Gelsenkirchen. „Die Schülerschaft und Eltern haben sich stark verändert“: Zwei pensionierte Lehrkräfte aus Gelsenkirchen blicken zurück auf belastende Zeiten.
- Zwei langjährige Realschullehrkräfte blicken für den Bildungsschwerpunkt der WAZ Gelsenkirchen zurück auf ihr Berufsleben.
- Sie sagen unter anderem: „Viele Jugendliche sind nicht mehr bereit, Schwierigkeiten zu überwinden. Sie geben zu schnell auf.“
- Aber auch die Elternschaft habe sich stark verändert: „Die Bedeutung von Schule hat bei vielen Eltern stark abgenommen.“
Was hat sich an Schulen verändert in den letzten Jahren? Wir haben mit zwei langjährigen Gelsenkirchener Realschullehrern gesprochen, Hanna Lehmann und Werner Schmidt (Namen v. d. Red. geändert). Beide sind seit kurzem im Ruhestand und blicken zurück auf drei Jahrzehnte Realschulleben.
- Dieser Text ist Teil des Online-Dossiers „Bildungskatastrophe: So steht es um unser Schulsystem“ der WAZ Gelsenkirchen. Alle Analysen, Berichte und Reportagen zum Thema finden Sie hier!
Hanna Lehmann ist früher in Rente gegangen. Der Stress, die Dauer-Lautstärke wurden ihr zu viel. „Über die Flure bin ich zuletzt nur noch mit Ohropax gegangen. Am letzten Arbeitstag kam ich per Rettungswagen in die Klinik, weil ich vor Herzrasen nicht wagte, aufzustehen“, erinnert sie sich. Es lag nicht an der Schule und schon gar nicht am Kollegium, betont sie. „Die Schülerschaft und die Eltern haben sich stark verändert. Die Schule soll alles leisten, das ist der Anspruch“, erklärt sie.
Höheres Konfliktpotenzial in kleinen Klassenräumen
In kleinen Klassenräumen 26 Kinder in Kunst zu unterrichten, das sei kaum möglich. „Unsere Werkräume sind zu Klassenräumen umgebaut, der letzte Winkel muss heute genutzt werden“, erklärt sie. In kleinen Räumen sei auch das Konfliktpotenzial deutlich höher. Kollege Schmidt bestätigt das, sagt aber auch: „Konzentrationsfähigkeit ist ohnehin zum Problem geworden. Ein Film zu einem Unterrichtsthema darf nicht mehr länger als 15 Minuten dauern. Dann ist die Konzentration weg.“
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Kleine Klassenräume gab es früher auch. Warum war es da ruhiger? „Die Zusammensetzung der Klasse ist anders. Früher waren die Klassen homogener, es waren Realschulkinder. Heute sitzen hier auch Schüler mit Förderbedarf, mit Hauptschulempfehlung, mit lückenhaften Sprachkenntnissen. Zuwanderer, aber auch viele deutsche Kinder leiden unter Spracharmut, einer schwachen Ausdrucksfähigkeit auch im künstlerischen Bereich. Es fehlen motorische, aber auch kreative Ausdrucksmöglichkeiten“, erzählt Lehmann.
Ex-Lehrer: „Viele Jugendliche geben heute zu schnell auf“
„Viele Jugendliche sind nicht mehr bereit, Schwierigkeiten zu überwinden. Sie geben zu schnell auf. Üben ist nicht mehr angesagt“, klagt Schmidt. Die schwerwiegendste Veränderung sei jedoch bei der Grundhaltung vieler Eltern eingetreten, sagt Hanna Lehmann. „Die Bedeutung von Schule hat bei vielen Eltern stark abgenommen. Kooperation ist schwierig, es fehlt Zuverlässigkeit bei Unterschriften, Informationsaustausch, der Kontrolle der notwendigen Materialien für die Kinder“, sagt sie.
„Eltern sind Erziehungspflichtige, nicht nur Erziehungsberechtigte“
Erziehung zu Hause findet vielfach kaum statt, sind die beiden überzeugt. „Sie haben das doch studiert, hat man mir gesagt, als ich beim Elternabend auf Regelverstöße hingewiesen habe. Die Schule soll alles richten“, klagt sie. Werner Schmidt ergänzt: „Eltern sind nicht nur Erziehungsberechtigte. Eltern sind Erziehungspflichtige. Ich war immer für Eltern sprechbar, sie hatten meine Nummer. Aber das wurde immer weniger in Anspruch genommen.“
Was sich noch verändert hat? Der Dokumentationsaufwand sei ebenso immens gestiegen wie die Gewaltbereitschaft unter Mädchen, der Respekt vor Lehrkräften sei auch gesunken, zählen die beiden auf. Und: „Nur wenige beginnen nach Klasse zehn eine Ausbildung. Sie wissen nicht, wo sie hinwollen“, sagt Müller. „In den 90ern führte die Realschule im Regelfall noch direkt in die Ausbildung. Heute folgt meist die nächste Schule.“