Gelsenkirchen. Ludger Volmer entstammt einer Gelsenkirchener Familie von CDU-Politikern. Wie der Ur-Grüne und Ex-Staatsminister auf seine Heimatstadt blickt.

Ins „Fuck“ – bürgerlich „Lokal ohne Namen“ – geht Ludger Volmer (70) immer noch gern. Das prominente Gründungsmitglied der Grünen hat zwar vor zwei Jahren seinen Zweitwohnsitz in Gelsenkirchen aufgegeben. Seine Freunde in der Heimatstadt besucht er dennoch weiterhin regelmäßig.

Der Vater vertrat als CDU-Politiker Gelsenkirchen im Bundestag

Nach dem Abitur am Schalker Gymnasium studierte der Sohn des Gelsenkirchener CDU-Politikers Günter Volmer in Bochum Sozialwissenschaften und Pädagogik. Als Gründungsmitglied der Grünen baute er den Kreisverband Bochum mit auf, später wechselte er nach Gelsenkirchen, wo er bis 2005 auch seinen Wahlkreis hatte. Während seiner gesamten politisch aktiven Zeit und auch danach blieb der gebürtige Ückendorfer Mitglied des Gelsenkirchener Kreisverbandes.

Dem Kreisverband Gelsenkirchen aus Solidarität bis Anfang 2022 treu geblieben

Ludger Volmer zu Besuch in seiner Stammkneipe aus Jugendzeiten, dem Bueraner Lokal ohne Namen (Fuck). Noch heute finden Freundestreffen oft hier statt. 
Ludger Volmer zu Besuch in seiner Stammkneipe aus Jugendzeiten, dem Bueraner Lokal ohne Namen (Fuck). Noch heute finden Freundestreffen oft hier statt.  © Ludger Volmer | Volmer

„Das hab ich auch gemacht, um den Kreisverband als Abgeordneter zu unterstützen und etwas beizusteuern in dieser Stadt, die für Grüne so lange Diaspora war. Aber jetzt, wo ich meinen Wohnsitz nur noch in Berlin habe und vor allem mit Irene Mihalic und Terry Reintke so gute Bundes- und Europapolitikerinnen für die Stadt nachgerückt sind, denke ich, ist das nicht mehr nötig.“ Seit Anfang 2022 gehört er dem Kreisverband nicht mehr an.

„Es ist sehr bitter zu sehen, wie die Stadt abgebaut hat seit den 80er Jahren“

Gelsenkirchens Entwicklung habe er von Bonn und Berlin aus quasi im Zeitraffer beobachtet. „Es ist sehr bitter zu sehen, wie die Stadt abgebaut hat seit Anfang der 80er Jahre“ bedauert der Schalke-Fan. Von gelungenem Strukturwandel mag er nicht wirklich sprechen, auch angesichts der Abwanderung von mehr als 100.000 Menschen. „Wenn ich die Infrastruktur in Ückendorf, wo ich aufgewachsen bin, heute mit dem Aufbau in den neuen Ländern vergleiche, wo aus dem Verfall etwas Neues entstanden ist...“ Von außen seien die Siedlungen wie Flöz Dickebank („an deren Erhalt habe ich noch selbst mitgearbeitet“) zwar aufgehübscht. Aber wie es innen aussehe, wisse er nicht.

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„Als die ersten Zechen geschlossen haben, gab es in Gelsenkirchen Diskussionen über neue Industrieansiedlungen anderer Branchen. Aber in Gelsenkirchen haben damals SPD und vor allem die Bergbaugewerkschaft IGBCE sich dagegen ausgesprochen, weil man fürchtete, Arbeitskräfte an so eine Konkurrenz zu verlieren. Diese anderen Industriebranchen sind dann in die Nachbarstädte gegangen, haben sich dort niedergelassen. Gelsenkirchen setzt jetzt auf Dienstleistung und Bildung. Aber auf einem niedrigeren Niveau. Die Bahnhofstraße meiner Jugend war unsere Piste nach der Schule: jetzt gibt es hier nur noch Billigläden“; klagt der Wahl-Berliner.

Windbewegt. Ein Bild aus Jugendtagen –  Ludger Volmer auf Londonfahrt mit dem Schalker Gymnasium.
Windbewegt. Ein Bild aus Jugendtagen – Ludger Volmer auf Londonfahrt mit dem Schalker Gymnasium. © Familienalbum Volmer

Das größte Pfund sind die Menschen

„Vor allem in Alt-Gelsenkirchen haben sich offenbar auch Milieus eingenistet mit Schieberbanden, die schlechten Wohnraum zu teuren Preisen an Notleidende vermitteln, das sind sehr schwierige Strukturen“, so Volmer. Sein Urteil über Buer fällt ein wenig gnädiger aus. Das größte Pfund in Gelsenkirchen aber sind auch aus seiner Sicht die Menschen. „Bewundernswert finde ich alle die, die geblieben sind, trotz allem. Die weiter in der Stadt und für die Stadt arbeiten, die damals eigentlich ein Oberzentrum werden wollte, daran aber scheiterte.“

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Positiv aufgefallen ist Volmer zudem, dass sich in der Stadt bei den Radwegen viel getan habe in der letzten Zeit: „Ich glaube, da haben die Grünen auch Einfluss nehmen können auf die Lokalpolitik.“

Vom Ministranten zum Grünen Staatsminister

Ludger Volmer wuchs als eines von vier Kindern des katholischen CDU-Politikers Günter Volmer in Ückendorf auf. Der Großvater war Zentrumspolitiker schon in der Nazizeit, der Vater begann als Lokalpolitiker und schaffte es für die CDU bis in den Bundestag. Nach dem Ministrantendienst, einem Intermezzo in der ökumenischen Bewegung, Engagement für Migranten und gegen Armut und dem Abitur begann Volmer das Studium in Bochum.

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Volmer ist promovierter Sozialwissenschaftler, arbeitete und forschte auch als solcher. Der Mitbegründer der Grünen war zwischen 1983 und 2005 Mitglied des Bundestages in der Fraktion der Grünen, fungierte als Fraktionsvorsitzender, Parteivorsitzender und Staatsminister im Auswärtigen Amt (1998 bis 2002).

Lehraufträge zum Thema Außen- und Sicherheitspolitik und ein „Aufstehen“-Intermezzo

Nach dem Ausscheiden aus der aktiven Politik arbeitete Volmer als freiberuflicher Berater, als Lehrbeauftragter an der FU Berlin mit dem Schwerpunkt Außen- und Sicherheitspolitik und bis 2019 als Senior Fellow an der Friedrich-Schiller Universität in Jena.

Der verheiratete Vater eines Sohnes lebt in Berlin, engagierte sich zuletzt in den Anfangstagen der linken „Aufstehen“-Sammelbewegung, distanzierte sich jedoch wegen sektiererischer Tendenzen davon. [Zum Thema: „Aufstehen“ ist jetzt offiziell unterwegs]

Mehr zum Lebenslauf des Gelsenkircheners, der auch Autor mehrerer Publikationen ist, unter www.ludger-volmer.de