Gelsenkirchen. Ibrahim nahm an der Hass-Demo gegen Juden in Gelsenkirchen teil. Mittlerweile bereut er seine Taten – und setzt damit eine Menge aufs Spiel.

  • Ibrahim Fares (17) machte bei den antijüdischen Protesten 2021 in Gelsenkirchen mit.
  • Mittlerweile bereut er seine damalige Teilnahme und sagt: „Die Juden hier, haben nichts mit dem Nahen Osten zu tun“ – eine Haltung, mit der er im Bekanntenkreis aneckt.
  • Beim Verein „Kerem Ke“ leistet er nun Sozialstunden – und fegt vor der Neuen Synagoge. Ein „krasses Signal“ nennt das sein Betreuer.

Ibrahim Fares fegt vor der Neuen Synagoge. Und wenn man überlegt, wo er herkommt, ist das ein symbolisch gewaltiger, ein mutiger Schritt. Der fast 18-Jährige beteiligte sich vor zweieinhalb Jahren an der antijüdischen Hass-Demo in Gelsenkirchen, zeigte dort den Stinkefinger Richtung Polizei. „Andere Leute haben mich leider mit reingeschoben. Ich wusste gar nicht, wo es hingeht“, behauptet er. So ganz habe er gar nicht verstanden, worum es ging. Aber sich auf antisemitische Parolen einzulassen, das lag bei seiner Sozialisation nicht fern – fast sein Leben lang bekam Ibrahim Fares einen negativen, einen gehässigen Blick auf Juden vermittelt. Jetzt aber scheint er geläutert, jetzt sagt er Sätze wie: „Die Juden hier, die haben nichts zu tun mit dem, was im Nahen Osten passiert.“

Ibrahims Herkunft: Die schwierige Geschichte der Golanhöhen zwischen Israel und Syrien

Ibrahim Fares, der heute sagt, Gelsenkirchen sei seine Heimat, lebte einen Großteil seiner Kindheit im Libanon. Seine Familie aber kommt aus den Golanhöhen zwischen Israel und Syrien. Anfang der Achtziger hat der israelische Staat das Gebiet annektiert. Bereits 1967 hatte Israel den Golan im Sechstagekrieg von Syrien erobert. Die meisten Staaten akzeptieren den Schritt Israels nicht, die Vereinten Nationen verabschiedeten eine Resolution dagegen. Erst 2019 erkannte der damalige US-Präsident Donald Trump die Souveränität Israels über die Golanhöhen an. Heute leben rund 50.000 Einwohner dort, zur einen Hälfte israelische Siedler, zur anderen Hälfte Menschen, die sich eher als Syrer identifizieren. So wie Ibrahim Fares. „Seit ich klein war, hat man mir gesagt, dass das unser Land ist, dass die Israelis einen Teil von unserem Land haben“, sagt er.

Die Geschichte des Golans ist zweifelsohne schwierig, der Hass, den viele Syrer von dort auf Israel haben – er sitzt augenscheinlich tief. Aber wenn er sich entlädt, dann trifft er nicht die Politik, sondern allzu schnell die Religion. So war es auch, als der nicht enden wollende, blutige Konflikt zwischen Israel und Palästina wieder einen seiner traurigen Höhepunkte erlebte, als infolge dessen antisemitsche Parolen in Gelsenkirchen vor der Neuen Synagoge gegrölt wurden.

20 Sozialstunden für Ärger im Freibad

Auch in der Nähe des Hauptbahnhofs versammelten sich damals wütende Menschen. Dort beleidigte Ibrahim Fares auch die Polizisten. Später wurde er dazu vom Gericht zu einer Geldstrafe von 250 Euro verurteilt. „Das hat mich zum Nachdenken gebracht“, sagt er. Und es klingt alles andere als unehrlich, wenn er ergänzt: „Wir sind doch alle Menschen. Man kann keinen Unterschied machen zwischen uns.“ Was könnten die Leute hier für die politische Situation im Nahen Osten?„Und vielleicht stimmt das, was ich im TV sehe ja auch gar nicht“, sagt Fares, der viel arabisches Fernsehen mit seiner Familie schaut. „Ich habe es ja nicht mit meinen eigenen Augen gesehen.“

