Gelsenkirchen. Ein Großhändler will kleine Geschäfte bundesweit nur noch zweimal wöchentlich beliefern: Welche Folgen das für die Inhaber vor Ort hat.
Bücher von heute auf morgen zu bekommen: Womit der Online-Handel wirbt, das praktiziert der stationäre Buchhandel schon seit Jahrzehnten. Nun hat aber der Großhändler Zeitfracht angekündigt, die Übernachtlieferung für kleine Buchhandlungen ab 1. Februar einzustellen. Droht damit Junius, Kottmann, Isensee und dem Existenzgründer Readymade der Tod auf Raten, weil der ungeduldigere Teil der Kundschaft dann nur noch online bestellt? Und wie lief‘s sonst in 2023? Die Redaktion hat nachgefragt – und teils überraschende Antworten erhalten.
Die gute Nachricht vorweg: Nur wer Waren im Nettowert von weniger als 30.000 Euro bei dem Großhändler abnimmt, ist von den Einschränkungen betroffen. Und das ist weder Sabine Piechaczek (Junius) in der Altstadt noch Dirk Niewöhner (Kottmann) mit seinen zwei Standorten in der Altstadt und in Buer.
Gelsenkirchener Kundschaft wegen Stopp der Übernachtlieferungen besorgt
„Wir liegen über diesem Grenzwert“, teilen beide Inhaber mit und betonen: „Unsere Kundinnen und Kunden können ihre Bücher in aller Regel weiterhin einen Tag nach ihrer Bestellung abholen.“ Dass die Nachricht vom Stopp der Übernachtlieferungen für Unruhe gesorgt hat, verhehlt Niewöhner aber nicht. „Es haben sehr wohl etliche besorgt nachgefragt, ob sie auf ihre Bestellungen nun einige Tage warten müssen. Wir konnten diese Sorge dann zum Glück zerstreuen.“
Die Buchhandlung Isensee in Buer, die sich auf Esoterik und Artikel wie Figuren, Kerzen, Öle und Steine spezialisiert hat, wäre „wahrscheinlich von diesem Lieferstopp betroffen, wenn wir denn mit Zeitfracht zusammenarbeiten würden“, so Mit-Inhaber Stefan Isensee. „Da wir aber unsere Artikel über einen Fachgroßhändler ordern und eine Übernacht-Bestellung der Kundschaft die große Ausnahme ist, haben wir mit dieser Unternehmensentscheidung von Zeitfracht kein Problem.“
Wie der Gelsenkirchener Buchhändler-Neuling mit der Ankündigung umgeht
Sogar der Neuling in der Gelsenkirchener Buchhändler-Szene, Start-up Lukas Hermann aus Ückendorf, sieht die aktuelle Entwicklung gelassen: „Da ich mit meinem gerade eröffneten Laden ,Readymade‘ an der Bergmannstraße andere Lieferanten habe und ohnehin fast alles direkt bei den Verlagen bestelle, betrifft mich diese Ankündigung nicht.“ Sein Fokus liege sowieso auf Büchern kleiner Verlage, welche von Großhändlern „leider nicht vertrieben werden.“
Kurz: Weil Zeitfracht ab 1. Februar kleine Buchhandlungen nur noch zweimal wöchentlich per Post beliefert, ist bei Gelsenkirchener Buch-Geschäften kein Sterben auf Raten zu erwarten. Auch unabhängig davon ist die Umsatz-Entwicklung vor Ort offenbar mehr oder weniger zufriedenstellend.
Gelsenkirchener Buchhandlung Kottmann zählt weniger zahlende Kunden in 2023
„Wir machen zwar keine Luftsprünge, aber der Umsatz 2023 liegt immer noch etwas über dem Vor-Corona-Jahr 2019 und damit in etwa auf dem Niveau des Vorjahres“, teilt Sabine Piechaczek (Junius) mit. Belletristik mit dem Schwerpunkt Spannung sei nach wie vor am stärksten gefragt, auf Platz 2 stünden Regionalia, also Schmöker, die in Gelsenkirchen spielen oder von (Ex-)Gelsenkirchener Autoren verfasst wurden –wie etwa Klaus-Peter Wolf, der sich mit seinen Ostfriesenkrimis eine große Leserschaft erarbeitet hat.
Nicht ganz so zufrieden äußert sich Dirk Niewöhner (Kottmann): „Das Weihnachtsgeschäft war schlechter als im Vorjahr. Übers ganze Jahr gesehen kommen monatlich rund 100 zahlende Kundinnen und Kunden weniger als 2022, die geben aber dann mehr Geld aus, auch weil die Buchpreise sich erhöht haben. So ist der Umsatz insgesamt in etwa gleichgeblieben.“ „Interessant“ findet er dabei die Beobachtung, dass der Frequenz-Rückgang in der Buchhandlung in Buer deutlicher zu spüren war als in der Altstadt, die eigentlich als das „schwierigere Pflaster“ gilt.
Buchhandlung Isensee in Gelsenkirchen-Buer meldet Umsatzsteigerungen
Dass es Buchhändlerinnen und Buchhändler in Gelsenkirchen insgesamt schwerer haben als etwa im gutbürgerlichen Münster, ist freilich allen Beteiligten klar. „Die hohe Arbeitslosigkeit hier, die vergleichsweise hohe Zahl an nicht Deutsch sprechenden Migranten und der hohe Anteil von bildungsfernen Schichten schlagen eben durch“, so Sabine Piechaczek.
Stefan Isensee meldet unterdessen sogar Umsatzsteigerungen.. „Die Auswertung ist zwar noch nicht ganz abgeschlossen“, sagt er. Und: „Aber wir sind zufrieden und glücklich mit dem Standort Buer.“ Freilich können er und seine Frau Tina Isensee neben dem Buchhandel zwei weitere Standbeine vorweisen: Die Hälfte des Verkaufsumsatzes mache er mit sogenannten „Non-Book-Artikeln“, also Kerzen & Co. „Außerdem veranstalten wir Esoterik-Messen“, zum Beispiel im Wissenschaftspark, zu denen die Besucherinnen und Besucher teils von weither anreisen.