Gelsenkirchen. Gelsenkirchens Kinderstuben sind ein Erfolg, die Nachfragen nach Plätzen enorm. Was die Arbeit dort ausmacht und wie Sprache Integration fördert.

Hinter geschmückten Fenstern mit großen und kleinen Schneeflocken darauf ist an diesem Morgen ganz schön viel Leben. Noch sitzen sie am Tisch, mitten im Aufenthaltsraum und umgeben von buntem Spielzeug, Puzzeln und Spielen, und tun Dinge, die Kinder halt gerne machen. Und doch ist dieser Ort anders: In der Kinderstube an der Wanner Straße 16 gibt es eine besonders intensive Form der Betreuung von Kleinkindern. Sie bekommen etwas ganz Wichtiges mit auf den Weg, es ist ihre Basis für ihr zukünftiges Leben: die deutsche Sprache, spielerisch erlernt, mit viel Aufmerksamkeit vermittelt.

Gelsenkirchener Kinderstuben: Hier beginnt Integration von klein auf

„Wir sind die Vorstufe von frühkindlicher Bildung, wir sind ein Baustein von vielen“, erklärt Nicole Saafi, die gemeinsam mit ihren beiden Kolleginnen Dilek Atalay und Mariam El Kasmi die Großtagespflegestelle in Bulmke leitet. Dort ist Platz für insgesamt neun Kinder, an diesem Morgen sind es krankheitsbedingt sieben. Der Betreuungsschlüssel ist optimal: Eine der drei Tagesmütter ist für jeweils drei Kinder Bezugsperson, Anlaufstelle, Kuschel-Ort. „Wir schaffen es, individuell zu fördern und gleichzeitig zu fordern“, sagt Nicole Saafi.

Zeit zum Kuscheln ist immer: Tagesmutter Dilek Atalay und die kleine Shoug in der Kinderstube Wanner Straße 16 in Gelsenkirchen. Hier werden neun Kleinkinder betreut, deren Familien Fluchterfahrung und/oder einen Migrationshintergrund haben.
Zeit zum Kuscheln ist immer: Tagesmutter Dilek Atalay und die kleine Shoug in der Kinderstube Wanner Straße 16 in Gelsenkirchen. Hier werden neun Kleinkinder betreut, deren Familien Fluchterfahrung und/oder einen Migrationshintergrund haben. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

In Gelsenkirchen gibt es insgesamt drei Kinderstuben, sie richten sich an Familien mit Fluchterfahrung und/oder Migrationshintergrund. An der Wanner Straße hatten sie zuletzt 187 Anmeldungen für die neun Plätze. Die Warteliste ist lang, einen Platz bekommt, wer den größten Bedarf hat, beispielsweise die alleinerziehende Mutter oder Familien, die in einer sozialen Notlage stecken. „Zu uns kommen immer noch ganz viele Eltern, die Unterstützung vom Jobcenter bekommen“, berichtet Nicole Saafi.

Das Konzept wurde gemeinsam von Gekita, der Bildungsinitiative Ruhrfutur und einigen Hochschulen entwickelt. Die ersten Kinderstuben indes standen in Dortmund. Dort sah man die Bedarfe, sah, dass es in den Grundschulen eine gewisse Problematik gab – die Kinder seien zwar in der Lage gewesen, kognitiv zu folgen, doch die sprachlichen Barrieren waren zu hoch, berichtet Tagesmutter Nicole Saafi, die selbst Mutter von acht Kindern ist. Diese Kinder waren dermaßen benachteiligt, dass sie dringend Förderung brauchten.

Zur Mini-Kita im Bulmker Altbau gehören ein Aufenthaltsraum, wo eben Leben stattfindet, ein Bewegungsraum, ein Schlafraum, eine Küche und ein Wickelraum. Und ein besonderer Hintergrund: „In Bezug auf die Elternarbeit heben wir uns ein bisschen ab“, erklärt Nicole Saafi. Denn, und das ist wichtig weil ein Eckpfeiler ihrer Arbeit: Sie sehen hier immer das gesamte Konstrukt Familie, nicht nur die Kinder haben eine Betreuungsgarantie, „wir kümmern uns auch um die Eltern, wir begleiten die Familiengeschichte“, so Nicole Saafi weiter.

