Gelsenkirchen. Im Grundschulalter eine Brille: Das ist in Gelsenkirchen keine Ausnahme. Warum das für viele Kinder zu spät ist und was Folgen sein können.
Jedes 13. Grundschulkind in Gelsenkirchen – das entspricht 7,4 Prozent der Grundschulkinder in der Stadt – hat im vergangenen Jahr eine Brille verordnet bekommen. Bei Kita-Kindern waren es 4,7 Prozent. Diese Zahlen nennt die AOK für Gelsenkirchen, wo entsprechend viele Verordnungen eingereicht worden seien.
Für Kinderarzt Dr. Christoph Rupieper „bedeutet das, dass wir die Sehfehler viel zu spät erkennen, nämlich erst dann, wenn in der Schule auffällt, dass das Kind aus der letzten Reihe schlecht von der Tafel abschreiben oder lesen kann. Diese Kinder haben auch schon mit drei oder vier Jahren schlechter gesehen. In den Vorsorgen der ersten drei Lebensjahre sind keine Untersuchungen, sondern nur Fragen an die Eltern vorgesehen“, erläutert der Mediziner.
Viele Kassen zahlen frühen Sehtest mit Spezialkamera nicht
Mit vier und fünf Jahren gebe es zwar orientierende Sehtests, die aber stark von der Mitarbeit und dem Sprachverständnis der Kinder abhingen. „Es gibt zwar ein Verfahren, bei dem mittels einer Spezialkamera aus einem Meter Entfernung die Augen vermessen werden. Diese Verfahren kann man ab sechs Monaten einsetzen, wenn der Säugling in der Lage ist zu fixieren. Aber die Kamera kostet knapp 9000 Euro und nur ganz wenige Kassen bezahlen diese Untersuchung“ bedauert Rupieper.
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Er habe selbst erlebt, wie wichtig ein sehr frühzeitiges Erkennen und Behandeln des Sehfehlers ist: „Beim Schwimmunterricht habe ich mir immer gemerkt, welche Badehose mein Bruder anhatte. Daran habe ich mich orientiert, zu welcher Gruppe ich gehen musste. Die Gesichter habe ich in ein paar Meter Entfernung kaum erkannt.“ Noch heute spüre er die Auswirkungen des viel zu späten Behandelns daran, dass er nur sehr schwer Gesichter wiedererkennen könne.
Kopfschmerzen und vermehrtes Blinzeln können Warnhinweise sein
Die häufig erst in der Schule festgestellte Sehbeeinträchtigung hängt nach Einschätzung des Mediziners wie auch der Krankenkasse auch mit nicht genutzten Vorsorgeuntersuchungen, Sprachproblemen und fehlendem Kitabesuch zusammen, wo Defizite ebenfalls erkannt werden könnten. Diskutiert werde auch, dass starke Mediennutzung in jungen Jahren zu Fehlsichtigkeit führen könnte. „Wenn ein Kind von frühester Kindheit an extrem viel auf ein Tablett schaut, lernt es, dass der Punkt des schärfsten Sehens bei 50 bis 60 cm liegt. Es lernt, den Fokus auf diesen Nahbereich zu legen. Alles was dahinter liegt, erscheint dann unscharf und muss mit einer Brille korrigiert werden“, gibt er zu bedenken.
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Als Warnhinweise für eine Sehschwäche bei Kindern nennt die AOK Klagen über Kopfschmerzen, Augenbrennen oder vermehrtes Zwinkern oder Blinzeln. Auch bei Kindern, die sich ständig die Augen reiben, ihren Kopf schief halten, einen geringen Abstand zu Buch, Bildschirm oder Fernsehen halten, könnten Probleme mit den Augen die Ursache sein. Gleiches gelte für Balancestörungen oder Schwierigkeiten bei Dämmerung. Besonders aufmerksam sollten Eltern von Kindern sein, bei denen ein Entwicklungsrückstand, Schielen in der Familie liegt oder im familiären Umfeld erbliche Augenerkrankungen bekannt seien, mahnt die Krankenkasse.
Die gesetzlichen Krankenkassen tragen – im Gegensatz zum Erwachsenenbereich – für Kinder und Jugendliche die Kosten für die Brillengläser. Die Brillengestelle allerdings müssen die Familien selbst finanzieren. Einige Optiker bieten auch einzelne kostenfreie Modelle an.