Ruhrgebiet. In dieser Zeit boomt das Angeln: Es ist coronakonform und nicht eingeschränkt. Und dass das Vereinsleben stockt, stört nicht jeden Angler.

Die erste Angel-Bootsfahrt lief nicht bestens für Louis, nein, wirklich nicht. Es hat geregnet, es war zu kalt, und er hatte auch nur Turnschuhe an. Beeindruckt hat es den Zehnjährigen nicht weiter: „Ich bin nur nass geworden.“ Seine Mutter Sabrina sagt sogar: „Ich glaube, mein Mann ist auch bald dabei.“ Alle angeln.

Und so ist es ja wirklich. In Nordrhein-Westfalen boomt das Angeln, diese ausgesprochen coronakonforme, na ja, soll man Tätigkeit sagen? Im Fischereiverband Westfalen-Lippe stieg beispielsweise die Zahl der Mitglieder im Coronajahr von 66.000 auf über 69.000; und vom großen „1. Angelsportverein Dortmund“ von 1901 sagt Kassierer Werner Weiß: „180 Leute dazu, vielleicht auch 190.“ Normal sind um die 100.

„Hier ist immer jemand, zwei von uns haben sogar im Zelt übernachtet“

Norbert Kovac ist der 1. Vorsitzende des 1. ASV Dortmund.
Norbert Kovac ist der 1. Vorsitzende des 1. ASV Dortmund. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Natürlich sind auch an diesem eiskalten Sonntagmorgen ein paar Leute am Ternscher See in Selm, wo der Kreis Unna schon sehr nach Münsterland aussieht. Vier, fünf Angler sitzen am Ufer in einem weit gezogenen Halbkreis. Haben offenbar gegrillt, ein paar Bierflaschen stehen auch unschuldig am Ufer. „Hier ist immer jemand. Zwei von uns haben sogar im Zelt übernachtet“, sagt einer. Der traditionsreiche ASV hat hier sein Vereinsheim; so traditionsreich ist er, dass der 1. Vorsitzende des 1. ASV, Norbert Kovac, sagt: „Ich glaube, hier sind wir erst seit 1939.“

Louis ist auch da. Er habe irgendwann mitgekriegt, dass sein Nachbar in Selm angelte, sei dann einfach mal mitgegangen, und ja, es gefiel ihm. „Ich fand die Ruhe toll und, Fische zu fangen.“ Seine Schwester Lina ist mit drei Jahren nun tatsächlich noch zu jung, hat die beiden großen Vorteile aber bereits komplett durchschaut: „Da ist mein Bruder den ganzen Tag weg und abends kann man Fische essen.“

Zahl der Vereinsangler hat sich in 50 Jahren mehr als verdoppelt

„Die Corona-Pandemie hat den Trend zum Angeln verstärkt“, sagt Michael Möhlenkamp vom Verband. Denn anders, als man erst mal so herummeint, ist etwa in Westfalen die Zahl der Vereinsangler von 1970 an kontinuierlich gestiegen, mit einer einzigen Delle in den 1990-ern. 1970 waren sie unter 30000, heute sind sie bald bei 70000.

Die wachsende Zahl der Mitglieder zeige den Trend, meint Möhlenkamp, auch die der verkauften Tageskarten (eine Art Eintags-Angelschein) und der Interessenten an der Fischerprüfung. 4500 Menschen stehen gerade vor der Prüfung im Stau - weil sie monatelang nicht stattfinden konnte.

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Sein Interesse begründet einer der Angler so: „Du setzt dich irgendwo hin, hast deine Ruhe, niemand sieht dich.“ Es kämen sowohl Neulinge als auch Angler, die sich vor Jahren verabschiedet hätten: „Nach Holland konnten sie ja nicht mehr.“ Und auch das Zuhause spiele eine große Rolle: „Manche sagen, ihnen fällt die Decke auf den Kopf. Andere: Theater zuhause.“ Also ab zum Ternscher See.

„Wir wollen die Kinder generell nach draußen holen“

Mit einem Jugendfischereischein kann man angeln, wenn man zehn geworden ist.
Mit einem Jugendfischereischein kann man angeln, wenn man zehn geworden ist. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Der ist das ganze Gegenteil von Theater: ein großes, gepflegtes Baggerloch mit ebensolchen Villen am Ufer. Und an einem Abschnitt das Anglergelände: Boote liegen am Ufer, eines ist draußen, zwei Männer in roten Schwimmwesten darin, ewig und ewig. Man kann es nicht anders sagen: Still ruht der See.

Bald, sagt Jugendwart Jürgen König, könne sich hoffentlich auch die Kinder- und Jugendgruppe in aufgeteilter Form wieder treffen. „Wir wollen die Kinder generell nach draußen holen, einfach weg von Glotze und Bildschirm.“ Und so haben sie zwar eine Whatsapp-Gruppe, um sich zu verabreden, aber „zum Angeltreff wird das Handy abgegeben“.

Junge Männer angeln insgesamt lieber anders, wie Marcel, der 15-jährige Schüler, und Florian, Auszubildender, 22: Ihr Ding ist Spinnfischen. Da sitzen sie nicht neben zwei, drei Angeln und meditieren entschlossen, das ist eh nicht jedes Anglers Art; sondern sie sind ständig in Bewegung, werfen den Köder aus und holen ihn ein, werfen aus, holen ein, werfen, holen. „Man wartet nicht auf den Fisch, man sucht ihn“, sagt Florian aus Castrop-Rauxel.

„Dieser Adrenalinschub, wenn der Fisch beißt“

Die beiden sind dabei wegen der Bewegung, die sich automatisch ergibt, dazu komme, sagt Marcel, „dieser Adrenalinschub, wenn der Fisch beißt“. Und dann gibt es praktische Gründe: Der Mitgliedsbeitrag im Verein ist so hoch wie zehn Tageskarten, und „zehn Tage im Jahr hat man schnell zusammen“, so Florian.

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Die Ruhe. Draußen zu sein. Corona-Beschränkungen gibt es nicht für das eigentliche Angeln, allerdings steht das Vereinsleben still. „Manchem Einzelgänger kommt das sogar entgegen“, heißt es. Als Angler, sagt Norbert Kovac, muss man natürlich auch „einen Sinn für die Natur haben. Wann sieht man schon mal einen Eisvogel?“ Ja, wann? „Ich hab’ noch keinen gesehen“, sagt Marcel. Wenn das kein Grund ist.