Gelsenkirchen. 2003 war der Gelsenkirchener WAZ-Redakteur Matthias Heselmann Gast bei „Wer wird Millionär?“ – genauso wie Richard David Precht. So lief es.
- Auf einem der heißesten Stühle im deutschen Fernsehen saß WAZ-Redakteur Matthias Heselmann in Jahr 2003.
- Um 500.000 Euro spielte der damals 29-Jährige bei „Wer wird Millionär“ mit Günter Jauch.
- Matthias Heselmann erinnert sich: so lief sein Auftritt damals bei RTL.
Wissen Sie, was ein Deut ist? Beziehungsweise, was die Bedeutung dieses Wortes ist, das man etwa aus der Redewendung „keinen Deut besser“ kennt? Bis vor 20 Jahren wusste ich das auch nicht. Heute weiß ich’s – und werde es nie wieder vergessen. Hätte ich es nämlich vor 20 Jahren gewusst, wäre ich um 500.000 Euro reicher geworden. Mindestens.
Das ist die Geschichte, wie ich, heute Lokalredakteur bei der WAZ, damals 29 Jahre alt und Langzeitstudent, einmal auf einem der heißesten Stühle im deutschen Fernsehen saß, im Studio der Sendung „Wer wird Millionär?“. Und wie ich es nebenbei geschafft habe, Richard David Precht alt aussehen zu lassen. Aber das habe ich erst viel später erfahren.
Mit dem Zug von Gelsenkirchen ins Studio bei Köln
Geschichten soll man bekanntlich vorne beginnen. Also: 2003 befand ich mich in der Endphase meines zugegebenermaßen recht langen Studiums, jobbte nebenbei als freier Mitarbeiter bei der Buerschen Zeitung und schaute regelmäßig „Wer wird Millionär“. Und wie die meisten Zuschauer habe ich natürlich auch regelmäßig gedacht: „Das weiß ich doch alles – ich müsste da auch mal sitzen.“
Damals konnte man sich per SMS um eine Teilnahme bewerben, und ein paar Mal habe ich das versucht, mehr so aus Spaß. Doch irgendwann klingelte mein Handy – und es meldete sich ein Redakteur der Sendung. Aus dem Stand musste ich einige, gar nicht so leichte, Quizfragen beantworten, dann unterhielten wir uns eine Weile – wahrscheinlich wollte er herausfinden, ob ich in der Lage war, mehrere Sätze am Stück unfallfrei geradeaus zu sprechen. Offenbar hinterließ ich einen guten Eindruck, denn nur wenige Tage später saß ich gemeinsam mit meiner damaligen Freundin im Zug nach Köln beziehungsweise Hürth, wo die Sendung aufgezeichnet wird. Ziemlich aufgeregt, versteht sich.
Nervige Kandidatin nimmt sich viel zu viel Zeit für ihre Antworten
2003 war die Hochzeit der Quizsendung, die 1999 in Deutschland gestartet war: Drei Sendungen pro Woche strahlte RTL damals aus. Alle drei Sendungen wurden am Dienstag der Vorwoche hintereinander aufgezeichnet. In Hürth angekommen, lernte ich die neun anderen Kandidaten kennen, die mit mir in der Auswahlrunde sitzen würden – darunter auch ein junger Mann mit schönen Haaren und sehr selbstbewusstem Auftreten, der sich sehr sicher war, auf dem Stuhl gegenüber von Günther Jauch zu landen.
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Den Moderator selbst lernte ich erst kurz vor Beginn der Sendung kennen: Als wir schon alle auf unseren Plätzen saßen, kam Günther Jauch, schüttelte allen kurz die Hand – und dann ging’s auch schon los. Aus der letzten Sendung war eine Kandidatin übrig geblieben, die sich fürchterlich viel Zeit für jede Antwort ließ: Zuhause hätte ich vermutlich genervt umgeschaltet. Als die Kandidatin endlich aufgab, schien die Sendezeit schon fast vorbei – doch als die „Sortierfrage“ kam, die entscheiden sollte, wer auf den Stuhl in der Mitte kommt, stand ich auf dem Schlauch: Es galt, Oscargewinnerinnen chronologisch zu sortieren – keine Ahnung, ich lag daneben, ein anderer Kandidat wurde in die Mitte gebeten.
Kleine Lateinstunde mit Günther Jauch
Das war’s, dachte ich resigniert – doch Wunder, oh Wunder: Der arme Kandidat scheiterte schon an der 500-Euro-Hürde, nach wenigen Minuten war seine Zeit schon abgelaufen. Schlecht für ihn, gut für mich. Wir anderen erhielten eine zweite Chance, und die nutzte ich: Wichtige Ereignisse aus den 1980er-Jahren musste man in die richtige Reihenfolge bringen, das konnte ich, auch in der nötigen Schnelle. Man sieht mich verdutzt in die Kamera blinzeln, als ich da auf einmal neben Günther Jauch stand und auf dem besagten Stuhl Platz nahm. Verwundert auch darüber, dass der junge Mann mit dem selbstbewussten Auftreten es nicht geschafft hatte.
