Gelsenkirchen. In den Seniorenhäusern der Stadt Gelsenkirchen wird die Arbeitswoche verkürzt. Ein Tropfen auf den heißen Stein oder eine echte Verbesserung?

Die Pflegebranche steht vor der doppelten Herausforderung, einerseits den längst deutlich spürbaren Fachkräftemangel zu stemmen, den Beruf anderseits aber auch attraktiver zu machen, damit nicht noch mehr Pflegekräfte das Handtuch werfen. Die städtischen Seniorenhäuser haben in diesem Spannungsfeld jetzt einen kleinen Spielraum genutzt, um die Beschäftigten zu entlasten. Das Instrument: Eine kürzere Arbeitswoche. Die Resonanz: „durchweg positiv“, freut sich Betriebsleiter Marc Dissel.

Die Freude gilt einem halbjährigen Probeversuch für die 102 Beschäftigten an der Schonnebecker Straße in Rotthausen, wo sich eines von vier Seniorenhäusern der Stadt befindet. Hier wurde die 6-Tage-Woche auf eine 5,5-Tage-Woche reduziert. „Das war ein Wunsch, der direkt aus der Mitarbeiterschaft heraus entstanden ist“, berichtet Dissel. Für Vollzeit-Pflegekräfte, die bislang planerisch zwölf Tage am Stück durchgearbeitet haben, heißt die Umstellung, dass sie jetzt elf Tage arbeiten und nicht mehr nur zwei Tage, sondern drei Tage frei haben.

Betriebsleiter der Seniorenhäuser Gelsenkirchen: Das bringt eine kürzere Arbeitswoche

„Das bedeutet zwar, dass die Mitarbeitenden am Tag etwas länger arbeiten müssen“, sagt Dissel, „aber das bedeutet für sie auch, das sie in ihren Schichten mehr Zeit haben, um bestimmte Aufgaben zu erledigen.“ Aufgaben nämlich, für die sonst zu wenig Zeit sei – etwa die Pflegedokumentation oder ein intensiverer Austausch mit den Senioren. Im Ergebnis seien alle zufriedener. „Es sorgt für weniger Stress und eine höhere Arbeitszufriedenheit“, resümiert Dissel und stützt sich auf Befragungen, die er in der Belegschaft durchgeführt habe.

Marc Dissel ist Betriebsleiter der Seniorenhäuser Gelsenkirchen. „„Das war ein Wunsch, der direkt aus der Mitarbeiterschaft heraus entstanden ist“, sagt er zur Einführung der 5,5-Tage-Woche in den städtischen Einrichtungen.
Marc Dissel ist Betriebsleiter der Seniorenhäuser Gelsenkirchen. „„Das war ein Wunsch, der direkt aus der Mitarbeiterschaft heraus entstanden ist“, sagt er zur Einführung der 5,5-Tage-Woche in den städtischen Einrichtungen. © SPD Mülheim

Eingeführt wurde die kürzere Arbeitswoche dort, wo der Krankenstand 2022 am höchsten war: Dieser lag im Jahr 2022 für den Arbeitsbereich Pflege an der Schonnebecker Straße bei ganzen 14,43 Prozent, wie aus einem aktuellen Bericht der Stadt hervorgeht. Dissel zufolge hatte dieser „absolute Ausreißer“ bei der Krankenquote auch viel mit Corona zu tun, allerdings war die Zahl der coronabedingten Krankentage in anderen Häusern der Stadt nicht viel höher, der Krankenstand dafür aber insgesamt wesentlich geringer (siehe Tabelle).

Dissel ist zuversichtlich, dass die kürzere Arbeitswoche die Situation verbessern wird. Ausgeweitet werden soll sie in diesem Jahr dann auch auf die anderen drei Seniorenhäuser der Stadt. Profitieren sollen davon insgesamt 350 Beschäftigte – nicht nur im Pflegebereich. „Das gilt auch für Service-Kräfte oder Betreuungskräfte“, sagt der Betriebsleiter. Ziel sei es dabei, als städtischer Arbeitgeber konkurrenzfähig im Wettbewerb um das dringend gesuchte Fachpersonal zu sein.

Pflegebranche im Ruhrgebiet: „Wir organisieren uns zu Tode“

Etwas Wasser in den Wein gießt Roland Weigel, Sprecher der „Ruhrgebietskonferenz Pflege“ und für die Konkret Consult Ruhr im Gelsenkirchener Wissenschaftspark seit Jahrzehnten als Unternehmensberater in der Pflegebranche tätig. „Auf eine 5,5-Tage-Woche umzustellen, ist für Betriebe eine Herausforderung, die sicher das eine oder andere bringe, etwas Besonderes oder Innovatives ist sie in der Branche aber nicht“, urteilt er.

24 Pflege-Azubis

Das Durchschnittsalter der Beschäftigten in den städtischen Seniorenhäusern liegt zwischen 45,5 und 48,3 Jahren. Viele Beschäftigte würden in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen, sagt Betriebsleiter Marc Dissel.

Die Stadt versucht die vielen Ruheständler durch Nachwuchskräfte auszugleichen. Laut Dissel bildet die Stadt aktuell jährlich 24 Azubis in der Pflege aus, über Kooperationen mit mehreren Pflegeschulen. Ziel sei es, diese Zahl künftig noch zu steigern.

Letztendlich könne jede Dienstplanumstellung in den stationären Einrichtungen ohnehin nicht kompensieren, wie groß die Personallücken seien. „Wir organisieren uns zu Tode mit Dienstzeitmodellen, die sich am Ende nicht auszahlen, wenn die Rahmenbedingungen nicht passen“, bringt es Weigel auf den Punkt. Allein in den stationären Einrichtungen würden schon jetzt bundesweit 115.000 Arbeitsplätze fehlen – ohne den demografischen Wandel dabei zu berücksichtigen. „Letztendlich bleibt es also dabei: Wir brauchen mehr Personal“ – kürzere Arbeitswoche hin oder her.