Gelsenkirchen-Altstadt. Im „Stadtgespräch“ zur Internationalen Woche gegen Rassismus steht die soziale Sicherheit im Blick. Angesprochen werden auch die Ängste dahinter.

Das vielzitierte „Zusammenrücken“ gelang diesmal mühelos, denn das nicht eben riesige Foyer im August-Bebel-Haus an der Gabelsberger Straße füllte sich schnell mit Besuchern beim „Stadtgespräch“, auch die Treppenstufen mussten als Sitzplätze herhalten.

In der örtlichen SPD-Zentrale stand als Beitrag zur „Internationalen Woche gegen Rassismus“ eine Podiumsdiskussion auf dem Programm, die mit vielen persönlichen Statements auch die Frage nach der „Sozialen Sicherheit“ aufgriff.

Als Moderatorinnen leiteten Bürgermeisterin Martina Rudowitz und Nicole Schmidt vom SPD-Unterbezirksvorstand durch den Abend. Mit OB Karin Welge, Prof. Dr. Holger Schmidt von der Technischen Universität Dortmund und Joshua O. Milk vom Verein Kerem Ke e.V. (Kurdisch etwa für: „Willkommen!“) waren drei unterschiedliche Perspektiven und Ansätze zum Thema gegeben.

Podiumsdiskussion im Gelsenkirchener SPD-Haus

Das zeigte sich schon in der Vorstellungsrunde. Joshua O. Milk blätterte auf: „Ein gebürtiger Kurde, der Deutsch spricht und sich als Ruhrpotter definiert“, und damit auch seine „Heimat“ meine. Der Verein „Kerem Ke“ engagiere sich für Menschenrechte, Menschenwürde und Religionsfreiheit, die Mitglieder seien sowohl von den Nationalitäten wie von den vertretenen Berufen sehr gemischt.

Joshua O. Milk (Kerem Ke e.V.), Bürgermeisterin Martina Rudowitz, OB Karin Welge, Prof. Dr. Holger Schmidt und Nicole Schmidt diskutierten im Stadtgespräch über Rassismus, Extremismus und Antisemitismus im Gelsenkirchener August-Bebel-Haus.
Joshua O. Milk (Kerem Ke e.V.), Bürgermeisterin Martina Rudowitz, OB Karin Welge, Prof. Dr. Holger Schmidt und Nicole Schmidt diskutierten im Stadtgespräch über Rassismus, Extremismus und Antisemitismus im Gelsenkirchener August-Bebel-Haus. © FUNKE Foto Services | Frank Oppitz

Holger Schmidt gab sein Tätigkeitsfeld mit „Wissenschaft der Sozialen Arbeit“ an, wusste den eher akademisch-trockenen Begriff aber schnell mit Inhalten zu füllen. Karin Welge erinnerte kurz daran, dass sie 2011 in Gelsenkirchen als Sozialdezernentin begonnen hatte.

Vor allem aber sei ihr Großvater im Saarland auch noch Bergmann gewesen, was sie durchaus mit als prägend für ihren späteren Weg ins Ruhrgebiet ansah.

Definition der Haltung

Schmidt übernahm zunächst die Eingrenzung. „Rechts“ sei in der Verwendung ein eher diffuser Begriff, sowohl soziologisch wie politisch, „und schließlich auch aus Sicht des Verfassungsschutzes“. Das Gemeinsame sei aber durchgängig, dass durch rechte Gruppierungen andere, ob kleinere oder vermeintlich schwächere, abgewertet würden: „Seien es Juden, Roma oder Schwule“, nannte er als Beispiele. „Es ist eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, definierte er.

Daraus entstünden fast zwangsläufig politischer Extremismus und eine antidemokratische Weltanschauung, die mit Gewalt durchgesetzt werden solle. „Eher neu in dem Spektrum sehen wir Corona-Leugner und Impfgegner“, führte Schmidt weiter aus. Gesellschaftliche Schichten der „Gesicherten“, die sich materiell und sozial gefestigt sähen, stünden am anderen Ende des Spektrums.

„Gesicherte“, „Entkoppelte“ und „Prekariat“

Dort befänden sich inzwischen immer mehr „Entkoppelte“: „Viele, die aus dem Arbeits- und dem gesellschaftlichen Leben quasi herausgefallen sind, die resigniert haben und wohl nie wieder da heraus kommen.“ Angst sei vorherrschend in dieser Gruppe. In der Mitte sah Schmidt „das Prekariat, und das bröckelt regelrecht immer weiter nach unten, dort wächst die Angst vor der Entkoppelung“.

Angst sah auch Karin Welge aktuell weiter verbreitet angesichts von Krisen durch Corona, Ukraine-Krieg und Mangellage, und damit auch das Gefühl, die soziale Sicherheit sei gefährdet. „Dabei muss man immer wieder klarmachen, dass jeder in der Gesellschaft an seinem Platz wichtig ist, und sich auch selber um seine soziale Teilhabe kümmern muss“, lautete ihr Appell.

Eigenes Handeln wieder wertschätzen

Die Aufgabe sei nun, so Welge weiter, Sorge für das Vertrauen in den Staat und auch für ein gemeinsames Werteverständnis zu tragen. Das jeweils eigene Handeln müssten die Menschen in Gelsenkirchen wieder wertschätzen, unterstrich die OB.

Den Blick hinter die Fassade empfahl Joshua O. Milk, gerade bei Parteien und Institutionen. „Wie im Restaurant: Da prüfe ich auch erst, wie die Toilette aussieht“, erzählte er blumig. Hinter den Absichten und Angeboten von Extremisten aller Spektren verberge sich oft ein Spielen mit der Angst der Menschen.

Milk empfahl schlicht aber eindringlich: „Öfter einmal dankbar sein!“, die derzeitige Krise biete dazu eine große Chance. „Wenn wir auf den russischen Angriffskrieg blicken, sollten wir glücklich sein, dass wir privilegiert in Frieden leben können, und auch die Dinge, die im Laden so viel teurer geworden sind, stärker schätzen“, schilderte er sein Credo.

Einig schienen sich die Beteiligten in der anschließenden Diskussion. Dazu gehört auch die Haltung, dass es letztendlich die Einwohner der Stadt in der Hand hätten, Gelsenkirchen demokratisch zu erhalten. „Und sich dafür auch auf Neues einlassen, ohne auf gemeinsame Werte zu verzichten.“