Gelsenkirchen. Haltung und Humor: Comedian unterhält sein Publikum beim Auftritt in Gelsenkirchen nicht nur, er konfrontiert es auch mit unbequemen Wahrheiten.
Es ist diese fein austarierte Mischung zwischen Haltung und Humor, die einen Abend mit Michael Mittermeier stets zu etwas ganz Besonderem macht: Denn der 56-Jährige begnügt sich bei seinen Auftritten nicht nur damit, das Publikum mit einem Pointen-Feuerwerk im Plauderton blendend zu unterhalten. Er will es immer auch warnen, wachrütteln, zum Nachdenken bringen. Am Mittwochabend in der Heilig-Kreuz-Kirche ließ der Kabarettist dazu aber auch noch tief in sein Innerstes blicken. Und es war bis in die letzte Reihe zu spüren, dass sich da etwas den Weg ins Freie bahnen musste, das schon lange in ihm gärte.
Die Kirche ist das bevorzugte Ziel von Michael Mittermeiers Kritik und Häme
Das zur Kulturspielstätte umgebaute Gotteshaus in Ückendorf mit seiner atemberaubend schönen Innenbeleuchtung ließ auch den seit den 90er Jahren erfolgreichen Comedian sichtlich ergriffen staunen. Dabei hegt er doch eigentlich einen Groll gegen jede Kirche. Vor allem die institutionelle. Das mag an seiner Herkunft in der erzkatholischen Provinz Oberbayerns liegen. Und natürlich haben auch die seit Jahrzehnten währenden und nur widerwillig aufgearbeiteten Missbrauchsskandale einen Teil zu seiner ablehnenden Haltung beigetragen. Doch im Laufe des Auftritts offenbart er auch seine persönlichen Gründe, warum er die Kirche bevorzugt ins Kreuzfeuer seiner Kritik und bitterbösen Häme nimmt.
Vier Kinder haben seine Frau und er in den vergangenen Jahrzehnten während der Schwangerschaft verloren, erzählt Mittermeier offenherzig. Und spricht damit ein Tabuthema an, das in unserer Gesellschaft noch immer viel zu oft verdrängt und verschwiegen wird. So komme es, dass ihre Tochter Lilly, inzwischen 14, ohne Geschwister aufwachsen müsse. Begraben durften die Mittermeiers die Fehlgeburten nicht. Weil sie nicht getauft seien, bekamen sie zu hören. Als Ruhestätte blieb nur ein nicht gekennzeichnetes Massengrab. Und das hätte sich für sie eher nach Entsorgung als nach Bestattung angefühlt.
Auch Michael Wendler, Xavier Naidoo und Attila Hildmann bekommen ihr Fett weg
Ja, da schnürt es auch den hart gesottenen Zuhörern die Kehle zu. Doch es ist Mittermeiers große Kunst und Stärke, nach eindringlichen Programm-Passagen wie dieser sofort wieder den inneren Schalter umlegen und das Gute-Laune-Barometer ad hoc hochfahren zu können. Dann bekommen etwa die prominentesten Verschwörungstheoretiker aus den vergangenen zwei Pandemie-Jahren – „der Wendler“, Xavier Naidoo und Attila Hildmann – ihr Fett weg. Was Mittermeier zu der Essenz kommen lässt: „Ich habe mehr Angst vor der Dummheit der Menschheit als vor dem Coronavirus.“ Der folgende Applaus, er hätte kaum bestätigender klingen können.
Dieses Programm ist das 13. in seiner Laufbahn und heißt entsprechend schlicht auch nur „#13“. Erst zum vierten Mal wird es an diesem Abend gespielt. Klar, dass da noch nicht alles im Detail verinnerlicht ist und jede Pointe sitzt. Als Gedächtnisstütze hat er sich ein paar Stichwortzettel mit dem Ablauf auf den Bühnenboden geklebt und wirft in Momenten des verlorenen Fadens einen kurzen Blick darauf. Und schon spinnt er herrlich schräg weiter.
Die Queen stirbt nicht, die heiratet bald – und zwar Keith Richards
Wunderbar ist auch der Part über die ewige Queen von England, die laut Mittermeier demnächst ihr 500. Krönungsjubiläum feiere. „Die stirbt nicht. Die heiratet bald – und zwar den Keith Richards!“ Dessen Band, die Rolling Stones, seien ja auch immer noch auf Tour. Der Comedian nennt sie die rockige Variante der Körperweltenausstellung.
Mittermeier legt die Lupe aber auch auf die Corona-geschädigte Gesellschaft. „Wir sind alle seltsam geworden“, findet er. Mancher hebe gebrauchte Schutzmasken vom Boden auf, weil er die eigene vergessen hat. Beim Corona-Test habe ihm eine hübsche Helferin das Stäbchen so weit in Richtung Hirn gerammt, dass beim Rausziehen ein Gedanke mit rausgekommen sei. Und beim anstehenden Oktoberfest in München müsse der Oberbürgermeister zum Auftakt wohl ein neues Motto verkünden: „O’steckt is!“
Schließlich bekommen die 460 Besucher noch hochamüsante Tipps für die erste Darmspiegelung präsentiert, ehe sie den Gastgeber des Abends nach zweieinhalb Stunden mit Standing Ovations endgültig entlassen. Mittermeier wirkt dankbar, ein Stück weit befreit, aber auch grübelnd. Der Abend der Bekenntnisse, er hat auch ihn selbst berührt.