Gelsenkirchen. In Irland findet am 22. und 23. April die Angel-Weltmeisterschaft statt. Mit dabei ist auch Darek Deja aus Gelsenkirchen – er träumt vom Titel.
Angeln hat sich zum Hipsterhobby gemausert. Die Corona-Krise mit ihren Verboten hat den Vereinen regen Zulauf beschert, besonders von Jugendlichen. Einer, der es seit seinen Kindertagen auf die ganz dicken Fische abgesehen hat, ist Darek Deja. Der Gelsenkirchener fährt jetzt zur Angel-Weltmeisterschaft nach Irland. Der Kampf um den Titel – für den 38-Jährigen erfüllt sich damit ein Traum.
32 Mannschaften kämpfen um die WM-Krone – Gelsenkirchener im Zammataro-Team
Am Wochenende des 22./23. April kämpfen 32 Teams um den Weltmeistertitel der Feeder-Angler an einem traumhaft gelegenen See im Nordosten Irlands – am Lough Muckno in der Grafschaft Monaghan nahe der Stadt Castleblayney. Die Bezeichnung „Feeder“ - „to feed“ kommt aus England und heißt übersetzt „füttern“. Dies bedeutet, „dass mit einem Futterkorb geangelt wird“, erklärt Darek Deja. Eine von unzähligen Techniken, um Fische an den Haken zu bekommen. Objekt der Begierde für ihn und seine vier Mitstreiter im Team sind Brassen, Rotaugen und Hybride, allesamt Friedfische, wählerisch, misstrauisch, scheu – und nicht leicht zu überlisten.
Zeit, um die raue Schönheit der Natur zu genießen, hat Darek Deja aber kaum, selbst in der Trainingswoche (17. bis 21. April) vor den Titelkämpfen nicht. Seine volle Aufmerksamkeit gehört beim Warm-up dem Gewässer und seiner Struktur. Uferzonen, Bewuchs, verkrautete Stellen, Freiwasser, Licht und Schatten, all das kann der gelernte Tischler mit den Augen erfassen. Wie es unter Wasser aussieht aber nicht. Deja muss sich daher auf seine Sinne verlassen, genauer gesagt: auf sein Fingerspitzengefühl.
Signalgeber sind für den Familienvater aus Beckhausen vor allem „Angelschnur und Futterkorb“, in dessen Nähe der Haken mit dem Köder liegt – Würmer, Maden, Teig oder Brot. Kunstköder (Gummifische und Ähnliches wie Wobbler) kommen nicht zum Einsatz. Wurf um Wurf vermitteln ihm „Absinken, Aufprall oder das Zucken der Schnur beim Einholen einen Eindruck davon, wie es unter Wasser aussieht“, sagt der Gelsenkirchener.
So kann er beispielsweise das Tiefenprofil des Gewässers ausloten, seine Strömung erfühlen, herausfinden, wo es sandige oder schlammige Zonen gibt, wo Steine sich türmen oder wo Pflanzen unter Wasser ein Dickicht bilden, das Friedfischen Deckung vor Fressfeinden wie Hechten oder Barschen gewährt. Und ob gerade ein Fisch sich an die Köder herantastet, versuchsweise zubeißt.
Faszination Angeln: Entschleunigung steht im Mittelpunkt
Solche Erkenntnisse können ein entscheidender Faktor sein, wenn es am Samstag und Sonntag (22./23.) für ihn und das Zammataro-Team (Futtermittel-Anbieter) um dem Weltmeistertitel geht. Rund um den See werden dann fünf Wettkampfzonen eingerichtet, in denen im Wechsel jeweils ein Mannschaftsmitglied der 32 Teams in Konkurrenz mit den anderen tritt – es gewinnt am Ende das Team, dessen Fische zusammengerechnet das größte Gewicht auf die Waage bringen. „So haben auch diejenigen Chancen auf den Sieg, die nicht die dicksten Fische an Land ziehen“, so der 38-Jährige. „Sondern vielleicht die meisten.“
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Darek, der seit seinem fünften Lebensjahr Hecht, Zander, Karpfen und Co. nachstellt, lächelt, wenn man ihn nach den Gründen seiner Faszination für das Angeln fragt. Für den Gelsenkirchener ist der als „spießig und provinziell“ verschriene Sport genau das Richtige, „um zu entschleunigen“. Als Tischler hat der 38-Jährige lange gearbeitet, heute berät er Gleichgesinnte in der Herner Angeldomäne, einem Fachgeschäft.
