Gelsenkirchen. Hat Gelsenkirchen genügend Streifenbesatzungen? Nein, sagen Gewerkschafter der Polizei. Denn augenscheinlich ist der Schwund immens.
Drei Explosionen beenden die Nacht vieler Anwohner an der Kanzlerstraße in Gelsenkirchen, als vermummte Täter versuchen, einen Geldautomaten der Sparkasse zu sprengen und Bargeld zu rauben. Das Besondere dabei: Die Polizei war praktisch live am Telefon dabei, weil aufgeschreckte Anwohner der Behörde schilderten und filmten, was gerade gegenüber auf der anderen Straßenseite vor sich geht.
Das Video ist vier Minuten und eine Sekunde lang. Nach Angaben einer Polizei-Sprecherin wurde die Polizei in etwa zum selben Zeitpunkt angerufen, zu dem das Video beginnt. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Täter, denen später die Flucht gelang, schon gewaltsam Zutritt zur Filiale verschafft und sie waren augenscheinlich schon zugange, den Bargeldautomaten für die Sprengungen zu präparieren. Insgesamt gab es drei Detonationen, die vorbereitet und durchgeführt werden mussten. Von Streifenwagen und Polizei ist aber nichts zu sehen oder zu hören.
Gewerkschaft der Polizei: Personalaufbau ist im Wachdienst noch nicht angekommen
Das wirft die Frage auf, ob in Gelsenkirchen nachts überhaupt genügend Streifenbesatzungen vorhanden sind?
Die Polizei in Gelsenkirchen jedenfalls erklärt, dass die Leitstelle nach Eingang des Notrufes unmittelbar erste Maßnahmen eingeleitet und Streifenwagen zum Einsatzort sowie in die Fahndung geschickt hat. „Unsere Priorität lag hier klar auf der Verfolgung des flüchtenden Täterfahrzeuges“, so Sprecher Stefan Knipp, der zudem betont, dass polizeiliches Handeln vor Ort nicht immer erkennbar sei.
Fragt man allerdings bei der Gewerkschaft nach, ob die Polizei genügend Kräfte im Einsatz hat, bekommt man ein eindeutiges „Nein“ zu hören. „Der Personalaufbau ist im Wachdienst noch nicht angekommen“, da sind sich Michael Mertens und Jörg Klink einig. Mertens ist Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Klink Vorsitzender der Kreisgruppe Gelsenkirchen.
NRW-Innenminister Herbert Reul hat zwar angekündigt, mehr Polizeianwärter denn je einzustellen. Ob dies aber reicht, um die Lücken zu füllen, ist fraglich, weil Bewerber nicht selten ungeeignet sind und nicht jede(r) Kandidatin/Kandidat am Ende den Abschluss schafft.
Die Polizeipräsidien in NRW haben zwar Verstärkung bekommen, das Plus macht sich allerdings „in der Regel nur durch die hohe Anzahl der Tarifbeschäftigten bemerkbar“, kritisiert der GdP-Landeschef. Ein Planstellen-Plus von 5,5 bei den Beamten und 1,27 bei den Regierungsbeschäftigten hat die jüngste Kräfteverteilung für Gelsenkirchen ausgeworfen. Deutlich besser schneiden die größeren Nachbarbehörden Bochum (+25,62 bei den Vollzugsbeamten), Essen (+23,24) oder Dortmund (+29,99) ab.
Details zu Personalstärken und sogenannten Einsatzmitteln, zu denen eben auch Streifenwagen zählen, sind ein sensibles, weil sicherheitsrelevantes Thema. Deshalb werden solche Angaben unter anderem „aus taktischen Erwägungen von der Polizei“ nicht genannt, wie die Behörde in Gelsenkirchen auf Anfrage mitteilt.
Michael Mertens bezifferte mit Blick auf frühere Jahre den Schwund so: „Der Wachdienst ist um zehn Prozent zurückgefahren worden.“ Effektiv dürfte die Zahl wesentlich höher liegen, wenn man sich vergegenwärtigt, wie eine Stadt wie Gelsenkirchen früher, also vor zwanzig bis dreißig Jahren, polizeilich aufgeteilt worden ist.
Ausmaß des Schwundes: Anzahl der Streifenwagen hat sich in Gelsenkirchen fast halbiert
Ehemals gab es drei Schutzbereiche, also drei Haupt- und drei Nebenwachen. An den Nebenwachen waren vormals jeweils ein Streifenwagen stationiert, an den Hauptwachen in etwa mehr als ein halbes Dutzend. Heute sind es mit dem Präsidium Buer und der Wache an der Wildenbruchstraße nur noch zwei Hauptwachen übriggeblieben. Kennern zur Folge korrespondiert der Schwund an Infrastruktur ungefähr mit dem Verlust an Polizeipräsenz in der Emscherstadt. Demnach hat sich die Zahl der Streifenwagenbesatzungen fast halbiert.
Michael Mertens und Jörg Klink bedauern die zurückgegangene Sichtbarkeit der Polizei in der Öffentlichkeit. Denn Präsenz bedeutet den erfahrenen Polizeibeamten und Gewerkschaftern zufolge auch eine stärkere Abschreckung potenzieller Täter. „Das Risiko aufzufliegen, ist höher“, sagt Mertens.
Zurück zur Geldautomatensprengung. Der GdP-Landeschef ist sich sicher, dass ein aufgestockter Wachdienst die Geldautomaten-Sprenger „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ dingfest hätte machen können.
Bei Geldautomatensprengungen fällt noch eine weitere Komponente ins Gewicht. Weil NRW seit Jahren meist von Banden aus den Niederlanden heimgesucht wird, die dann auch quer durch die Region flüchten, obliegt die Zuständigkeit für solche Taten der überregional zuständigen Polizeidirektion Münster. Dazu greift nach Angaben der Polizei „ein landesweites Konzept, an dem verschiedene Polizeibehörden mit unterschiedlichen Aufgaben beteiligt sind“. Ob Abstimmungsprobleme die polizeilichen Maßnahmen zur Ergreifung der flüchtigen Geldautomaten-Sprenger hier in Gelsenkirchen verzögerten, ist bislang unklar.