Gelsenkirchen. „Kopfschmerzen“ auf dem Baumarkt: Dass sich immer weniger Leute ein Eigenheim leisten können, hat auch Folgen für ärmere Schicht in Gelsenkirchen

Gelsenkirchen ist ohnehin eine Kommune mit einer besonders geringen Eigentumsquote – nur etwa 20 Prozent der Stadtbevölkerung lebt in einem Eigenheim. Aufgrund der schwierigen Lage auf dem Wohnungsmarkt, den hohen Immobilien- und Baupreisen sowie den immer weiter steigenden Zinsen, wird es für die Menschen in der Stadt aber noch schwieriger, sich den Traum vom Eigenheim zu erfüllen. Dabei geht es allerdings nicht nur um geplatzte Träume, es geht um große gesellschaftliche Probleme, die Alexander Rychter, Direktor des Verbandes der Wohnungs- & Immobilienwirtschaft Rheinland Westfalen, „Kopfschmerzen bereiten“.

Während die allgemeine Preissteigerung seit 2019 etwa 17,4 Prozent beträgt, liegt sie im Bausektor bei schwindelerregenden 40,1 Prozent. Die hohen Baupreise habe man vor einiger Zeit noch mit niedrigen Zinsen kompensieren können, sagt Rychter. Da der Leitzins der Europäischen Zentralbank inzwischen aber bei historischen 4,5 Prozent liegt, gehe der Zinseffekt verloren. „Im Kern läuft also nichts mehr, außer im sehr hochpreisigen Bereich“, sagte Rychter im Rahmen einer Recherche-Reise der Volontärinnen und Volontäre der Funke Mediengruppe.

„Für Leute im unteren Einkommensdrittel ein besonderes Problem“

Die Konsequenz: Selbst gut verdienende Menschen, die bei der Marktsituation vor einigen Jahren von der Mietwohnung in die eigene Immobilie gezogen wären, können sich diesen Schritt nicht mehr leisten. Es geht also um Leute, mit einem guten Schulabschluss, einer guten Ausbildung, „Leute, die denken, ich habe alles gemacht, was von mir erwartet wird – und trotzdem kann ich mir das nicht leisten“, schilderte es Rychter.

„Für die Leute im unteren Einkommensdrittel wird die aktuelle Situation besonders zu einem Problem“, sagt Alexander Rychter, Direktor des Verbandes der Wohnungs- & Immobilienwirtschaft Rheinland Westfalen, hier in Begleitung von FUNKE-Volontären im Rahmen einer Recherche-Reise zu Vivawest in Gelsenkirchen.
„Für die Leute im unteren Einkommensdrittel wird die aktuelle Situation besonders zu einem Problem“, sagt Alexander Rychter, Direktor des Verbandes der Wohnungs- & Immobilienwirtschaft Rheinland Westfalen, hier in Begleitung von FUNKE-Volontären im Rahmen einer Recherche-Reise zu Vivawest in Gelsenkirchen. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Weil also weniger Menschen zu Eigenheimbesitzern werden, fehlt auf der anderen Seite bezahlbarer Wohnraum für Leute, die neu in den Wohnungsmarkt eintreten wollen – junge Paare oder zugezogene Familien zum Beispiel. Für sie gibt es keine leeren Wohnungen mehr, sie seien die Benachteiligten, sagt Rychter. Für die Leute im unteren Einkommensdrittel wird diese Situation besonders zu einem Problem.“

GGW: „So wird der Wohnungswechsel erheblich erschwert“

Vivawest-Geschäftsführer Uwe Eichner macht ähnliche Beobachtungen. Er spricht von „Mietern, die gedanklich im Eigenheim waren, aber jetzt in ihren Wohnungen bleiben.“ Dieses Problem sei auch in Gelsenkirchen angekommen. Auch hier gebe es einen „verstopften“ Wohnungsmarkt.

Die Folge ist eine geringe Leerstandsquote, mittlerweile auch in einer Stadt wie Gelsenkirchen. Für Wohnungsunternehmen wie Vivawest ist ein geringer Leerstand an sich zwar keine schlechte Nachricht. „Aber wir haben aufgrund der gestiegenen Baukosten und Zinsen sowie fehlender Fördermittel Schwierigkeiten, neuen und vor allem bezahlbaren Wohnraum zu schaffen“, sagt Eichner. Dennoch versuche sein Unternehmen weiterhin Neubau-Projekte umzusetzen, die Rede ist von durchschnittlich 900 neuen Wohnungen pro Jahr, im Ruhrgebiet, Rheinland und Münster.

Vivawest-Chef Uwe Eichner: „Wir haben aufgrund der gestiegenen Baukosten und Zinsen sowie fehlender Fördermittel Schwierigkeiten, neuen und vor allem bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.“
Vivawest-Chef Uwe Eichner: „Wir haben aufgrund der gestiegenen Baukosten und Zinsen sowie fehlender Fördermittel Schwierigkeiten, neuen und vor allem bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.“ © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Auf Nachfrage bestätigt auch Harald Förster, Geschäftsführer der Gelsenkirchener Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft (GGW), die missliche Lage: „Es werden so gut wie keine Projekte mehr begonnen oder zu Ende gebaut“, sagt er. Der Leerstand bei der GGW betrage aktuell nur 1,5 Prozent – „und wir haben nicht nur Traumwohnungen.“ Gute Wohnungen würden aber aufgrund der aktuellen Situation am Markt kaum nachkommen. „Dadurch wird der Wohnungswechsel erheblich erschwert.“

SPD in NRW fordert „landeseigene Wohnungsbaugesellschaft“

Einen Finger in die Wunde gelegt hat jetzt auch der Gelsenkirchener Landtagsabgeordnete und baupolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Sebastian Watermeier. „Der Bestand an erschwinglichen Wohnungen frisst sich in NRW zunehmend auf“, kritisierte er. In NRW herrsche mittlerweile „baupolitischer Stillstand“. Ende 2022 sei die Zahl der Sozialwohnungen um 7000 auf 435.000 gesunken – gleichzeitig seien vergangenes Jahr nicht mal 4000 Einheiten neu gebaut worden. „Was wir jetzt brauchen, ist eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft“, fordert Watermeier. „Nur so können wir für angemessene Mieten und gemeinwohlorientiertes Wohnen sorgen.“

Die SPD-geführte Ampel-Regierung in Berlin dagegen will jetzt mit 14 Maßnahmen die Situation auf dem Wohnungsmarkt verbessen. Dazu gehören gesenkte Baustandards, Abschreibe-Möglichkeiten bei Neubauten, Anreize zum Umbau von Gewerbeimmobilien zu Wohnungen oder 18,15 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau. Die Förderung des sozialen Wohnungsbaus liegt im Verantwortungsbereich der Länder. Die Finanzspritze des Bundes dafür ist aus Sicht von Watermeier stattlich – nun müsse NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach daraus auch mehr machen.