Gelsenkirchen. 2016 war Omarabdalaziz Khasaba aus Syrien geflüchtet. Er sprach und verstand kein Wort Deutsch. Nun hat er ein Einser-Abi in der Tasche.
Die Fluchtroute führte Omarabdalaziz Khasaba im Jahr 2016 von seiner Heimatstadt Damaskus über die Türkei, Griechenland, mehrere Balkanstaaten und Österreich bis nach Deutschland. Als er hier ankam, verstand und sprach er kein Wort Deutsch. Heute, nur sechs Jahre später, hat der junge Mann aus Syrien an der Gesamtschule Ückendorf sein Abitur mit der Top-Durchschnittsnote 1,2 gebaut. Nicht nur Schulleiter Achim Elvert findet: „Das ist eine besondere Leistung, die besonderen Respekt verdient.“
Seine Flucht führte ihn aus Syrien quer durch Europa zu seinem Vater
Zu unserem Treffen hat sich Omarabdalaziz noch einmal richtig chic gemacht und jenen grauen, dreiteiligen Anzug mit weißem Hemd und königsblauer Krawatte aus dem Schrank gekramt, den er auch schon bei der feierlichen Verleihung der Abiturzeugnisse getragen hatte. Die wichtigste Botschaft will er gleich loswerden: „Ich bin unserer Schulleitung und allen Lehrerinnen und Lehrern sehr, sehr dankbar. Ohne ihre tolle Unterstützung hätte ich das nicht geschafft.“
Nach diesem Lob wagen wir einen Blick zurück. Auf die Zeit seiner Flucht. „Ich habe mich damals allein auf den Weg gemacht. Mein Vater war schon im Jahr zuvor aus Syrien nach Deutschland geflohen. Deshalb wollte ich auch unbedingt dorthin“, erzählt der 21-Jährige. Seine gefährliche Reise quer durch Europa dauerte über einen Monat. Doch irgendwann hatte er es geschafft – und konnte seinen damals in Dormagen untergekommenen Vater endlich wieder in die Arme schließen.
In Schalke fanden Vater und Sohn eine neue Heimat
Heimisch wurden sie kurz darauf aber hier in Gelsenkirchen. Genauer gesagt: in Schalke. „Weil wir hier eine Wohnung gefunden und bekommen haben“, erzählt der Abiturient. Seine erste schulische Station war dann eine „Internationale Förderklasse“ in der Gesamtschule Buer-Mitte. In dieser kommen all jene Kinder und Jugendlichen unter, die Deutsch weder schreiben noch sprechen können.
Am Anfang tat sich Omarabdalaziz, der schon in Syrien ein guter Schüler war, noch recht schwer mit dem Erlernen der neuen, so fremden Vokabeln und der komplizierten Grammatik. „Das meiste habe ich zuhause gelernt, indem ich mir Filme auf Deutsch angeschaut habe. So habe ich viel schneller ein Gefühl für die Sprache bekommen.“ Gleich mehrmals habe er etwa „Catch Me If You Can“ mit Leonardo DiCaprio und Tom Hanks gesehen. Eine Methode, die schnell Wirkung zeigte.
Nach nur vier Monaten wechselte der Schüler von der Förder- in die Regelklasse
Denn nach nur vier Monaten durfte Omarabdalaziz in die Regelklasse wechseln. „Normalerweise dauert es zwei Jahre bis zu diesem Schritt. Alles unter einem Jahr ist schon fast eine Sensation“, ordnet Schulleiter Elvert die Leistung ein.
Zum Schuljahr 2017/18 wechselte der Teenager dann zur Gesamtschule Ückendorf. Und auch hier bewies er seinen Ehrgeiz, sein Engagement und seine große Lernbereitschaft. 2019 wurde er dann sogar beim Schülerstipendienprogramm „Ruhrtalente“ angenommen, erhielt dadurch nicht nur eine technische Ausstattung wie Laptop und Tablet, sondern ging auch auf Studienreisen. Eine führte nach Malta, eine andere nach Berlin – Besuch des Bundestags inklusive.
Berufsziel: Politiker oder Mediziner
Ja, irgendwann einmal als Politiker über die gesellschaftlichen Belange mitentscheiden zu dürfen, das könnte ein realistisches Berufsziel für ihn sein, erzählt Omarabdalaziz. „Aber ich habe noch nicht die Partei gefunden, die 100-prozentig zu mir passt“, sagt er. „Wie Gremienarbeit funktioniert, das weiß er schon“, stellt Schulleiter Elvert klar. Schließlich sei Omarabdalaziz Schülersprecher und in dieser Funktion in mehrere Entscheidungen mit eingebunden gewesen.
Zunächst einmal geht es für den Syrer, der Mathe und Biologie als Leistungskurse hatte, aber in Richtung Medizin: Für einen Studienplatz hat er sich bundesweit beworben. Nun steht ein Praktikum als Pfleger im hiesigen Marienhospital an. „Da kann ich auch sehen, ob das beruflich wirklich etwas für mich ist“, sagt er. Und was wünscht er sich zum bestandenen Abitur? Da braucht Omarabdalaziz nicht lange nachzudenken: „Dass ich endlich die deutsche Staatsangehörigkeit bekomme.“
Weitere Daten und Fakten
Die Gesamtschule Ückendorf besuchen laut Schulleiter Achim Elvert (56) derzeit 1150 Kinder und Jugendliche aus über 50 Nationen. In diesem Jahrgang gab es 53 Abiturientinnen und Abiturienten, von denen zwölf ähnlich wie Omarabdalaziz erst zur Mittelstufe in das deutsche Schulsystem eingestiegen waren.
Beste Abiturientin an dieser Schule war Zala Shahin. Sie stammt ebenfalls aus Syrien und hat ebenfalls innerhalb weniger Jahre den Weg vom Neuankömmling zur Top-Abiturientin (Schnitt: 1,1) geschafft.
Manche Mitschüler hätten ihn zu Beginn im Unterricht ausgelacht, als er die deutsche Sprache noch nicht so gut beherrschte., erzählt Omarabdalaziz. Er habe das als Motivation genommen, um noch schneller zu lernen und besser zu werden. „Man sollte die neu angekommen Mitschüler nicht auslachen, sondern ihnen lieber helfen“, lautet sein Rat.