Gelsenkirchen. In Gelsenkirchen war Comedian Michael Mittermeier gewohnt angriffslustig. Aber die besten Pointen schreibt nicht er, sondern das Leben.

  • Michael Mittermeier (57) ist erneut in der Gelsenkirchener Heilig-Kreuz-Kirche zu Gast gewesen.
  • Kritik an der Kirche, den Klimaklebern und Hubert Aiwanger: Der Comedian reagierte wieder auf viele aktuelle Ereignisse.
  • Für die überraschendste Pointe aber sorgte ein 14-jähriger Zuschauer, der extra aus Cuxhaven angereist war. Allerdings nicht primär wegen Mittermeier ...

Michael Mittermeier zählt zu jenen Comedians, die nicht einfach nur starr und stur ihr fertig ausgetüfteltes Programm durchziehen. Nein, er reagiert viel lieber spontan auf aktuelle Ereignisse. Genau deshalb erlebte das Publikum am Mittwoch in der Heilig-Kreuz-Kirche auch eine spürbar veränderte Show des Alleinunterhalters im Vergleich zum Vorjahr, als der 57-Jährige schon einmal mit „#13“ in Gelsenkirchen aufgetreten war. Doch auch in diesem aufgehübschten Gewand versprühte der Abend einen unwiderstehlichen Witz und Charme.

Bei Michael Mittermeier heißt Gelsenkirchen nur noch „Lachgas City“

Um den Funken in den Zuschauerraum überspringen zu lassen, braucht es für den bajuwarischen Pointen-Jäger nicht viel. Auf der Bühne steht nichts außer einem Mikrofonständer und dem Tourplakat in Riesenformat. Mittermeier selbst tritt unprätentiös in Jeans, T-Shirt und Turnschuhen um kurz nach 19 Uhr ins Scheinwerferlicht. Und tauft Gelsenkirchen gleich zum Start in „Lachgas City“ um. Schließlich sei es bundesweit durch die Presse gegangen, dass dies offensichtlich die neue Partydroge Nummer eins hier sei. Entsprechend süffisant zieht er seine Gastgeberstadt gleich mal heftig und kräftig durch den Kakao.

Doch auch vor seiner Heimat macht Mittermeier nicht Halt: Erwartungsgemäß bekommt Hubert Aiwanger den Spott gleich kübelweise ab. In den vergangenen fünf Jahren habe er dem nicht-bayrischen Publikum stets erklären müssen, wer das denn überhaupt sei. Doch seitdem der Chef der Freien Wähler und stellvertretende Ministerpräsident des südlichsten Bundeslandes aufgrund eines antisemitischen Flugblatts in die Negativ-Schlagzeilen geraten war, kannte man ihn über Nacht auch im Rest der Republik.

„Ich höre dem gern zu“, bekennt der Mann mit dem grau-weißen Kurzhaarschnitt. Und fügt nach der genau getimten Kunstpause hinzu. „Nicht inhaltlich! Nur akustisch.“ Um dann Aiwangers kaum verständlichen Sing-Sang-Dialekt perfekt zu imitieren. Großes Gelächter!

Wenn Diesel-Fahrer und E-Auto-Besitzer aufeinandertreffen

Michael Mittermeier hatte sein Programm „#13“ im Vergleich zum Vorjahresauftritt in Gelsenkirchen spürbar verändert.
Michael Mittermeier hatte sein Programm „#13“ im Vergleich zum Vorjahresauftritt in Gelsenkirchen spürbar verändert. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Bei der Auswahl seiner verbalen Zielscheiben gibt sich Mittermeier nicht allzu wählerisch. Ob Klimakleber, Österreicher oder die Verantwortlichen für die Regeln zum legalisierten Kiffen: Sie alle bekommen ihr Fett weg. Zu den Höhepunkten vor der Pause zählt sicherlich die Tankstellen-Begegnung Mittermeiers als Fahrer einer alten Diesel-Schleuder mit einem Tesla-Fahrer. Der E-Auto-Besitzer hätte ihn breitbeinig mit den Worten angemault: „Du Dieselamist!“ Doch auch der Konter saß: „Du Benzin-Veganer!“

Wir taggen GElsen: Videos und Bilder aus Gelsenkirchen finden Sie auch auf unserem Instagram-Kanal GEtaggt und auf TikTok. Oder besuchen Sie die WAZ Gelsenkirchen auf Facebook.

Im Programm beließ Mittermeier seine Kritik an der katholischen Kirche als Institution und schilderte genau wie im Vorjahr noch einmal eindringlich, warum er und seine Frau ihre vier Fehlgeburten nicht offiziell begraben, sondern nur in einem anonymen Massengrab bestatten durften. Weil diese Kinder noch nicht getauft gewesen seien, hätten sie zu hören bekommen. Auch, weil Missbrauchsvorwürfe nur schleppend oder gar nicht aufgearbeitet werden und wurden, sind es die kirchlichen Würdenträger, denen Mittermeier so gnadenlos wie keinem anderen den Spiegel vorhält. So auch an diesem Abend wieder.

Von „Love Island“ bis zur wahnwitzigen Internet-Jagd nach „Likes“

Nach der Pause ist die Social-Media-Manie der Deutschen an der Reihe. Ein „Like“ unter einem Internet-Beitrag sei die neue gefährliche Droge, die sofort abhängig mache, warnt Mittermeier. „Und zwar noch schlimmer als Lachgas“, spannt er gekonnt den Bogen zum Programmeinstieg.

Doch auch Gespräche mit dem Publikum kommen nicht zu kurz. Erst parliert Mittermeier voller Inbrunst und Detailkenntnis mit einer jüngeren Frau in der zweiten Sitzreihe über die TV-Show „Love Island“, aufgenommen im berüchtigten RTL-II-Atoll. Weil die Sendung aber kaum einer kannte (oder es nicht öffentlich zugeben wollte), stellte der Comedian klar: „Das ist wie ein Abführmittel fürs Gehirn.“

Gleich mehrmals nimmt Mittermeier den Kontakt zum 14-jährigen Levin auf, der ebenfalls ziemlich weit vorne sitzt. Doch anders als vermutet, ist der Teenager gar kein Lokalmatador. Sondern mit den Eltern aus Cuxhaven angereist. „Extra für mich?!?“ fragt Mittermeier mit einer Mischung aus Rührung und Stolz. „Nein“, entgegnet der junge Mann ebenso ehrlich wie knochentrocken. Man sei hauptsächlich wegen des BVB-Fußballspiels am Freitag gegen Bremen angereist. Gelächter mischt sich mit Buh-Rufen. Die besten Pointen schreibt eben doch nicht Mittermeier, sondern das Leben ...