Gelsenkirchen. Stadt, Hochschule, Uniper und Unternehmer starten die Initiative „H2GE“. So will Gelsenkirchen die grüne Energiewende für die Industrie schaffen
Die Wasserstoffzukunft Gelsenkirchens kommt baulich noch bescheiden daher und passt derzeit in einen größeren Container. Der steht seit einigen Jahren an der Westfälischen Hochschule (WH) neben dem Gebäudetrakt B als praxisnaher Forschungsplatz zur Nutzung von Wasserstoff. Ein Stück weit steht er auch sinnbildlich dafür, was sich in Gelsenkirchen im Zuge der Energiewende tut. Aus kleinen Anfängen soll nicht weniger als die „grüne Industriestadt“ werden.
Der Grundstein ist längst gelegt, die wesentlichen Pilotprojekte laufen an, der Wandel wird greifbarer, von Gelsenkirchen geht ein „kraftvolles Startsignal aus“ und grüner Wasserstoff sei dabei die Schlüsseltechnologie „für die klimaneutrale Industrie von morgen“ – das ist die Botschaft, die Freitag von der WH ausgeht. Stadtspitze, lokale Wirtschaft und Hochschule starten dort gemeinsam die Weiterentwicklung des Wasserstoffstandorts. Weiteres Thema: Gelsenkirchener Hochschule wirkt als Karriere-Sprungbrett
17 Gelsenkirchener Firmen wollen die klimaneutrale Transformation des Hafenareals
Für Oberbürgermeisterin Karin Welge gilt es, gemeinsam ein „Ökosystem“ aufzubauen und dabei vereint auf wissenschaftliche und unternehmerische Tatkraft, die vorhandenen großen Industrieflächen der Stadt und vorhandenes Knowhow zu setzen. „Energieerzeugung“, so Welge, „war und ist ein Stück weit unsere Kernkompetenz. Und Wasserstoff ist unsere neue Kohle.“ Entsprechend breit ist die Initiative „H2GE“ aufgestellt. Eingebunden sind neben der Stadt die Hochschule, der Uniper-Kraftwerksstandort und der bereits gestartete „Klimahafen Gelsenkirchen“. 17 Unternehmen, darunter sechs energieintensive Betriebe, wollen hier die Blaupause für die klimaneutrale Transformation eines ganzen Industrie- und Logistikareals entwickeln. Dafür streben sie den Anschluss an eine Pipeline-Versorgung mit grünem Wasserstoff, ausgehend vom Kraftwerksstandort in Scholven, an.
WH-Präsident: Lösungen für eine nachhaltige Energieversorgung finden
Hochschulpräsident Prof. Bernd Kriegesmann läutet bei dem Thema das Ende des Konjunktivs ein: „Es reicht nicht mehr, darüber zu reden, was man machen müsste, sondern es geht darum, tatsächlich zu handeln. Die jüngere Generation drängt, dass sich was ändert. Dafür müssen wir Lösungen für eine nachhaltige Energieversorgung finden.“ Weiteres Thema: WH-Wissenschaftler arbeiten mit Hochdruck an der Zukunft
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Das „H2 Solution Lab“ soll Unternehmen in der Region „im Entwicklungs- und Umsetzungsbereich den Weg in die Wasserstoffwirtschaft“ ebenen. Beim Labor-Container wird es nicht bleiben. Die WH will spätestens im dritten Quartal 2022 den Förderantrag für einen Labor-Neubau mit rund 2000 Quadratmeter Nutzfläche einbringen, in dem sämtliche Verfahrensschritte von der Elektrolyse bis zum Pipeline-Transport oder der Druckbetankung von Lkw mit 350 bar praxisnah erprobt werden können. Das Investitionsvolumen wird nach derzeitigem Stand laut Kriegesmann mit 25 bis 27 Millionen Euro kalkuliert.
Um die 40 WH-Beschäftigte arbeiten bereits am Thema Wasserstoff
„Um richtig Wirkungsgrad zu entfalten, brauchen wir das Labor“, sagt Prof. Michael Brodmann, Direktor des Energieinstituts der WH. Um die 40 WH-Beschäftigte arbeiten dort bereits am Thema Wasserstoff. Es sollen in naher Zukunft mehr werden: Die WH wird die Ausbildung akademischer Fachkräfte mit einem neuen Masterstudiengang Wasserstoff- und Energieverbundtechnik ausweiten. Auch bei Uniper – lokal droht bekanntlich massiver Arbeitsplatzabbau in den Sparten Anlagenservice und Engeneering – denkt man bereits an die Fachkräfte von morgen. Für die Erprobung von Wasserstofftechnologien im Industriemaßstab und die zielgerichtete Fortbildung soll am Uniper-Standort Scholven das „Hydrogen Industrial Research and Training Center“ entstehen. Weiteres Thema:600 Stellen an zwei Uniper-Standorten in Gelsenkirchen bedroht
Zukunftspläne für das 70 Hektar große Kraftwerksgelände in Scholven
Lars Wiese, Leiter der Kraftwerksgruppe West 1 der Uniper Kraftwerke GmbH, freut der breite Schulterschluss. Das Zukunftsprojekt, sagt er, sei ein „wichtiger Schritt zur Dekarbonisierung der Industrie im großen Stil“. Gerade das 70 Hektar große Kraftwerksgelände in Scholven (der Einsatz von Kohle zur Energiegewinnung wird 2022 auslaufen, Uniper arbeitet am „Switch zu Gas“, wie Wiese betont) sieht er als „europaweit einzigartigen Standort“, der durch seine Vernetzung von Wärme, Strom und Dampf ein Alleinstellungsmerkmal habe.
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„Der Wasserstoffeinsatz für Prozesswärme ist seit Jahren unser Thema. Der Markt dafür ist gewaltig. Politisch wurde das lange Zeit nicht realisiert“, stellt Lars Baumgürtel fest. Der Gelsenkirchener Unternehmer ist Geschäftsführender Gesellschafter der Zinq-Gruppe mit europaweit 50 Standorten und Sprecher der Initiative Klimahafen Gelsenkirchen. Dort produziert seine Großverzinkerei Voigt und Schweitzer. Der Energiebedarf nur dieses einen Betriebs: Zwölf Millionen Kilowattstunden, gedeckt durch Erdgas. „Insgesamt sprechen wir im Hafen von einem Bedarf von 500.000 Megawattstunden, das entspricht 15.000 Tonnen Wasserstoff“, so Baumgürtel. „Unternehmerisch ins Risiko“ will er gehen, um im Betrieb den Einsatz von Wasserstoff zu implementieren. Weiteres Thema: Wie ein CO-2_Preis eine Verzinkerei in Gelsenkirchen belastet
Mit der Nachfrage, ist er sicher, wird auch das Angebot steigen. Energiepolitisch, ist Baumgürtel überzeugt, „ist das eines der besten Projekte, das man sich in Düsseldorf und Berlin vorstellen kann.“ Größer und selbstbewusster aufzutreten, gehört auch zum Geschäft. „In Gelsenkirchen“, glaubt Kriegesmann, „waren wir bislang ein wenig zurückhaltend, aber wir sind wahrscheinlich deutlich weiter als andere.“