Gelsenkirchen. Die Personal-Situation im Gelsenkirchener Jugendamt ist dramatisch, doch bald gibt es weitere Entlastung. So ist der Stand, das wird passieren.
„Es ist zu viel, einfach viel zu viel“ – mit diesen eindringlichen Worten hatte sich eine Mitarbeiterin des Gelsenkirchener Jugendamtes im Frühjahr dieses Jahres an die WAZ gewandt. Gemeinsam mit anderen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern hatte sie mit unserer Redaktion über „die Missstände im Jugendamt infolge der krassen Unterbesetzung“ offen gesprochen – und ein dramatisches Bild gezeichnet. Fast neun Monate später sagt Jugendamtsleiter Wolfgang Schreck mit Blick auf die kommenden Wochen: „Mit Jahresbeginn haben wir ein paar Sorgen weniger.“
Gelsenkirchener Jugendamt: Dramatische Personalsituation bald entschärft?
Zum 1. Januar 2023 konnte elf neuen Kräften ein Einstellungsangebot beim ASD, dem Allgemeinen Städtischen Sozialdienst, unterbreitet werden. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das: Aktuell sind 53,5 der Stellen besetzt. In wenigen Wochen sollen 62,5 Mitarbeiter beim ASD tätig sein. 57,5 Stellen davon entfallen auf die Teams der Bezirkssozialarbeit, fünf auf die Teams Zuwanderung. Zum Hintergrund: Der angestrebte Soll-Stand liegt laut der Verwaltung bei 67,5 Stellen. Im Frühjahr 2022 waren bis zu 20 Stellen im Jugendamt vakant.
Aktuell (Stand: 8. Dezember) konnten sogar weitere Vorstellungsgespräche geführt werden, wie Nicolai Markussian, Leiter des Allgemeinen Städtischen Sozialdienstes, berichtet. Perspektivisch könnte es dann im Februar/März 2023 zu weiteren Stellenbesetzungen beim ASD kommen.
„Das ist ein Schritt“, sagt Wolfgang Schreck im Gespräch mit der WAZ und mit Blick auf den bevorstehenden Jahresstart. Innerhalb des ASD sei die Situation „herausfordernd“, wie Schreck es nennt – auch „durch den allgemeinen Fachkräftemangel“ bei einer gleichzeitig hohen Anzahl von freien Stellen, die attraktiv seien.
Nicolai Markussian nennt den Personalzuwachs eine „Perspektive, die sich nach und nach auswirken wird“. Sollen die zusätzlichen Stellen doch für eine Entlastung bei der immer noch andauernden hohen Belastung der Mitarbeiter sorgen.
Stichwort Belastung: Wer vom Jugendamt beispielsweise Antwort in Form einer E-Mail bekommt, findet am Ende diese Zeilen vor: „Bitte beachten Sie, dass es aufgrund des aktuell sehr hohen Arbeitsaufkommens und personeller Engpässe abseits der Kindeswohlgefährdung derzeit zu längeren Wartezeiten bezüglich der Erledigung Ihres Anliegens kommen kann.“
Dabei tue die Verwaltung einiges, um Anreize zu schaffen. Es gibt Dienstwagen, Dienst-Smartphones, teilweise seien die Mitarbeiter schon mit Tablets ausgestattet. Und: Die Angestellten des ASD verdienen mehr als die Kollegen in anderen Städten, liegen eine Entgeltgruppe darüber, wie Nicolai Markussian erläutert. „Ich glaube schon, dass das eine Wirkung hat“, ist er überzeugt. Obwohl dem Gelsenkirchener Jugendamt nicht gerade der beste Ruf vorauseilt, das muss auch Markussian anführen.
Den generellen Ansatz der Jugendamts-Arbeit, Schreck und Markussian benennen ihn so: „Hilfe zur Selbsthilfe“. Ein wesentlicher Vorteil sei, dass die Hilfe direkt in die Familien gehe. Mittlerweile, so Schreck, sei man im Kinderschutz noch besser aufgestellt als noch vor zehn Jahren. Auch wenn aktuell das Personal fehlt.
Es ist auch die Armut der Stadt, die sich auf die Fallzahlen auswirkt, so genannte „Risikofaktoren, die ein Familiensystem in Schieflage bringen können“, weiß Jugendamtsleiter Schreck. Gerade die geringeren Ressourcen, beispielsweise bei Alleinerziehenden, wirken sich aus. Hinzu kommen in einer Stadt wie Gelsenkirchen sprachliche Schwierigkeiten und kulturelle Unterschiede. Zumeist gehe es schlicht erstmal darum, Vertrauen zu schaffen, erläutert Wolfgang Schreck.
Den größten Zuwachs an Fällen verzeichnet das Jugendamt unter dem Punkt „Erziehung in einer Tagesheimgruppe“: Von 63 Kindern und Jugendlichen 2020 stieg die Zahl auf 78 um 23,8 Prozent. Grundlage dieser Entscheidung ist Paragraf 32 des Sozialgesetzbuches: „Hilfe zur Erziehung in einer Tagesgruppe soll die Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen durch soziales Lernen in der Gruppe, Begleitung der schulischen Förderung und Elternarbeit unterstützen und dadurch den Verbleib des Kindes oder des Jugendlichen in seiner Familie sichern. Die Hilfe kann auch in geeigneten Formen der Familienpflege geleistet werden.“ Ende des vergangenen Jahres seien 326 Kinder in Pflegefamilien untergebracht gewesen, 409 in stationären Heimeinrichtungen, berichtet Nicolai Markussian.
Die Gründe, die Schicksale, die hinter diesen Fallzahlen stecken, sind oftmals sehr unterschiedlich, teilweise komplex und meist sehr individuell. „Das Ziel ist immer, Familiensysteme zu unterstützen und zu erhalten. Bevor wir an das Gericht gehen, haben wir alles ausprobiert, um die Familie zu stabilisieren“, betont Wolfgang Schreck.
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