Gelsenkirchen-Beckhausen. Eine Mutter fürchtet, dass sich das „Lernchaos“ an der Schule ihres Kindes im Corona-Herbst wiederholt. Warum die Stadt ihr teils Recht gibt.

Auch wenn die Sommerferien vor der Tür stehen: Angesichts deutlich steigender Coronazahlen sehen viele Eltern von Schulkindern dem Herbst mit Sorge entgegen. Eine junge Mutter aus Beckhausen schlägt schon jetzt Alarm angesichts der Erfahrungen, die ihr Kind als Teil einer „Randgruppe“ an der Grundschule am Lanferbach, Standort Gecksheide, gemacht hat.

Nicht genesen und nicht geimpft, auch weil die Ständige Impfkommission (Stiko) eine Impfung zu diesem Zeitpunkt für die Altersgruppe noch nicht empfohlen hatte: Mit diesem „Makel“ wurde ihr Kind von Januar bis zu den Osterferien im April mehrfach für jeweils bis zu einer Woche in häusliche Quarantäne geschickt – obwohl es nicht infiziert war.

Gelsenkirchenerin: Wer nicht geimpft oder genesen war, musste in Quarantäne

„Die ebenfalls nicht angesteckten Mitschülerinnen und Mitschüler hingegen, die geimpft oder genesen waren, durften am Unterricht teilnehmen“, ärgert sich die Frau noch immer maßlos über die Ungleichbehandlung und fragt frustriert: „Hat mein Kind denn nicht das Recht auf Bildung?“ [Lesen Sie auch: So teuer ist ein passender und guter Ranzen]

Die Lehrenden hätten in dieser Zeit lediglich unzählige online abrufbare Arbeitsblätter eingestellt, die sie ausdrucken und ihrem Kind zur Bearbeitung vorlegen musste, „während den anderen Kindern der Stoff didaktisch korrekt vermittelt wurde.“ Am Ende war sie es, die einsprang und Fragen zu klären versuchte, immer und immer wieder. Eine echte Herausforderung für die berufstätige Mutter „und erst recht für mein Kind, das mehrfach für jeweils rund eine Woche auf sich allein gestellt war.“

Mutter aus Gelsenkirchen kritisiert, dass es keine Videokonferenzen gab

Videokonferenzen habe es trotz entsprechender technischer Ausstattung nicht einmal gegeben. „Es hieß von der Schulleitung immer nur, dass das IT-Netz das nicht hergebe“, so die Mutter, deren Name der Redaktion bekannt ist, die aber aus Sorge vor Repressalien gegenüber ihrem Kind anonym bleiben möchte.

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Auf Nachfrage der Redaktion bestätigte Schulleiterin Zeynep Özkan-Altunisik, „dass bei mehr als drei Corona-Infektionen in einer Klasse“ die ungeimpften, nicht genesenen Kindern ins Homeschooling geschickt worden seien, „so, wie es das Gesundheitsamt vorsieht.“ Videokonferenzen seien aus zeitlichen und personellen Gründen nicht möglich gewesen, „außerdem funktioniert die IT nicht einwandfrei.“

Stadt Gelsenkirchen: Internetanschluss ist nicht zu schlecht für Videokonferenzen

Letzteres bestreitet die Verwaltung auf Nachfrage: „Die Grundschule Gecksheide ist wie alle anderen Schulen auch an unser Glasfasernetz angeschlossen und verfügt über eine Gigabitanbindung. Es trifft also nicht zu, dass der Internetanschluss zu schlecht für Videokonferenzen ist“, so Stadtsprecher Martin Schulmann. Seitens der Schule seien keine Störungen des Internetanschlusses gemeldet worden. Die Schule sei wie jede andere mit WLAN und Whiteboards in den Klassenräumen ausgestattet, zudem könne sie bedürftigen Schülerinnen und Schülern IPads ausleihen.

Schulamtsdirektorin Petra Bommert äußerte auf Nachfrage „Verständnis für die Sorge der Mutter“, nahm jedoch die Schulleitung in Schutz. Es habe von Januar bis April vermehrt krankheitsbedingte Ausfälle der Lehrkräfte gegeben, die Vertretungen nötig gemacht hätten.

Schulamt Gelsenkirchen: Es gab zu viele Krankheitsfälle

„Hybrid-Unterricht (also Präsenz-Unterricht im Klassenzimmer und zeitgleich Videokonferenzen für Schüler zu Hause, d. Red.) stellt (noch) keine etablierte Unterrichtsform dar, der ohne umfänglichen Aufwand umgesetzt werden kann. Aufgrund der vertretungsbedingten Ressourcenlage kombiniert mit dem deutlich erhöhten Arbeitsumfang für die Bereitstellung eines Hybrid-Unterrichts hat die Schule sich dazu entschlossen, diejenigen Kinder, die nicht geimpft oder genesen waren, mit Unterrichtsmaterial und Rückkopplungsmöglichkeiten zu den Lehrkräften zu versorgen.“

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Ob es sich damit bei der Grundschule Gecksheide in Sachen Hybrid-Unterricht um eine Ausnahme oder die Regel handelt, vermochte die Schulamtsdirektorin nicht zu sagen. Dies werde unterschiedlich gehandhabt. Aber alle Grundschulen hätten sich „auf den Weg gemacht, die ,Kultur der Digitalität’ zu etablieren.“ Unterstützt würden sie dabei durch ein fünfmal im Jahr stattfindendes Mediencafé, dessen Teilnahme zwar freiwillig, deren Frequenz aber „außerordentlich hoch“ sei.

Stadt kauft 25.000 iPads und 1800 Endgeräte für Schüler

Gelsenkirchen schöpft das Landesförderprogramm „Digitale Ausstattungsoffensive“ für Schulen voll aus: 2023 sollen 25.000 iPads für allgemeinbildende und Förderschulen angeschafft werden. So soll Schülerinnen und Schüler an einem sozial benachteiligten Standort ausgestattet werden. 12,5 Millionen Euro stehen dafür bereit – für die die Stadt erst in Vorleistung gehen muss.

Zusätzlich nutzt die Stadt das EU-Förderprogramm „React-EU“, wodurch 1800 Endgeräte für berufsbildende Schulen gekauft werden könnten. Die Fördersumme liegt hier bei rund 934.000 Euro.

Die Beckhausener Mutter kann das nicht wirklich besänftigen. Sie fürchtet, dass sich „die untragbare Situation“ im Herbst wiederholen könnte. Denn die Quarantäneverordnung des Landes, wonach ungeimpfte und nicht genesene Kinder in Teilquarantäne geschickt werden, sobald mehr als drei Schüler der Klasse infiziert sind – sie gilt auch heute noch.