Gelsenkirchen. Die Gelsenkirchener Feuerwehr hat Probleme, qualifizierten Nachwuchs zu finden. Was Bewerbern neben Grundwissen und Fitness noch alles fehlt.
Der Kampf um die Retter von morgen ist härter geworden bei der Gelsenkirchener Feuerwehr. Ihr Chef, Michael Axinger, spürt die Auswirkungen des Fachkräftemangels. Den Leitenden Branddirektor treiben nicht nur sinkende Bewerberzahlen Sorgenfalten auf die Stirn, sondern neben fehlenden Grundkenntnissen und mangelnder Fitness der aktuellen Kandidaten auch noch ärgerliche Umgangsformen und fragwürdige Einstellungen.
Feuerwehr Gelsenkirchen: Zahl der Bewerber um 50 Prozent gesunken
„Sie sind sehr unzuverlässig“, sagt Axinger, seien vielfach schlecht vorbereitet und legten ein bedenkliches Bewerbungsverhalten an den Tag, das „aus dem Wissen resultiert, am Arbeitsmarkt aktuell stark gesucht und gefragt zu sein“. Der Feuerwehr-Chef meint damit „Bewerbungen auf den letzten Drücker“, mitunter nur „wenige Stunden vor Ende der Abgabefrist“. Verärgert ist der Branddirektor besonders darüber, dass Bewerberinnen und Bewerber nach einer Zusage zum Auswahlverfahren „einfach fern bleiben, ohne vorher abzusagen“.
In Axingers Augen sind dies nicht unerhebliche Charakterschwächen. Er schließt daraus, dass die Bewerbung „eher leichtfertig als aus Überzeugung“ eingereicht wurde. Und dass es die Kandidatin oder der Kandidat im Berufsalltag mit den Pflichten womöglich nicht allzu genau gehalten hätte. Für einen Job, bei dem es vor allem auf Teamwork und Verlässlichkeit ankommt - es geht schließlich um Menschenleben - ein Unding.
Vor fünf Jahren kam die Gelsenkirchener Feuerwehr noch auf 400 Bewerberinnen und Bewerber für 16 Stellen als Brandmeister/-in, heute „sind es nur noch etwa die Hälfte“. Ein Indiz dafür, wie stark der Kampf auf dem Arbeitsmarkt um die besten Nachwuchskräfte tobt – in der freien Wirtschaft lässt sich nicht selten deutlich mehr verdienen, als bei der Stadt.
215 Frauen und Männer haben sich für den kommenden Lehrgang ab 1. Oktober beworben. Ähnlich sah es für den bereits am 1. April startenden Lehrgang aus.
Auswahlverfahren bei der Feuerwehr Gelsenkirchen: So hoch sind die Durchfallquoten
„Die Durchfallquoten bei den Einstellungstests betragen 20 bis 30 Prozent“, weiß Michael Axinger. Und das, obwohl aus den Tests, die es zu absolvieren gilt, seit langem kein Geheimnis gemacht wird. Nachzulesen sind die Anforderungen beispielsweise auf feuerwehrtest.de. „Mit einer rechtzeitigen und entsprechenden Vorbereitung sind die Tests gut zu bestehen“, ist der Feuerwehr-Chef daher überzeugt.
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Dass trotzdem noch etwa jede(r) Vierte durchs Raster fällt, führt der Diplom-Chemiker unter anderem auch auf die geistige Haltung der Bewerber zurück. Motto: Klappt’s hier nicht, dann eben woanders, Fachkräfte werden ja überall händeringend gesucht. Dazu passt auch, „dass von den eingeladenen Prüflingen nochmals 20 bis 30 Prozent gar nicht erscheinen zu den Tests“, so Axinger. Das sei frustrierend. 50 Bewerber seien am vergangenen Wochenende zum Sporttest gebeten worden, 15 fehlten unentschuldigt.
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Dem Mangel an Nachwuchs versucht die Feuerwehr unter anderem über die Arbeit der Kinder- und Jugendfeuerwehr zu begegnen, auch wurde das Höchstalter der Berufsfeuerwehrleute um zehn Jahre angehoben. Mittlerweile können die Bewerberinnen und Bewerber mit spätestens 38 Jahren noch eine Ausbildung beginnen. Die Berufstätigkeit endet mit der Pensionierung im Alter von 60 Jahren.
Eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem handwerklich-technischen Beruf nebst Führerschein der Klasse 3 oder B gilt als Grundvoraussetzung für den Einstieg bei der Feuerwehr mit all ihren hochwertigen technischen Gerätschaften, medizinisch-kaufmännische Werdegänge sind in Kombination mit einer ehrenamtlichen Tätigkeit - zum Beispiel beim Deutschen Roten Kreuz - aber auch kein Hindernis.
Woran die Kandidaten vielfach scheitern: Allgemeinwissen, Mathe, Fitness
Dreisatz- und Prozentrechnung – eigentlich Basiswissen aus der Unter- oder Mittelstufe, „daran scheitern viele Bewerber im Test“, berichtet Axinger konsterniert. Leer blieben Antwortfelder auch, wenn nach dem amtierenden Bundeskanzler gefragt werde oder nach der Anzahl der deutschen Bundesländer. Rechtschreibung und Grammatik seien ebenfalls nicht jedermanns Sache, etwa beim Auswerten eines Fehlertextes. „Hier haben viele Prüflinge zum Teil erhebliche Defizite“, stellt Axinger fest.
Aber selbst wenn bei der Sprache ein Auge zugedrückt wird, spätestens beim Sporttest ist für viele Schluss.„Wir wundern uns immer wieder darüber, dass viele Kandidaten nicht in der Lage sind, 3000 Meter innerhalb von 15 Minuten zu laufen“, erzählt der Feuerwehrchef. Schwindelfrei sei auch nicht jeder, der die 30 Meter hohe Drehleiter gesichert hinauf- und wieder hinabsteigen soll.
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Die Spreu vom Weizen trennt oft der sogenannte „G26-Test“, eine Belastungsprüfung für die späteren Atemschutzgerätetragenden auf dem Fahrrad-Ergometer. Ein Mann im Alter von 25 Jahren und circa 75 Kilogramm Körpergewicht muss dabei im Maximum circa 225 Watt (3 Watt/kg) treten. Sein Herzfrequenzzähler sollte bei der höchsten Leistung 160-170 Schläge nicht überschreiten und der Blutdruck kurzzeitig bei der höchsten Belastung nicht über dem Wert von 230/100 hinausgehen.
Bei einer Frau mit 70 Kilogramm Körpergewicht ist die zu erreichende Zielwattzahl auf dem Fahrradergometer 175 Watt. Ihr Puls darf dabei ebenfalls nicht höher als auf 160-170 Schläge pro Minute ansteigen.
„Vielen gehen dabei vorzeitig Kraft und Puste aus und sie müssen die Segel streichen“, hat Axinger zuletzt wieder beobachtet. In seinen Worten schwingt Enttäuschung mit. Denn Kraft und Kondition sind eher eine Frage des Fleißes und nicht des Talentes. Allgemeinwissen ebenso. Wer rechtzeitig anfängt fit zu werden für die Tests, schafft sie in der Regel auch. Davon ist der Gelsenkirchener Feuerwehr-Chef überzeugt. „Eben eine Frage der Einstellung“. Und daran hapert es nach seiner Einschätzung immer öfter.