Gelsenkirchen. Weihnachtslieder singen angesichts des Todes? Ein Besuch im Gelsenkirchener Emmaus-Hospiz, das zum festlichen Konzert eingeladen hat.

Weihnachten lässt fast niemanden kalt. Es ist das emotionalste aller Feste, verbunden mit Kindheitserinnerungen, Familiengeschichten und auch mit Stress. Für die Gäste, wie das Emmaus-Hospiz seine Patienten nennt, wird dieses wohl das letzte Weihnachtsfest sein. Sie sind Gäste in diesem Haus, weil es keine medizinische Aussicht auf Genesung gibt, sie in sehr überschaubarer Zeit damit rechnen müssen, zu sterben. Die frohe Botschaft von Christi Geburt: Was macht sie mit diesen Menschen? Mögen sie diese noch hören, gar feiern?

Ein extrem emotionales Erlebnis

Das Hospiz-Team weiß: Das fühlt sich für jeden Gast anders an. Mancher hat regelrecht Angst vor dem Fest, vor den Erinnerungen, andere genießen es, genau das noch erleben zu dürfen. Und manchmal ändern sich die Gefühle von einem auf den anderen Tag, manchmal gar von Stunde zu Stunde. Die WAZ Gelsenkirchen durfte beim festlichen Weihnachtskonzert dabei sein; auch für die Reporterin ein sehr emotionales Erlebnis.

Es ist das erste „MuT-Konzert“ im Emmaus-Hospiz in Resse. Die eigens dafür gegründete Veranstaltungsagentur MuT hat das „Alle Jahre Lieder“-Konzert zusammengestellt. Es ist das zweite Konzert in einem Hospiz. Die positive Resonanz bei der Premiere hat das Veranstalter-Paar Lübbers und das Gelsenkirchener Hospizteam rund um Pflegedienstleiterin Sandra Nikolowski und Sozialarbeiter Michael Rohr davon überzeugt, es nach Resse einzuladen. Auf der sehr kleinen Bühne im prall gefüllten Saal präsentieren Musical-Sängerin Marion Wilmer im festlichen Outfit und Christian Heckelsmüller (Komponist, Pianist und Sänger) einen bunten Strauß deutscher und internationaler Weihnachtslieder und Hits. Es gibt Texthefte zum Mitsingen und ein sehr herzliches, warmes Willkommen.

Mal besinnlich, mal mitreißend: Dem Gesangsduo gelang die Gratwanderung,  den Gästen, dem Team und den Freunden des Hauses  eine positive Feststimmung zu bescheren.   Foto: Oliver Mengedoht / FUNKE Foto Services
Mal besinnlich, mal mitreißend: Dem Gesangsduo gelang die Gratwanderung, den Gästen, dem Team und den Freunden des Hauses eine positive Feststimmung zu bescheren. Foto: Oliver Mengedoht / FUNKE Foto Services © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Manchen Gast hat kurz vor Konzertbeginn der Mut verlassen

Im Publikum sitzen ehrenamtliche Helfer, Angehörige und engagierte Erler, die das Haus gern unterstützen, vom Bürgermeister Wilfried Heidl über Politiker und Schulleiter. Auch eine Gästin ist dabei, begleitet von ihrer Familie, alle festlich gekleidet. Wir nennen sie Christa, sie heißt anders, möchte aber anonym bleiben. Sie hat sich sehr auf das Konzert gefreut. Ob sie das komplette Programm durchsteht; sie weiß es nicht. Es gibt eigens zwei Pausen, um Ermüdeten Gelegenheit zur Rückkehr ins Zimmer zu geben. Eigentlich waren es mehrere Gäste, die sich auf das Konzert gefreut hatten. Doch in letzter Minute hat sie der Mut verlassen..

Annette Simiot, Hannah Smudo und weitere Helfer haben für den Abend Köstliches gebacken. Foto: Oliver Mengedoht/ FUNKE Foto Services
Annette Simiot, Hannah Smudo und weitere Helfer haben für den Abend Köstliches gebacken. Foto: Oliver Mengedoht/ FUNKE Foto Services © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Vor dem Saal stehen die ehrenamtliche Helferinnen – zwei von mehr als 30 – Annette Simiot und Hannah Smudoh. Letztere absolviert ein freiwilliges Soziales Jahr im Haus. Sie möchte danach den Bestatterinnenberuf lernen. Alle weihnachtlichen Leckereien, die hier angeboten werden, stammen aus heimischen Küchen der Mitarbeiter.

