Gelsenkirchen. Einst sei man „eine Familie“ gewesen. Doch dann leitete Primark eine neue Strategie ein. Für die Beschäftigten war es der Anfang vom Ende in GE.
Zu Beginn, als Primark 2010 eines seiner bundesweit ersten Geschäfte in Gelsenkirchen öffnete, da fühlten sich die Beschäftigten noch „wie in einer großen Familie.“ Aber nach einigen Jahren sei dann das gefolgt, was vom Unternehmen als das „In-Store-Experience“-Projekt („Ladenerlebnis“) kommuniziert wurde – der Wendepunkt für die Beschäftigten. „Ab dann“, sagte Betriebsratsmitglied Petra Weinert im vergangenen Wirtschaftsausschuss, „waren wir nur nur noch eine Nummer auf dem Papier.“ Man habe nicht mehr denken müssen, jeder Arbeitsschritt sei vorgegeben worden. „Wir wurden von erwachsenen, selbstständigen Menschen zu Firmenrobotern.“
Eingeladen wurde der Betriebsrat von SPD und CDU in die politische Sitzung, damit dieser seine Sicht auf die geplante Schließung der Gelsenkirchener Filiale zum Jahresende geben konnte. Dabei zeigte sich: Auch für die 101 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kam die Nachricht von dem beabsichtigten Aus völlig überraschend. „Es hieß immer, Gelsenkirchen würde nicht schließen, uns wurden immer gute Umsätze mitgeteilt“, sagte der Betriebsratsvorsitzende Christian Kozak. Dementsprechend hätten die Mitarbeitenden keine Möglichkeit gehabt, sich an einer etwaigen Rettung der Filiale zu beteiligen. „Wir wurden nicht mit ins Boot geholt und dann vor vollendete Tatsachen gestellt.“
Primark-Projekt sollte Laden „aufgeräumter“ wirken lassen – Beschäftigte wurden unzufriedener
Über die von den Beschäftigten als Zäsur wahrgenommene „In-Store-Experience“ (ISE) lassen sich viele positive Verlautbarungen der Primark-Führungskräfte in diversen internationalen Branchen- und Nachrichtenportalen finden. Da wird etwa das 2019 eröffnete Geschäft in Birmingham als „Blaupause“ dieses Shop-Erlebnisses bezeichnet, dort wo man neben Textilien auch ein Schönheitsstudio, einen Friseur und „neue kulinarische Erlebnisse“ ansiedelte.
Derartige kreative Auswüchse gab es in Gelsenkirchen bekanntermaßen nicht. Nach Schilderungen des Betriebsrates sei das „ISE“-Projekt hier vor allem mit der Absicht eingeführt worden, den Laden „aufgeräumter“ wirken zu lassen. Dazu sei die Ware nur noch von früh morgens bis 12 Uhr auf die Fläche gebracht worden, anschließend hätten die Beschäftigten nur noch „aufgeräumt“ und nichts mehr einsortiert, was der Lieferwagen gebracht hatte.
Betriebsrat Gelsenkirchen vergleicht Primark mit Heuschrecke
Für die Mitarbeitenden änderte sich aber nicht nur das. Sie seien ab Einführung des ISE-Projekts nur noch in verschiedenfarbigen Zonen eingeteilt worden – eine Farbe etwa für die Umkleide, eine für die Kasse. Im Zwei-Stunden-Rhythmus habe man die Zonen dann wechseln müssen. „Dadurch gab es niemanden mehr, der für eine Abteilung verantwortlich war“, erklärte Petra Weinert im Anschluss an den Wirtschaftsausschuss gegenüber der WAZ. Vorher habe es beispielsweise eine feste Ansprechpartnerin für die Damenabteilung gegeben. Mit dem Beruf der Verkäuferin, der ja auch die Beratung mit einschließt, habe der Arbeitsalltag dann nicht mehr viel zu tun gehabt, beklagt Weinert.
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Ihr zufolge könnte man Primark am besten mit einer Heuschrecke vergleichen. „Sie kommen, besetzen ein Areal, grasen alles ab und machen sich dann vom Acker ohne Rücksicht auf Verluste.“ Schließlich werde wohl kein Arbeitnehmer übernommen, „alle 101 Beschäftigten sollen entlassen werden“, sagte Betriebsratschef Christian Kozak – mit einem Durchschnittsalter von 47,5 Jahren. „Besonders traurig ist es natürlich für Mitarbeiter, die kurz vor Rentenbeginn stehen.“
Vertreter der Stadt Gelsenkirchen treffen sich mit Primark-Geschäftsführung am 30. Mai
Simon Nowack, Dezernent für Wirtschaftsförderung in der Stadt, kommentierte die Aussagen des Betriebsrats als „eindrückliche Schilderungen“, die Situationen der Beschäftigten seien „existenzbedrohlich“ „Das bedauern wir sehr, genauso wie die aus unserer Sicht nicht wirklich gute Kommunikationspolitik seitens der Firma Primark.“
Erst über den Pressebericht der WAZ habe man über die geplante Schließung erfahren, anschließend hätten sich „die Kollegen der Wirtschaftsförderung die Finger wund gewählt“, um Verantwortungspersonen von Primark telefonisch zu erreichen. „Wir haben aber keine weiteren Informationen bekommen.“ Das habe die Stadt auch deswegen sehr irritiert, weil es rund zwei Monate vorher noch einen direkten Kontakt mit Primark gegeben habe. „Von einer Schließung war da überhaupt keine Rede“, so Nowack.
Mittlerweile habe man aber einen Termin mit Christiane Wiggers-Voellm, Geschäftsführerin von Primark in Deutschland, vereinbaren können, „um über den Standort Gelsenkirchen zu sprechen“, so Nowack. Geplant ist der Termin für den 30. Mai 2023.