Gelsenkirchen-Buer. Die Westfälische Hochschule in Gelsenkirchen wird 30. WH-Präsident Bernd Kriegesmann zieht Bilanz – und sagt, was er von einer „Emscher-Uni“ hält
Gelsenkirchen hat eine Hochschule? Gelsenkirchen hat eine Hochschule! Ziemlich weit im Norden der Stadt, fast schon in Gladbeck, gibt es den Campus der Westfälischen Hochschule, und die wird in diesem Jahr 30 Jahre alt. Dass es immer noch Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener gibt, für die das neu ist, dass den meisten Menschen beim Stichwort „Gelsenkirchen“ nicht sofort auch „Hochschulstadt“ einfällt, trägt Hochschulpräsident Professor Bernd Kriegesmann mit Humor und Fassung. „In Bochum hat es 50 Jahre gedauert, bis die Ruhr-Uni von der Stadt angenommen wurde.“ Dann hat Gelsenkirchen ja noch 20 Jahre Zeit.
Doch auch, als die Hochschule 1992 gegründet wurde (damals noch als Fachhochschule Gelsenkirchen) fing man nicht bei Null an: Seit 1962 wurden in Buer junge Menschen ausgebildet: Zunächst an der Staatlichen Ingenieurschule für Maschinenwesen, die 1971 der Fachhochschule Bochum angegliedert wurde. Im Rahmen des Strukturwandels wurde dann 1991 beschlossen, in Gelsenkirchen eine neue Fachhochschule zu gründen, am 1. August 1992 nahm die FH ihren Betrieb auf.
Zu Beginn hatte die Gelsenkirchener Hochschule nur 300 Studenten
22 Jahre davon hat Bernd Kriegesmann aktiv mitgestaltet. Im Jahr 2000 kam der gebürtige Bochumer, Jahrgang 1963, an die WH, zunächst als Professor für Betriebswirtschaftslehre, seit 2008 als Präsident. In dieser Zeit habe sich das Bild der Hochschule fundamental geändert. „1992 haben etwa 300 junge Menschen mit dem Studium hier begonnen – heute haben wir um die 8000 Studierende“, zählt Kriegesmann auf. Auch optisch hat sich viel getan: Die alten Gebäude aus den 70er-Jahren wurden zu Beginn des neuen Jahrtausends abgerissen und durch moderne Bauten ersetzt.
Hatte man vor 30 Jahren nur die Auswahl zwischen einigen wenigen Studiengängen wie Maschinenbau oder Elektrotechnik, so ist das Angebot heute deutlich größer. „Die Zahl der Studiengänge hat sich massiv verändert, die Zahl hat sich in den vergangenen 15 Jahren fast verdoppelt“, sagt der Hochschulpräsident. Noch immer liege der Schwerpunkt auf den sogenannten „MINT-Fächern“, also dem mathematisch-technisch-naturwissenschaftlichem Bereich, aber auch Wirtschaftsfächer sind bei den Studierenden beliebt.
Diese Fächer bieten Absolventen eine „Jobgarantie“
„Egal, wie die Studiengänge heißen: Die sind alle berufsbefähigend“, sagt Kriegesmann. „Wir haben bei unserem Angebot immer den Bedarf der Wirtschaft im Blick – und für eine Region, die nach wie vor industriell geprägt ist, heißt das, dass wir Techniker brauchen“. Die liefert die Hochschule. „Unsere jungen Leute werden uns, wenn sie das Studium beendet haben, förmlich aus den Händen gerissen“, so der Hochschulpräsident. Das gelte vor allem für Studiengänge, die zwar nicht weitgehend bekannt seien, deren Absolventen aber heiß begehrt seien. „Ein Beispiel ist das Fach Technische Gebäudeausrüstung“, so Kriegesmann. „Wer das abschließt, hat quasi eine Jobgarantie.“
Dass Gelsenkirchen ein Imageproblem hat, bestreitet Kriegesmann nicht. Zwar sei es kein Problem, Professoren und Dozenten zu gewinnen – bei Studentinnen und Studenten seien allerdings Städte wie Münster oder Köln wesentlich beliebter. Wobei Kriegesmann das zumindest in einem Punkt nicht nachvollziehen kann. „Versuchen Sie mal, dort ein Zimmer zu bekommen“, sagt er. Die Wohnungssuche in Gelsenkirchen sei dagegen überhaupt kein Problem: „Wohnung, Wohnheimplatz, WG-Zimmer – alles reichlich vorhanden.“
Kriegesmann: „Herkunft darf nicht entscheidend sein“
Auch, dass Gelsenkirchen ein Standort mit besonderen Herausforderungen sei, gibt Kriegesmann zu. „Gelsenkirchen hat die niedrigste Abiturientenquote in NRW“, sagt er. „Für uns heißt das, die Wege zum Studium irre breit zu machen.“ Ohnehin hat sich die WH die Förderung von Talenten auf die Fahnen geschrieben – etwa mit dem „Talentkolleg Ruhr“. „Die Herkunft darf nicht darüber entscheiden, wer studiert und wer nicht“, sagt Kriegesmann.
Als erste Hochschule in Deutschland habe die Westfälische Hochschule die Talentförderung als zentrale Aufgabe neben Lehre, Forschung und Transfer in ihrer Grundordnung verankert. „Um ein Beispiel zu nennen: Auch einem Mädchen libanesischer Herkunft, die an der Gesamtschule Ückendorf ihr Abi mit 2,5 macht, soll der Weg an die Hochschule ermöglicht werden.“
Eine deutliche Abfuhr erteilt Kriegesmann dagegen Ideen für eine „Emscher-Uni“, wie sie Ex-Oberbürgermeister Frank Baranowski einmal geäußert habe. „Man braucht hier keine weitere Uni, das wäre ein Schlag ins Gesicht des Steuerzahlers“, sagt Kriegesmann. Er hält eher eine Stärkung der Wissenschaft für notwendig. „Statt einer Uni braucht Gelsenkirchen ein Max-Planck-Institut oder ein Fraunhofer-Institut“, ist sich der WH-Präsident sicher.
Der Campus der WH liegt im „hohen Norden“ Gelsenkirchens – von einer Standortverlagerung in den Süden der Stadt hält Bernd Kriegesmann nichts. „Da wäre die Konkurrenz durch die Unis der Hellwegschiene, von Dortmund über Bochum bis Essen und Duisburg, zu groß“, sagt er.
Wichtiger sei ihm die Anbindung ans Münsterland: „Das können wir von hier aus viel besser erschließen“, so der Präsident.