Gelsenkirchen. 59.000 Quadratmeter Lager, 275 Beschäftigte: In Gelsenkirchen fährt der Kfz-Ersatzteilspezialist sein Logistikzentrum hoch. So läuft der Betrieb.
Europastraße 14, was für Dimensionen: Hier ist alles XXXL. Norbert Habeck, Gelsenkirchener Standortleiter der Bilstein Group, steht an einem Zufahrtstor im Ostflügel des langgestreckten Komplexes. Tief im Westen zeichnet sich ein helles Rechteck ab – eine gegenüberliegende Zufahrt: Dazwischen - 320 Meter Hallentrakt und viel Raum für Entwicklung, für Hunderttausende Ersatzteile für die Kfz-Branche. Auf dem Gelände Schalker Verein bringt der Konzern mit Sitz in Ennepetal seinen Logistikstandort der Superlative auf Volllast.
Im Oktober 2021 war der Komplex übernahmebereit für den Betriebsstart. „Mitte März sind wir dann live gegangen, etwas früher als geplant. Seither fahren wir den Standort sukzessive hoch“, sagt Geschäftsführer Jan Siekermann. Hochfahren bedeutet derzeit auch: „Wir puffern Rohmaterial und Komponenten und entkoppeln uns so ein Stück weit von den Märkten. Auch von unseren Lieferanten kommt zusätzlich was rein“, sagt Siekermann. „Wir kriegen unsere Ware. Die Frage ist nur: Wann? Die Lieferketten sind auch bei uns kaputt. Lange haben wir zum Beispiel keine Bremsscheiben gekriegt. Diese und kommende Woche bekommen wir nun 100 Container.“ Die gingen alle direkt nach Gelsenkirchen.
Betriebsstart am Gelsenkirchener Standort im März
Für „alle Verschleißteile“ und Typen im gängigen Pkw- und Nutzfahrzeugbereich bietet Bilstein als Zulieferer und Hersteller freien Werkstätten Ersatz – vom Querlenker bis zum Stabilisator, von der Bremsbacke bis zur Gummidichtung. Diesen, sogenannten Independent Aftermarket bedient das Unternehmen mit drei eigenen Marken: Febi, Swag und Blue Print bieten zusammen mehr als 62.000 verschiedene Ersatzteile an. Hinzu kommt die breite Palette an Flüssigkeiten wie Frostschutz, Brems- oder Kühlflüssigkeit.
Der Großhandel für den freien Teilehandel erwartet einen steten Warenzufluss von Bilstein. Den leistet das Unternehmen mit seinen 22 internationalen Tochtergesellschaften und Verteilzentren in Deutschland. Gelsenkirchen wird dabei zur zentralen Drehscheibe, auch für die internationale Kundschaft. „Von hier aus liefern wir aktuell in 140 Länder weltweit“, sagt Siekermann.
Lager ist erst bei gut 30 Prozent Auslastung
Entsprechend wichtig ist Siekermann, „dass wir unser Lager füllen und unsere Artikelmenge auf 30- bis 33.000 verschiedene Artikel hochbekommen. Da liegen wir gut in der Zeit. Derzeit kommen etwa 1000 Paletten pro Tag rein, aus Außenlagern, von Zulieferern und von der Zentrale in Ennepetal. Bislang sind wir bei gut 30 Prozent der Auslastungsmenge, die wir bis Januar 2023 erreichen wollen. Aktuell liegen wir bei rund 4000 Auftragspositionen, dann sollen es 14.000 sein.“ Später einmal, im Dreischicht-Betrieb, sollen bis zu 1480 Paletten täglich das Lager verlassen, bis zu 90.000 Konfektionierungen möglich sein – dafür ist der Standort ausgelegt.
In Gelsenkirchen hat die Bilstein Group die – mit rund 120 Millionen Euro – bislang größte Investition ihrer 178-jährigen Firmengeschichte getätigt. Im September 2017 wurde das Riesenprojekt im Hans-Sachs-Haus vorgestellt. In Bulmke-Hüllen hatte Bilstein auf dem ehemaligen Stahlstandort ein 197.000 Quadratmeter großes Grundstück von St. Gobain gekauft. Rund die Hälfte wurde für den ersten Bauabschnitt genutzt. Kernstück: Die 45.000 Quadratmeter große Halle mit insgesamt 59.000 Quadratmeter Nutzfläche auf zwei Etagen.
