Gelsenkirchen. Die Hauptstraße in Gelsenkirchens City hat eine besondere Bedeutung für die Innenstadt. Nun schlagen die Händler Alarm – das sind die Gründe.

Es ist ein wenig der Charme eines alten Gelsenkirchens, ein wenig der Charme von längst vergangener Zeit: die Hauptstraße inmitten der City, auch heute noch geprägt durch den inhabergeführten Einzelhandel. Doch auch hier vollzieht sich der Wandel, der nicht nur in den Gelsenkirchener Zentren merklich zu spüren und auch zu sehen ist: Entstanden ist mittlerweile eine komplizierte Gemengelage, die die Händlerinnen und Händler vor Herausforderungen stellt.

„Viertel im ungebremsten Sinkflug“: Geschäftsleute an der Hauptstraße schlagen Alarm

„In den vergangenen sechs bis acht Jahren hat eine katastrophale Entwicklung stattgefunden und es ist klar, dass man das nicht so einfach umdrehen kann. Aber man muss zumindest mal anfangen“, sagt Optiker Axel Oppermann und spricht damit für einige der alteingesessenen Geschäftsleute an der Hauptstraße. Vor wenigen Wochen haben sich eben diese Geschäftsleute mit einem offenen Brief an Oberbürgermeisterin Karin Welge gewandt: „Wir müssen mit Schrecken beobachten, dass sich unser Viertel gefühlt seit zehn Jahren in einem ungebremsten Sinkflug befindet. Das liegt sicher nicht an den wenigen Leerständen, sondern eher an den vielen Fehlbelegungen. Als Stadt kann man Immobilieneignern natürlich nicht vorschreiben, an wen zu vermieten ist“, heißt es darin. Aber man könnte durch die Wirtschaftsförderung „beratend und moderierend begleiten“.

Es geht den Geschäftsleuten vor allem um das äußere Erscheinungsbild – geregelt in Form der Gestaltungssatzung, die für den Handel verbindlich gilt. „Außendarstellung, Außenreklame sowie Warenpräsentation unterliegen klaren Regeln, die in der Gestaltungssatzung (Mai 2008, Reform Februar 2022) beschrieben sind und an die man gebunden ist. Dies wird aber seit jeher weder kontrolliert noch bei Verstößen sanktioniert. Dementsprechend schaut es im Viertel, in der Hauptstraße, Hansemannstraße und am Alten Markt auch aus“, beklagt der Zusammenschluss von einigen Händlerinnen und Händlern die Situation im Quartier. Und sie beklagen auch: Mangelnde Unterstützung der Wirtschaftsförderung und anderer Referate, etwa wenn es um Kontrollen zur Einhaltung der Gestaltungssatzung gehe.

Hinzugekommen sind in den vergangenen Jahren Boutiquen und Läden, die mit vergleichsweise günstigen und entsprechenden Textilien für Frauen werben, die Kopftuch tragen. Ein Barbier, ein Handyshop, ein Gebrauchtmöbelhändler und der Billigwaren-Discounter Tedi haben sich ebenfalls beispielsweise dort angesiedelt. Auffällig sind die Werbeschilder und Schaufenster-Texte auf Arabisch und die insgesamt wenig wertig wirkende Darstellung.

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Auf Nachfrage bei der Stadt heißt es: „Die Umsetzung der Gestaltungssatzung im Quartier Hauptstraße wird, vor allem was die Warenpräsentation angeht, regelmäßig anlassfrei und, was die baulichen Aspekte angeht, dann nach Hinweisen im Wesentlichen anlassbezogen kontrolliert.“ Bei Verstößen werde zunächst der direkte Kontakt zu den Gewerbetreibenden und Eigentümern aufgenommen, die dabei hinsichtlich der Gestaltungsrichtlinien beraten und zur satzungskonformen Gestaltung aufgefordert werden würden, so Stadtsprecher Jan Totzek weiter.

