Gelsenkirchen. Gefangen zwischen Fürsorge, Arbeit und Restfamilie: Pflegende Angehörige gehen oft über das Limit hinaus. Diese Rettungsanker gibt es.

Wenn Angelika Arndt bei „ihrer“ alten Dame klingelt, dann kann es sein, dass sie mit strahlenden Augen empfangen wird. Es kann aber auch sein, dass die Seniorin grantig dreinschaut, sie am liebsten gar nicht in die Wohnung lassen mag. Damit kann die ehrenamtliche Helferin umgehen, dafür ist sie geschult worden. Menschen mit kognitiven Einschränkungen, sei es Alzheimer, sei es eine andere demenzielle Erkrankung, können ihre Stimmungen nicht steuern. Die Tagesform entscheidet, ob sie weiß, dass Angelika als Gesellschafterin im klassischen Sinne kommt, um ihr die Tage auf angenehme Art zu verkürzen. Die anderen Tage, an denen ihre Gesellschaft sehnlichst erwartet wird, entschädigen die ehemalige medizinische Fachangestellte Arndt reichlich.

Einen Gang zurückfahren, um Ruhe zu vermitteln

Wie belastend bis unmöglich es ist, Vollzeitarbeit, häusliche Pflege und Familie unter einen Hut zu bekommen, hat sie selbst erfahren, als die Eltern ihres Lebensgefährten betroffen waren. Als sie selbst in den Ruhestand wechselte, beschloss sie, anderen zu helfen, diese Mammutaufgabe zu meistern. Ihnen zu einer kleinen persönlichen Auszeit zu verhelfen. Über die evangelische Apostel-Kirchengemeinde in Bulmke-Hüllen ließ sie sich darauf in Schulungen vorbereiten. Zwei Stunden je Woche und Schützling investiert sie nun gegen eine Aufwandsentschädigung von 12 Euro je Stunde in das Wohlergehen anderer. Absprache mit den Angehörigen gehört dazu, vor jeder neuen Betreuung werden gemeinsam Ziele, Hintergründe aus dem Leben der betreuten Person und auch konkrete Wünsche zu deren verbliebenen Fähigkeiten besprochen. Bei manchen Klienten gibt es auch den Schlüssel zur Wohnungstür, das hängt vom Einzelfall ab. Nur für hauswirtschaftliche Arbeiten wie putzen, kochen oder waschen stehen die Ehrenamtler nicht zur Verfügung.

Sina Geißler (Mitte) koordiniert den Dienst für die Kirchengemeinden, Angelika Arndt (links) und Brigitte Leim engagieren sich, um Angehörige bei der häuslichen Pflege zu entlasten.
Sina Geißler (Mitte) koordiniert den Dienst für die Kirchengemeinden, Angelika Arndt (links) und Brigitte Leim engagieren sich, um Angehörige bei der häuslichen Pflege zu entlasten. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Um bei dem Beispiel zu bleiben: Die alte Dame ist körperlich für ihr hohes Alter noch recht mobil. Um ihr ein wenig Abwechslung zu bescheren, hat Angelika Arndt sie einmal mit zu sich nach Hause genommen. Es habe wirklich gut funktioniert, die Seniorin genoss den Ausflug ebenso wie ihre Gesellschaftsdame, erinnert sie sich. Beim nächsten Treffen jedoch war alles vergessen, wie nie geschehen. Auch damit muss Angelika Arndt umgehen können. Ruhe zu vermitteln im Umgang mit Menschen mit Einschränkungen und so positive Erlebnisse zu schaffen: „Das habe ich schon bei meiner Arbeit im Krankenhaus gemerkt, dass ich mich gut darauf einstellen kann.“

Ich habe viel gelernt von Menschen mit demenziellen Einschränkungen
Brigitte Leim - Ehrenamtliche Helferin

Brigitte Leim hat ihr Herz für betagte Menschen im Seniorenheim entdeckt, wo sie nach ihrer 30-jährigen Tätigkeit als Beamtin an der Rezeption gearbeitet hat. „Die Menschen im Heim haben mir immer gern ihr Herz ausgeschüttet, das war sehr bereichernd“, erinnert sie sich. Ehrenamtlich war Leim zunächst im Hospizdienst aktiv. Doch als ihre Freundin im Hospiz verstarb, brachte sie das nicht mehr über sich. Und so kam sie zum häuslichen Entlastungsdienst der Evangelischen Apostel-Kirchengemeinde.

Geduldig zu bleiben ist für Außenstehende einfacher

Gemeinsam mit Angelika Arndt absolvierte sie den Einführungskurs. „Ich habe viel gelernt von Menschen mit demenziellen Einschränkungen“, sagt sie. „Und ich kann gut zuhören. Auch wenn ich eine Geschichte schon einmal gehört habe.“ Wenn die Kinder dann schon mal sagen ‚Ach Mutter, ich kenne die Geschichte doch!‘, dann könne sie als Außenstehende geduldig bleiben.

Aktuell ist einer von Brigitte Leims Schützlingen ein vergleichsweise junger Mann, der körperlich fit ist. „Mit ihm gehe ich viel spazieren, auch einkaufen. Dabei gab es eine Situation, bei der ich mich sehr erschrocken habe. Er glaubte, seine Schwester erkannt zu haben und klopfte der Frau in einer Bäckerei von hinten kräftig auf die Schulter und begrüßte sie freudig. Aber die Dame hat wunderbar reagiert und ihn herzlich begrüßt, als wäre sie tatsächlich die Schwester.“ Sie habe ihm so den Tag verschönert mit seiner Freude über das Wiedersehen mit seiner (vermeintlichen) Schwester.

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Höchstens zwei Menschen jeweils für zwei Stunden die Woche dürfen die ehrenamtlichen Entlastungskräfte im Dienst der Gemeinde begleiten, die Aufwandsentschädigung sind frei von Sozialabgaben oder Steuern. Diese Stunden können die Angehörigen direkt mit der Pflegekasse abrechnen, sodass ihnen keine Kosten entstehen. Die Zusammenarbeit mit den Angehörigen ist vor allem am Anfang eng. Die Lebensgeschichte des Schützlings soll in die Arbeit einbezogen werden. Wenn es früher Hobbys gab wie Malen oder Reisen, dann wird auch das gern aufgegriffen. Um mögliche Probleme zu besprechen und Erfahrungen auszutauschen, gibt es regelmäßige Fortbildungen und Supervision. Im 21-köpfigen Team, das stadtweit aktiv ist, sind übrigens etwa ein Drittel Männer: in solch einem Ehrenamt eine große Besonderheit.

Wer Genaueres erfahren möchte oder selbst helfen, kann sich an die Koordinatorin Sina Geißler von der Evangelischen Kirchengemeinde wenden unter Telefon 0163-6827111 oder per E-Mail an sina.geissler@apostel-gelsenkirchen.de