Betriebsleiter ist seit 30 Jahre im Logistikgeschäft
Standortleiter Norbert Habeck ist früh ins Projekt eingestiegen, war an der Planung beteiligt und hat die Bauphase begleitet. „Nun manage ich den Hochlauf des Lagers“, sagt der 60 Jahre alte Bochumer. Seit gut 30 Jahren ist er im Logistikgeschäft. Acht Jahre lang war er selbstständig, zuletzt hat er bei einem Logistiker auf der anderen Seite der Europastraße gearbeitet. Die Herausforderung Bilstein hat ihn zum Seitenwechsel gereizt. Auch weil es im Revier derzeit kaum eine Aufgabe mit vergleichbaren Dimensionen geben dürfte.
„Für den Bereich Logistik ist das hier alles State of the Art“, sagt Siekermann. Der Geschäftsführer, Jahrgang 1979, steht seit 2010 mit Karsten Schüßler-Bilstein an der Spitze des Unternehmens. Wöchentlich pendelt er aus Ennepetal an den neuen Standort. Bislang läuft alles nach Plan, die logistischen Abläufe und der Umschlag stimmen. „Es funktioniert, wie es soll und eigentlich sehr gut“, findet Siekermann mit Blick auf den Betrieb in der Riesenhalle.
Reparatursätze und Montagekits werden kommissioniert
Gabelstapler gleiten mit zwölf Stundenkilometer Tempo durch den Betrieb. Im Hochregallager für Flüssigkeiten, vor allem aber an den Kommisionier-Arbeitsplätzen in den verschiedenen Abteilungen ist Betrieb. Elf gibt es am Hochregallager, 20 bei den Kleinteilen. Hier werden zum Beispiel Reparatursätze und Montagekits für Bremsen- oder Filtererneuerung zusammengepackt. Licht flutet durch große Fenster auf die Packstationen. Noch längst sind nicht alle besetzt. Die Schlagzahl wird mit dem Personalaufbau wachsen. „Aber nachmittags gegen 15 Uhr, wenn die Expressbestellungen rausgehen, ist hier schon deutlich mehr Traffic“, sagt Habeck.
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Nahezu menschenleer sind andere große Bereiche der Hallen. Die Wagen der Elektrobodenbahn drehen surrend ihre Runden über die Schienenstränge. 45 Wagen im unteren und zehn im oberen Lagerbereich verbinden alle Hallenstationen. Jeder einzeln kann bis zu eine Tonne Last bewegen. Der Betrieb läuft hinter Gittern. Kein Mensch kommt den Wägelchen in die Quere. Hermetisch abgeriegelt sind auch das Hochregal- und das Kleinteilelager. Nur zu Wartungsarbeiten darf Personal in die Bereiche. Alle paar Meter hängt ein Klettergeschirr bereit. Bilstein-Mitarbeiter wurden als Industriekletterer ausgebildet, um, wenn nötig, in die Höhen des Lagers vorzudringen.
Die Waren für die Liefer-Lkw werden an über 50 Torrampen umgeschlagen. Bereitgestellt oder abtransportiert werden sie auf Paletten. Die Wagen schnurren zu den Übergabepunkten zum Lager. Dort werden die Kartons samt Paletten automatisch aufgenommen, auf die Regalbediengeräte bugsiert und in rasantem Tempo an ihre Positionen geliftet.
Insgesamt 85.852 Palettenstellplätze allein im Hochregallager
Die obersten Regalmeter liegen im diffusen Hallenlicht, die Regalbediengeräte gleiten durch 13 Korridor-Schluchten – bis zu 21 Stundenkilometer schnell – ans Ziel. 33 Meter hoch ist das Hochregallager, Platz für 85.852 Palettenstellplätze bietet es. Jeder einzelne Quadratmeter kann mit bis zu 350 Kilogramm Gewicht bepackt werden. Das Kleinteilelager ist nicht minder beeindruckend. Rund um die 15 Gassen ist Raum für 227.760 Behälterstellplätze. Die tiefblauen Boxen stapeln sich noch an etlichen Stellen in der Halle. Erst vor wenigen Wochen wurden die letzten Behälter der Riesenbestellung geliefert.
Bilstein: Daten, Zahlen, Fakten
Die Wurzeln des Konzerns reichen bis 1844. Der Kaufmann Ferdinand Bilstein gründete das Unternehmen, das in Ennepetal in siebter Generation von der Familie geführt wird.
