanziell auszustatten, damit sie nicht mehr nur auf die Fallzahlen schauen müssen. Ist das nicht überfällig?

Minten: Die vorgesehenen Regelungen haben nur leider nicht diesen gewünschten Effekt. Die jetzt angedeuteten Vorhaltepauschalen bedeuteten ja eben nicht eine Abkehr von den Fallpauschalen und dem Druck, über Fallzahlen Umsatz zu erzielen. Der aktuell bestehende und auch weiter existierende wirtschaftliche Druck wird erheblichen Einfluss auf die Krankenhauslandschaft behalten und kann auch zu nicht gewollten Schließungen von Standorten und Angeboten führen. Klar ist: die Krankenhauslandschaft muss sich verändern, aber sie hat heute den großen Vorteil der Nähe zum Patienten.

Wie sähe die Lösung des Problems aus?

Minten: Ich glaube, dass wir die Diskussion über Vorhalteersatz, Level und Leistungsgruppen nicht nur mit dem Blick der Wissenschaft, sondern auch mit dem Blick führen sollten, was brauchen die Menschen, wer kann was am besten und wie bleibt gute Medizin und Pflege bezahlbar. Die Krankenhäuser benötigen ausreichend finanzielle Mittel. Wir sind selbstverständlich offen für Gespräche.

Muss man nicht, wie Lauterbach, auch darüber reden, dass in den Kliniken aus wirtschaftlichen Gründen viele unnötige Operationen durchgeführt werden?

Minten: Die Vorstellung, dass Kliniken untereinander verabreden, wer überflüssige Knie- oder Schulter-OP macht, ist absurd. Das diskreditiert die Arbeit in den Kliniken.

Aber die Fallpauschalen zielen ja auf Masse, oder?

Minten: Dennoch: Wer von überflüssigen Behandlungen redet, der unterstellt Medizinern, Pflegepersonal und Klinikleitungen unethisches Verhalten.

Reicht die Zeit für eine gute Klinikreform?

Minten: Sie wird knapp. Und sollte das große Kliniksterben kommen, dann wird das auch in der Politik vor Ort Spuren hinterlassen. Die würde nämlich Ärger und Unverständnis der Bürger spüren, obwohl sie gar nicht verantwortlich wäre und mitentschieden hätte.