Großer Markt: 65, Millionen Angler in Deutschland, Umsatz liegt bei 6,5 Milliarden Euro
Angler gibt es übrigens überraschend viele und zahlungskräftige noch dazu: Etwa 6,5 Millionen Deutsche sind nach Verbandsangaben in Angel-Vereinen organisiert, der jährliche Umsatz im Segment Angel- und Fischereiausrüstung beträgt rund 6,5 Milliarden Euro.
Reich werden oder leben können nur die wenigsten Angler durch und von ihrem Hobby. Das ist in Amerika anders, dort sind gigantische Preisgelder von 500.000 Dollar keine Seltenheit. Angel-Millionäre ebenso. Auch auf Darek und seine Mannschaftskollegen, mit denen er sich über nationale Wettkämpfe qualifiziert hat, wartet kein üppig ausgefüllter Scheck mit Siegprämie, sondern nur „Pokal und Titel“ – also allenfalls viel Ehr’ und Applaus nach dem Finale beim Gala-Diner am Sonntagabend.
Angeln, heißt es außerdem, sei stinklangweilig. Dem liegt die Prämisse zugrunde, dass Aktivität und Fitness allein Glückseligkeit versprechen. Die Stunden am Wasser stehen im Widerspruch zum derzeit populären Mantra, alle Zeit möglichst effektiv zu nutzen.
Das sind die Gegner bei der Angel-WM
Neben Darek Deja aus Gelsenkirchen nimmt an der Feeder-Angel-WM auch noch Michael Zammataro aus Essen dabei. Die anderen Teammitglieder aus weiter entfernten Städten. Deutschland nimmt mit zwei Mannschaften an den Wettkämpfen teil.
Die Gegner-Teams kommen allesamt aus europäischen Ländern wie Österreich, Belgien, Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Slowakei, England, Frankreich, Irland, Italien, Spanien, Portugal, Rumänien, Holland, Ungarn, Litauen oder Polen.
„Angler tun genau das Gegenteil, und das allein zu ihrem Vergnügen“, stellt Darek Deja seine Haltung zu dem Freizeitspaß heraus, die das krasse Gegenteil zum vielfach üblichen Zeitgeist ist. Was nach geistiger Trägheit klinge, sei in Wirklichkeit eine professionelle Angelegenheit, die mit Wissen und Verantwortung für die Umwelt zu tun habe. Allein schon wegen der unterschiedlichen Lebensgewohnheiten der Fische. Oder solchen, die gerade geschont werden müssen, weil ihr Bestand bedroht oder weil gerade Laichzeit ist.
Gelsenkirchener: Angeln ist Detektivarbeit und eine großartige Schule für die Sinne
In einer Zeit, in der der Klimawandel den meisten Menschen geläufiger ist als der Unterschied zwischen einem Karpfen und einem Hecht, ist für den Gelsenkirchener „Angeln eine großartige Schule der Sinne“. Deja kommt darüber geradezu ins Schwärmen. „In den langen Augenblicken am Ufer schweift der Blick immer wieder über die Vegetation und das Wasser. Man riecht den Morast, hört die Schreie der Vögel. Später, gegen Abend hin, spürt man die aufsteigende Kälte in den Sachen. Man nippt an seinem Kaffeebecher und fragt sich, warum plötzlich Blasen aufsteigen oder die Wasseroberfläche in Bewegung kommt, obwohl es windstill ist.“
„Angler“, so Darek Deja abschließend, „sind wie Detektive, die alle verfügbaren Indizien zu einem Urteil verdichten.“ Bis die Schnur dann wieder einmal zu wandern beginnt und man den Anschlag setzt – vor Ungeduld beinahe platzend, was sich denn am anderen Ende der Schnur verbergen mag. Mehr Belohnung braucht es anscheinend nicht – obwohl, so einen WM-Titel. . .