Das Erstaunliche: Als ich als einer von zehn Kandidaten in der Runde saß, hatte ich gefühlt einen Puls von 160 – jetzt war ich die Ruhe selbst. Und konnte die Situation sogar genießen. Die ersten Fragen: Alles kein Problem, schnell war ich bei 16.000 Euro. Und plauderte ganz entspannt mit Jauch, der mich genüsslich gegen die Wand laufenließ, als ich bei einer Frage (es ging um die Herkunft des Wortes „Domino“ aus dem gleichnamigen Spiel) mit angeblich vorhandenem Lateinwissen protzte: Die Frage beantwortete ich zwar richtig, versagte aber auf ganzer Linie, als er mich anschließend zum Deklinieren des Wortes aufforderte.
Wo liegt denn die deutsche Exklave Büsingen?
Es lief also gut, alle hatten Spaß. Ehe ich viel Zeit zum Nachdenken hatte, standen 125.000 Euro auf dem (noch) virtuellen Konto. Bei der 125.000-Euro-Frage musste ich etwas pokern: In welchem Land die deutsche Exklave Büsingen liege, wollte Jauch wissen – ich musste mich zwischen Belgien, Polen, Tschechien und Schweiz entscheiden und wählte die Schweiz, ohne ganz sicher zu sein. Das war richtig, und zu meinem Glück war die Sendezeit danach abgelaufen – Zeit also, einmal tief durchzuatmen und alles sacken zu lassen.
Da an diesem Tag drei Sendungen in Folge aufgezeichnet wurden, konnte ich gleich dableiben und musste nur das Hemd wechseln – für die Zuschauer würden einige Tage zwischen den beiden Folgen liegen, und die sollten ja nicht den Eindruck bekommen, ich hätte nur ein Hemd. Immerhin legte ich mir in dieser Zeit eine einfache Strategie zurecht: Sollte ich die Antwort der nun folgenden 500.000-Euro-Frage nicht zu 100, nein, zu 1000 Prozent wissen, würde ich gar nicht erst lange herumraten, sondern sofort das bisher erspielte Geld – immerhin 125.000 Euro, mehr als ich jemals besessen hatte – mitnehmen. Einen Joker hatte ich da nicht mehr.
„Den Rest habe ich einfach verprasst“
Und so kam es auch: Was denn die Bedeutung des Wortes „Deut“ wäre, wollte Jauch wissen: A) ein altes Längenmaß, B) ein Apothekergewicht, C) eine holländische Münze oder D) getrockneter Fisch. Ich hatte nicht den Hauch einer Ahnung, fand alle Antworten gleich wahrscheinlich – und war einerseits ein bisschen enttäuscht, zum größten Teil aber erleichtert, dass mir die Entscheidung so leicht gemacht wurde. Ich sagte danke und nahm das Geld. Richtig gewesen wäre übrigens die holländische Münze – wie viele Freunde und Bekannte das gewusst hätten, habe ich an den folgenden Tagen erfahren. Sei’s drum.
„Du warst doch beim Jauch“: Das habe ich in der nächsten Zeit dann oft gehört. Doch der kleine Hauch von Prominenz verflog (zum Glück) wieder schnell. Die Aufzeichnung der Sendung habe ich im Sommer darauf meiner ersten Bewerbung um ein Zeitungsvolontariat angehängt: Das hat funktioniert, ich bekam den Job. „Was hast Du denn mit dem Geld gemacht?“, wollen auch immer viele Menschen wissen. Bei der Antwort zitiere ich immer den legendären irischen Fußballspieler George Best: „Ich habe viel Geld für Alkohol, Frauen und schnelle Autos ausgegeben, den Rest habe ich einfach verprasst.“
Ach so, eine Sache war da ja noch. Vor etwa drei Jahren zappte ich einmal durch die Kanäle und blieb beim Prominentenspecial von „Wer wird Millionär?“ hängen. Zu Gast: Richard David Precht, Philosoph für alle Lebenslagen. Es sei ja nicht das erste Mal, dass Precht in diesem Studio sei, erwähnte Jauch; Nein, sagte Precht und berichtete, dass er vor vielen Jahren, als ihn noch niemand kannte, einmal als Kandidat da gewesen sei – allerdings habe er es nicht auf den Stuhl in der Mitte geschafft. Im November 2003 sei das gewesen – auf meiner Couch wurde ich hellhörig. Warum nicht?, wollte Jauch wissen: Er sei bei der Auswahlfrage nicht schnell genug gewesen, sagte der Philosoph. „Es ging darum, Ereignisse aus den 80er-Jahren zu sortieren“, so Precht. „Ich wusste das alles, aber jemand anders war schneller – wahrscheinlich hat er einfach nur Knöpfe gedrückt und lag zufällig richtig.“
Nein, Herr Precht, Sie junger, selbstbewusster Mann von damals mit den schönen Haaren. Ich wusste das auch. Ich war nur schneller. Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmals im November 2023.