Videos und Bilder aus Gelsenkirchen finden Sie auch auf unserem Instagram-Kanal GEtaggt. Oder abonnieren Sie uns kostenlos auf Whatsapp und besuchen Sie die WAZ Gelsenkirchen auf Facebook.

Erst an diesem Tag ist ein Gast verstorben, auch gestern gab es einen Todesfall. Noch bevor das Konzert beginnt, wird der Arzt in ein Gäste-Zimmer gerufen. Der Hospiz-Alltag geht weiter, auch wenn die ersten Mutmach-Töne aus dem Saal erklingen. Mariah Careys „All I want for Christmas“ schallt durchs Haus, manches Knie im Publikum wippt im Takt. „Alles, was ich mir zu Weihnachten wünsche, bist Du“: Tatsächlich, auf Geschenke spekuliert wohl kaum jemand. Im Stationszimmer stellt Pflegefachkraft Jörg die Medikamente für die Nacht, Kollegin Liana Zibert bringt das Abendessen auf ein Zimmer.

Brennt ein Licht vor einem Gästezimmer, so leuchtet es für einen hier frisch Verstorbenen. Der Tod macht auch vor dem Fest nicht halt.  Foto: Oliver Mengedoht / FUNKE Foto Services
Brennt ein Licht vor einem Gästezimmer, so leuchtet es für einen hier frisch Verstorbenen. Der Tod macht auch vor dem Fest nicht halt. Foto: Oliver Mengedoht / FUNKE Foto Services © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Als das erste Weihnachtslied erklingt und Mitsingen angesagt ist, rascheln die Programmhefte und jeder Pfarrer in der Kirche würde vor Neid erblassen angesichts des sangesfreudigen Publikums. Beim „Hallelujah“ allerdings muss doch mancher schlucken, manches Auge glitzert verdächtig. Zwei Gäste haben jetzt ihre Türen geöffnet, um die Musik vom Zimmer aus zu genießen.

Es gibt selten so erfüllende und dankbare Aufgaben
Esther Nöthe

Die erste Programmpause nutzt Christa, um sich wieder in ihr Zimmer zurückzuziehen. Sie ist müde, erschöpft, muss ausruhen. Aber es hat ihr gutgetan, dabei zu sein, versichert ihre Angehörige. Im Stationszimmer ist gerade ein wenig Ruhe eingekehrt. Das Pflegeteam ist zu dritt, das ist fast immer die Mindestbesetzung. Der Personalschlüssel klingt im Vergleich zu Senioreneinrichtungen oder Krankenhäusern paradiesisch, allerdings sind ja auch die Anforderungen sehr besonders. Das Team weiß zu schätzen, was die Arbeit hier mit sich bringt. Sie alle haben den Vergleich mit früheren Arbeitsplätzen.

Auf Spenden angewiesen

Hospizarbeit ist fast überall auf Spenden angewiesen, da die Einrichtungen (mindestens) fünf Prozent der Aufwendungen durch Spenden einsammeln müssen. Auch ehrenamtliche Helfer sind jederzeit willkommen. Für Interessierte gibt es zuvor Schulungen. Informationen gibt es telefonisch unter 0209 5078860 oder unter emmaus-hospiz-gelsenkirchen.de.

Wer die Arbeit unterstützen möchte, kann seine von der Steuer absetzbare Spende an den Förderverein
Emmaus-Hospiz St. Hedwig Resse e.V, Konto IBAN: DE88 4205 0001 0101 1633 63 bei der Sparkasse Gelsenkirchen oder bei der Volksbank Ruhr Mitte an die IBAN DE08 4226 0001 0154 3517 00 überweisen. Wer einen Nachweis wünscht, muss eine Adresse angeben.

„Es gibt selten so erfüllende und dankbare Aufgaben“, versichert Esther Nöthe. Ob die kommende Nacht eine stille Nacht sein wird: Auch das Team weiß es nicht. Jeder geht hier auf eigene Art liebevoll begleitet dem Lebensende entgegen. Vorhersehen oder gar planen lässt sich dabei nur Weniges.