Im November 2019 wurde der Grundstein für den 45 000 Quadratmeter großen Hallenkomplex der Bilstein Group gelegt. Auf dem Gelände Schalker Verein hat das Unternehmen insgesamt ein fast 200.000 Quadratmeter großes Grundstück gekauft.
Im manuellen Bereich (Breitgang-, Sperrigteil- und Flüssigkeitenlager) und im Automatikbereich mit Hochregal- und Kleinteilelager gibt es insgesamt 115.772 Palettenstellplätze.
Das 33 Meter hohe Hochregallager hat Fensterbänder zur Europastraße. Geplant ist eine besondere Außenwirkung durch eine Nachtbeleuchtung für die Regalbediengeräte, die automatisch durch die Halle fahren. Weitere Besonderheiten: Auf 15.000 Quadratmetern gibt es eine Dachbegrünung, auf 6000 Quadratmetern Solarpanels. Die Energie dient als Prozessstrom im Betrieb. Geheizt wird im Riesenkomplex mit Fernwärme.
Die Ausmaße der Stahlträger für die Konstruktion sprengen die Dimensionen üblicher Bauverfahren. Bei einem Lager dieser Größe werde erst der Regaltrakt gebaut, dann die Halle drumherum hochgezogen, erklärt Habeck. Jeder Behälter, jeder Lagerplatz ist erfasst. Die Einlagerung läuft, natürlich, mit System, aber „chaotisch“. Der Rechner entscheidet, wo was zustehen kommt und steuert die Systeme entsprechend. Er weiß, wo Platz ist. Und noch ist viel Platz.
In der Leitwarte laufen die Informationen zusammen. Das System ist höchst effizient und komplett digital durchgetaktet: „Das Prozessbild wird ständig aktualisiert. Wir haben volle Transparenz über jeden einzelnen Lagerschritt, wissen jederzeit genau, wo welche Palette ist, was wohin transportiert wird, welche Lasten gerade auf die Motoren der Bediengeräte wirken“, sagt Siekermann. “
Aktuell 275 Beschäftigte, Ende 2022 sollen es über 400 sein
Konservativ hat die Bilstein-Group für die Startphase mit 160 Dauer-Arbeitsplätzen gerechnet. „Im Juni waren wir schon bei 275“, sagt Habeck. Und es werden wöchentlich mehr. Im Eingangsbereich des Logistikzentrums wurde ein Bewerbungsbereich aufgebaut. Zwei bis dreimal die Woche stellen sich hier unter strikten Coronaregeln zehn bis 15 Personen vor, drei bis fünf Bewerber bekommen im Schnitt einen Arbeitsvertrag.
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„Der Zulauf ist nach wie vor gut“, stellen Siekermann und Habeck fest. Personal zu finden, sei in Gelsenkirchen vergleichsweise noch deutlich einfacher als an anderen Bilstein-Standorten. „Wir wollen bis zum Jahresende auf 410 Beschäftigte kommen“, sagt Habeck. „Aktuell suchen wir vor allem Gabelstaplerfahrer.“ Aber auch künftige Fachbereichs- und Schichtleitungen werden noch benötigt. Ein Blick in die Halle zeigt: Der Frauenanteil unter den Beschäftigten ist schon recht hoch. Im Zweischicht-Betrieb von 6 bis 22.30 Uhr wird aktuell gearbeitet. Geplant ist der Dreischicht-Betrieb rund um die Uhr.
Standort in Gelsenkirchen ist auf Wachstum ausgelegt
Auch wenn sich die automobile Welt rasant ändert, E-Fahrzeuge deutlich weniger Verschleißteile aufweisen, glaubt man in der Bilstein-Group fest an die Zukunft der Branche. Der ganze Standort ist auf Wachstum ausgelegt. Schon am bisherigen Hallentrakt sind die Übergänge für einen künftigen Erweiterungsbau vorgesehen. Doch damit wäre längst nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Habeck steht wieder in der Nähe des Zufahrtstores, blickt diesmal in Richtung Ostpreußenstraße. Schuttberge türmen sich auf dem Gelände, das derzeit als Erdzwischenlager dient und Bilstein gehört. „Knapp 100.000 Quadratmeter Fläche“, sagt Habeck, „haben wir da noch in Reserve“.
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