Gelsenkirchen. Absurdistan in Gelsenkirchen: 19 Jahre nach den ersten Anläufen zum E-Rezept wird in Apotheken immer noch ein ausgedruckter QR-Code gescannt.
Es ist ein wenig absurd. Aktuell haben zwar die Gelsenkirchener Apotheken und auch nicht wenige niedergelassene Ärzte die technischen Voraussetzungen, um mit dem E-Rezept umzugehen. Doch statt tatsächlich den elektronischen Übertragungsweg zu nutzen, kommen die Patienten mit dem ausgedruckten E-Rezept, also dem Papier mit dem QR-Code in die Apotheke, wo der Code ausgelesen und verarbeitet wird. Und das wird wohl noch eine Weile so bleiben. Erst am 1. Januar 2024 gilt die Pflicht auch für Arztpraxen, das E-Rezept anzubieten.
Apotheken müssen bereits fertig ausgerüstet sein
Apothekensprecher Christian Schreiner hat seine beiden Apotheken in Buer schon länger technisch aufgerüstet. Für Apotheken gilt ohnehin bereits die Pflicht, gerüstet zu sein für die Einlösung von E-Rezepten. „Ich bin ein Freund des E-Rezeptes. Wenn denn eines Tages tatsächlich der QR-Code direkt von der Krankenkarte des Kunden ausgelesen werden und dann von uns nach Ausgabe des Medikaments zur Abrechnung weitergeleitet werden kann, dann ist das für uns Apotheker eine Erleichterung. Aber das wird noch dauern, bis es soweit ist“, fürchtet er.
Der Startpunkt für das E-Rezept wurde bereits mehrfach verschoben. 2002 – die Gesundheitsministerin hieß Ulla Schmidt, die Älteren mögen sich erinnern – gab es den ersten Feldversuch. Die Ministerin war euphorisch, glaubte an eine Umsetzung binnen zwei Jahren. Fünf Gesundheitsminister und 19 Jahre später ist die digitale Variante in ganzer Bandbreite noch immer kein Standard. Es hing an vielem, vor allem aber an der fehlenden flächendeckenden Ausgabe der elektronischen Gesundheitskarte und Datenschutzbestimmungen.
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Nach neuen Anläufen von Nachfolger Nummer vier, Jens Spahn, und dem aktuellen Gesundheitsminister Karl Lauterbach sollen nun endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden. Der freiwillige Testlauf Anfang 2021 verstrich erfolglos, im Herbst 2022 startete die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) einen neuen Feldversuch mit 250 niedergelassenen Ärzten – der nach kurzer Zeit wieder abgebrochen wurde wegen technischer Mängel. Noch immer haben nicht alle Softwarehersteller die passenden Updates für die Verarbeitung erstellt, die die Praxen für die Umstellung benötigen. Laut KVWL sind mittlerweile alle Krankenkarten bereit für den QR-Code, laut Apothekensprecher Schreiner gilt dies nicht für alle.
Doch bis zum 1. Januar 2024 und damit 20 Jahre nach dem ersten Anlauf soll es endgültig soweit sein. Ab dann drohen Praxisbetreibern und Softwareentwicklern finanzielle Einbußen, wenn sie den Termin nicht halten. Mittlerweile sind die ursprünglich gewaltigen Erwartungen an die elektronische Gesundheitskarte und deren Fähigkeiten ein wenig heruntergefahren, geschuldet der Intervention von Patienten- und von Datenschützern.
Einlösung via App wegen komplexer Vorschriften schwierig
Die Einlösung über den QR-Code auf der Krankenkarte hält KVWL-Sprecher Daniel Müller für den besten und wahrscheinlichsten Weg. Bei den Apps gibt es seiner Überzeugung nach zu viele komplexe Vorschriften, abgesehen davon, dass vor allem ältere Menschen Probleme damit haben könnten. In der aktuellen, am 1. Juli 2023 gestarteten freiwilligen Testphase, sollen vor allem „normale“ Verschreibungen in den Praxen darüber laufen, bevor komplexere Themen wie etwa Betäubungsmittelverordnungen für Schmerzpatienten oder aus Seniorenheimen angegangen werden.
Nach Überzeugung des Gelsenkirchener Apothekers Schreiner wird das E-Rezept aber bisher in den Arztpraxen auch nicht genutzt, weil dafür alle Abläufe in der Praxis entsprechend verändert und das gesamte Team geschult werden müssen. Und wenn ein Rezept geändert oder ergänzt werden muss, wird es mit der E-Variante komplizierter. Beim Papier genügt eine handschriftliche Ergänzung oder Streichung, beim QR-Code funktioniert das naturgemäß so nicht. „Solange es freiwillig ist, wird das nichts mit dem E-Rezept“, ist Schreiner überzeugt.
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Der Sprecher der Gelsenkirchener niedergelassenen Ärzte, Simon Kirchberg, sieht nun vor allem die Softwareentwickler der Praxisverwaltungssysteme in der Pflicht. „Schon jetzt haben viele Praxen und auch wir bereits die entsprechende Ausstattung, es gibt allerdings teilweise auch noch Abrechnungsprobleme“, erklärt er. Dass der Termin 1. Januar 2024 gehalten wird, die Umstellung dann wirklich flächendeckend erfolgt, davon ist er überzeugt.