Kinderstube Gelsenkirchen: Zusammenarbeit mit den Eltern ein Eckpfeiler des Konzepts

Demnach gibt es zwei Eltern-Nachmittage pro Woche, verlässlich und regelmäßig. Dazu feiern sie Feste egal welcher Glaubensrichtung gemeinsam. Ab davon sind die drei selbstständig tätigen Tagesmütter auch Unterstützung im Alltag, Ratgeber für die Eltern. Die Familien kommen aus Gambia, Vietnam, Syrien, Rumänien, Bangladesch oder der Türkei. Sie alle eint die neue Heimat Gelsenkirchen und die Familien-Stütze Kinderstube.

Diese Sache mit der Kontinuität ist für die drei qualifizierten Tagespflegepersonen übrigens auch mit Blick auf die Entwicklung der Kinder bedeutend. „Wir legen Wert darauf, dass sie regelmäßig an jedem Tag kommen“, berichtet Nicole Saafi. Denn nur so kann ein nachhaltiges Sprach-Fundament gelegt werden, kann die liebevolle Zuwendung auch entwicklungsfördernd sein. Dilek Atalay ist von Anfang an dabei, hat die Kinderstube Wanner Straße am 1. September 2017 mit eröffnet. „Das ist wie mein Baby“, so die 51-Jährige.

Tagesmutter Mariam El Kasmi und die kleine Elanour im Bewegungsraum: In der Kinderstube an der Wanner Straße in Gelsenkirchen werden Kleinkinder betreut und sprachlich gefördert.
Tagesmutter Mariam El Kasmi und die kleine Elanour im Bewegungsraum: In der Kinderstube an der Wanner Straße in Gelsenkirchen werden Kleinkinder betreut und sprachlich gefördert. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Dilek Atalay sagt auch: „Kinder, die die deutsche Sprache können, wissen, wie man sich verständigen kann.“ Sie erzählt ihre Geschichte: Ihre Familie kam einst aus der Türkei, die große Schwester durfte in den Kindergarten gehen, sie und ihre Schwester nicht. Erst als Dilek Atalay in die Grundschule kam, musste sie deutsch sprechen. Es wurde zu einem Problem – „Ich habe nichts verstanden, gar nichts“, erinnert sie sich. Und auch daran, dass sie noch nicht einmal nach der Toilette fragen konnte.

Große Aktion der Kinderstuben auf dem Heinrich-König-Platz

Die Gelsenkirchener Kinderstuben beteiligen sich an den Internationalen Wochen gegen Rassismus. Am Freitag, 24. März, planen sie in der Zeit von 10 Uhr bis 15.30 Uhr eine Aktion auf dem Heinrich-König-Platz in der Innenstadt.

Unter dem Motto „Alle Kinder lachen die gleiche Sprache“ soll ein großes Banner mit den Handabdrücken der Kinder entstehen. Heliumballons mit der Aufschrift „Gegen Rassismus“ sollen gegen 13 Uhr in den Himmel steigen. Dazu gibt es kleine Köstlichkeiten aus verschiedenen Ländern der Welt. Die Tagespflegepersonen der Kinderstuben wollen dann auch über ihre Arbeit und ihren Alltag informieren.

Zurück im Hier und Jetzt zeigen die Zweijährigen, wie sie eben meistens sind: Schnell wird aus gewisser Ruhe kleine Aufregung und fröhliches Gewusel. Nicht mehr lange, dann gibt es Mittagessen, selbst gemacht. Dilek Atalay hat Bulgur mit Gemüse gekocht, das Lieblingsessen der Bande. Helma ist indes neugierig und will Reporterin spielen, mit Stift und Zettel in der Hand. Elanour schiebt eine kleine Baby-Puppe im Holz-Kinderwagen über einen Teppich voller Blumen. Später wird es ein riesiger Teddy sein, der umherkutschiert wird. Und Shoug reibt sich schon die Augen. Bis zum Mittagsschlaf muss sie noch ein bisschen durchhalten.

Helma, Elanour, Shoug und die anderen sechs bleiben noch bis zum Sommer. Im August dann wird für sie – nach einem glücklichen Jahr in der Kinderstube – der Kindergarten-Alltag starten, einen Platz haben sie sicher. Dilek Atalay und ihre Kolleginnen sind überzeugt, dass es wichtig ist, dass jedes Kind gestärkt und wertgeschätzt wird. Und auch davon: „Integration fängt von klein auf an.“