Insbesondere auf der Hauptstraße seien in den vergangenen Monaten kontinuierlich Werbeanlagen geändert oder so zurückgebaut worden, dass eine satzungskonforme Gestaltung erreicht worden sei. „Die einzelnen Objekte wurden Anfang November durch Baukontrolleure besichtigt und fotografisch erfasst“, berichtet Totzek weiter.

Sofern Gewerbetreibende trotz der Aufforderung zur Nachbesserung weiterhin gegen die Vorgaben der Gestaltungssatzung zur Warenpräsentation verstoßen, würde die Erlaubnis zur Sondernutzung widerrufen. In letzter Konsequenz drohen dann Bußgeldverfahren. „Auch im Bereich der Hauptstraße wurden in der Vergangenheit bereits entsprechende Verfahren gegen auffällige Gewerbebetriebe eingeleitet“, erklärt Jan Totzek.

Gelsenkirchener Hauptstraße war lange vor der Bahnhofstraße das Zentrum der Stadt

„Die Hauptstraße war lange vor der Bahnhofstraße das Zentrum der Stadt und erste Lage“, wirft Michael Karutz von der Wirtschaftsförderung zur Einordnung einen Blick zurück. Der 60-Jährige ist Ur-Gelsenkirchener, rund um die Hauptstraße liegt das Viertel, in dem er groß geworden ist. Er hat sich lange mit der Geschichte der Straße beschäftigt und weiß: Die Entwicklung der Bahnhofstraße in den Jahren um 1850/1860 bedeutete den ersten Strukturbruch – und es sollten weitere folgen. Kleinteiliger, mittelständischer Handel prägte das Bild der Hauptstraße, über die Kriege hinweg ging sie gestärkt in die Nachkriegsjahre. Es seien immer die Spezialisten gewesen, die diesen Teil der Innenstadt geprägt hätten.

Und auch heute noch kann das kleine Einkaufsquartier mit Slogans wie „Traditionslage mit Charme“ werben, Traditionsgeschäfte wie eben Optik Oppermann, das Bio-Körbchen oder die Buchhandlung Junius sind fester Bestandteil und das schon seit langer Zeit. Seit etwa zehn Jahren sehe sich die Hauptstraße aber „veränderten Rahmenbedingungen gegenüber“, wie Karutz es nennt, größere Leerstände bestimmten nun das Erscheinungsbild. Die Wirtschaftsförderung spricht auch von einem „Spannungsfeld in der Lage“: Es geht dabei um die Eigentümer, vor allem aber um die neuen Mieter.

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„Unser Einfluss als Wirtschaftsförderung ist leider begrenzt“, erklärt auch die neue Chefin des Referats, Dr. Uta Willim. Das Problem sei beispielsweise, dass es seitens der Eigentümer eine hohe Diversität gebe, teils haben sie ihren Wohnsitz im Ausland, etwa in den Niederlanden oder Russland. Es sei oftmals schwierig, an die Eigentümer „heranzukommen“. Nur noch weniger als eine Handvoll leben in Gelsenkirchen.

Daneben sei Ziel der Wirtschaftsförderung eben auch, „Kümmerer“ zu sein, wie Uta Willim es nennt. Und das nicht nur für die Händler an der Hauptstraße. „Wir sehen zu, dass wir mit unserem Team vor Ort sind“, so Willim weiter. Das haben sie mittlerweile in die Tat umgesetzt: Nach dem offenen Brief habe es ein gemeinsames Treffen gegeben, wie auch Axel Oppermann berichtet. „Wir kommen jetzt erstmal ein Stück weiter, wir sind auf einem guten Weg“, sagt er.

„Diese Innenstadt wird in fünf bis zehn Jahren völlig anders aussehen“, so die Überzeugung der Wirtschaftsförderung. Nun sei es an allen Beteiligten, die Innenstadt darauf vorzubereiten, dass sie „viel multifunktionaler und resilienter sein muss“.