Ibrahim Fares (17) vor der Neuen Synagoge. Während er sich vor zweieinhalb Jahren noch an dem antijüdischen Protest in seiner „Heimat Gelsenkirchen“ beteiligte, sagt er jetzt: „Die Juden hier, die haben nichts zu tun mit dem, was im Nahen Osten passiert.“
Ibrahim Fares (17) vor der Neuen Synagoge. Während er sich vor zweieinhalb Jahren noch an dem antijüdischen Protest in seiner „Heimat Gelsenkirchen“ beteiligte, sagt er jetzt: „Die Juden hier, die haben nichts zu tun mit dem, was im Nahen Osten passiert.“ © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Im Sommer hatte Fares, der vor acht Jahren mit seiner Familie nach Deutschland eingewandert ist, dann noch mal Probleme mit dem Gesetz. Dieses Mal gab es Streit mit einem Bademeister im Freibad. Fares lies einen Spint zerstört zurück. Die Folge: 20 Sozialstunden. Diese leistet er jetzt beim interkulturellen Bildungsverein „Kerem Ke“ ab, der auch schon Gedenkstättenfahrten nach Auschwitz mit jungen Migranten durchführte, die sich damals an der Hass-Demo beteiligten. Die Gespräche mit Joshua O. Milk vom Vereinsvorstand halfen Ibrahim Fares bei seiner weiteren kritischen Selbstreflexion.

Dass er jüdische Menschen nun nicht mehr pauschal verurteilt, nicht mehr die gläubigen Menschen hier für die Probleme im Nahen Osten verantwortlich macht, das habe ihm jedoch auch Freundschaften gekostet. „Meine ganzen Freunde stehen dagegen, deswegen habe ich nicht mehr so viele“, gibt er zu. Nur zwei Kollegen würden hinter ihm stehen. „Die haben fast dieselbe Meinung wie ich.“ Ob er mittlerweile auch einen jüdischen Freund habe? „Nein, das noch nicht.“ Aber die Synagoge betreten, das würde er wohl mal. „Das ist hier wie eine Kirche, wie eine Moschee. Gottes Zuhause.“

Fegen vor der Synagoge Gelsenkirchen: Ein „krasses Signal“ für einen Muslim

Als Ibrahim das erzählt, fährt ein Polizeiwagen vorbei. Er zuckt zusammen, versteckt sein Gesicht. Dabei hat er jetzt überhaupt nichts verbrochen. Und will auch keinen Ärger mehr machen. „Ich möchte Tierarzthelfer werden“, sagt er und ergänzt lachend: „Ausländer haben hier in Deutschland sowas von Angst vor Tieren, meistens Hunden. Aber ich bin ein ganz anderer Mensch.“ Aktuell absolviere der ehemalige Hauptschüler einen berufsbezogenen C1-Deutschkurs am Berufskolleg. „Damit kann ich es schaffen.“

Das ist „Kerem Ke“

Der 2015 gegründete Verein „Kerem Ke“ („hereinspaziert“ auf Kurdisch) veranstaltet Fußballabende, Schach-Treffen oder interkulturelle Treffs und organisiert sich bei der Bildungsarbeit in Gelsenkirchen. 2022 führte der Verein das Projekt „Pfad der Tränen“ durch und reiste mit 15 jungen Migranten nach Auschwitz.

Um mehr Menschen wie Ibrahim Fares nachhaltig zu unterstützen, fehlen dem Verein allerdings Räumlichkeiten, beklagt Joshua O. Milk vom Verein. „Wir wollen uns noch mehr engagieren, aber uns fehlen leider die passenden Orte dafür“, sagt er.

Joshua O. Milk von „Kerem Ke“ will ihn auf seinem weiteren Weg unterstützen und an seinen Verein binden, auch nach den 20 Sozialstunden, „damit junge und gesunde Perspektiven aus der Erfahrung entstehen“, sagt er. Einen Teil der Maßregel ist es, vor der Synagoge zu fegen – Milk nennt es ein „krasses Signal“ für einen Muslim. „Die Frage ist: Macht er das hier, weil er muss oder weil er es verstanden hat? Ich habe bei ihm das Gefühl: Er hat es wirklich verstanden.“

Bevor Ibrahim Fares damit anfängt, zu fegen, wird er von einem Bekannten angesprochen. „Du weißt schon, dass das hier eine jüdische Kirche ist?“, sagt der überrascht. Keine Frage: Es ist noch viel zu tun.