Gelsenkirchen. „Ein Stück Geschichte geht verloren“: Die Kaufhof-Filiale in der Gelsenkirchener City schließt. Was bedeutet das für die Menschen und die Stadt?

Das Wetter passt zur Stimmung: Es ist Tag eins nach der folgenschweren Nachricht, dass Kaufhof an der Bahnhofstraße schließen wird. Ende Juni 2023 für immer, abgewickelt und vorbei ist’s mit einem langen, traditionsreichen Abschnitt. An diesem März-Morgen in Gelsenkirchen regnet es und der Himmel zeigt sich grau in grau.

Aus für Kaufhof in Gelsenkirchen: „Das ist schlimm für die Stadt und eine Katastrophe“

Mit dem Aus „geht ein ganzes Stück Geschichte verloren“, sagt Anja Sabrowski. Wir treffen die Betriebsrätin im ersten Geschoss, nahe der Sportabteilung – und ihr ist anzusehen, was diese Nachricht mit ihr und all den anderen betroffenen Kolleginnen und Kollegen, es sind knapp 45 Festangestellte, gemacht hat. „Viele von uns haben die Nacht nicht geschlafen, da rattert es im Kopf“, so die Galeria-Mitarbeiterin. Wie soll es weitergehen? Gibt es eine Perspektive nach dem 30. Juni?

Blickt man durch die Schaufenster hinein, scheint alles (fast) wie immer. Die Kundinnen und Kunden kommen und gehen. Hanne Schneider etwa kennt den Kaufhof noch aus Kindertagen, „der war schon immer da. Schon meine Mutter hat da immer eingekauft“, berichtet sie. „Unterm Strich ist das einfach nur traurig“, findet sie. Das Kaufhaus hat sie regelmäßig angesteuert, um dort Herren-Unterbekleidung zu kaufen: „Das bekomme ich sonst nirgendwo in Gelsenkirchen“, sagt die 69-Jährige, die auf einen Rollstuhl angewiesen ist. „Das ist schlimm für die Stadt und eine Katastrophe – wo soll ich sonst hin?“, fragt die gebürtige Gelsenkirchenerin.

Eine andere Ur-Gelsenkirchenerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, ist an diesem Morgen „aus nostalgischen Gründen“ noch einmal zum Kaufhof gekommen. Häufig sei sie nicht dort gewesen, sei oft in andere Städte gefahren, um das zu bekommen, was sie brauche. „Süd ist gestorben“, findet sie drastische Worte und: „Online hat viel kaputt gemacht.“ Sie habe sich schon gedacht, dass die Gelsenkirchener Filiale geschlossen wird.

Ein älteres Ehepaar kommt die Bahnhofstraße entlang, ein Schirm schützt sie vor dem kräftigen Schauer. Auch sie wollen lieber anonym bleiben – sie finden es „schade“, dass nun auch Kaufhof bald die großen gläsernen Türen für immer schließt. Mit der Schließung von Saturn hat für ihn der Niedergang richtig Fahrt aufgenommen, seine Frau hingegen räumt ein: „Ich habe eher selten dort gekauft, da ich nicht immer das gefunden habe, was ich brauchte.“

Kaufhof-Aus in der Gelsenkirchener City: Mitarbeiter sind den Tränen nahe

Ulla Köhl ist Gladbeckerin und eigentlich nicht so häufig in der City – sie findet die Schließung „schrecklich“, sagt sie. „Aber im Grunde sind wir ja selbst schuld“, sagt sie auch und spielt damit auf den ihrer Meinung nach viel zu häufig genutzten Online-Handel an.

Anja Sabrowski ist indes hinter die Kassentheke gewechselt, unterstützt eine Kollegin beim Kassieren. Ihr Gesichtsausdruck ist sorgenvoll, dass sie bedrückt ist, kann man schon von weitem sehen. Eine Schlange hat sich vor den Kassen gebildet, ob heute, 24 Stunden nach den schlechten Nachrichten, schlicht mehr los sei? Das Gefühl habe sie auch, sagt Anja Sabrowski.

Viele Kunden hätten ihr Mitgefühl ausgedrückt, es gab viele Gespräche an der Kasse. „Die eine oder andere Kollegin ist den Tränen nahe“, berichtet Sabrowski. Doch es gibt viel Rückhalt, im Kleinen und im Großen: Zwischendurch geht die Frage von Kollegin zu Kollegin: „Alles ok?“, da wird ein Arm gestreichelt oder ein nettes Wort herübergeschickt.

Gelsenkirchens OB Welge und Sozialdezernentin Henze sagen Hilfe zu

Oberbürgermeisterin Karin Welge habe laut Anja Sabrowski am Dienstagmorgen schon früh ihre Hilfe zugesagt und am späten Vormittag kommt Sozialdezernentin Andrea Henze vorbei. Für Anja Sabrowski und die Gelsenkirchener Belegschaft ein schönes Zeichen, das tue ihnen gut, sagt sie.

Seit 30 Jahren arbeitet sie bei Kaufhof – sie ist neben all den Sorgen „traurig und zum Teil auch wütend“. Auf die Frage nach dem „Warum?“ antwortet sie: „Weil viele Dinge nicht so hätten laufen müssen.“ Sie nennt das Beispiel Personal, das mit der Zeit massiv ausgedünnt wurde. „Schauen Sie doch mal da drüben, in der Parfümerie-Abteilung – es steht dort niemand“ – eigentlich lebt das Warenhaus doch vom Personal ergo der Beratung. „Personal ist das größte Kapital und das wird tatsächlich nicht richtig gepflegt.“

Viele ihrer Kollegen und sie selbst auch würden gerne weiter bei Galeria in anderen Filialen arbeiten – „ich sehe da aber sehr, sehr geringe Chancen.“ Und sie erzählt von etlichen Kollegen, die bereits Schließungen durchgemacht haben, die mit der in Gelsenkirchen jetzt schon zum dritten Mal betroffen sind. Was denkt sie, wenn sie auf die kommenden Wochen des Ausverkaufs blickt? „Es wird von Woche zu Woche schlimmer.“