Gelsenkirchen. Zuletzt wurde bei immer weniger Gelsenkirchenern der Strom abgestellt. Doch nun rückt die Erhöhung der Preise näher. Braucht es mehr Entlastung?

Da wirkte es noch, als würde die Erhöhung der Strom- und vor allem der Gaspreise beim Gelsenkirchener Grundversorger in der Ferne liegen: Im Sozialausschuss Anfang Juni waren auch Vertreter der Emscher Lippe Energie (ELE) geladen, um über das Thema Energiearmut zu sprechen. Kein Wort über die eine Woche später angekündigte Verdopplung der Gaspreise und Anpassung der Stromtarife. Wohl aber wurde von allen Seiten – ELE, Politik und Verwaltung - immer wieder betont, dass die ELE ja bislang, im Vergleich zu vielen anderen Versorgern, auf eine Erhöhung verzichtet habe.

Nun also doch die Preis-Explosion, die Sozialdezernentin Andrea Henze „mit Sorge“ auf die Folgen für die vielen armen Haushalte in Gelsenkirchen blicken lässt, wo das durchschnittliche Einkommen nur bei rund 17.000 Euro pro Kopf und die Arbeitslosenquote bei 13,4 Prozent liegt. Hinzu kommt: Auch die ohnehin knappen Finanzen der Stadt belasten die neuen Tarife, denn die Heizkosten von Hartz-IV-Empfängern werden vom Jobcenter übernommen. „Das bedeutet für den städtischen Haushalt eine Mehrbelastung, das kann man nicht verhehlen“, so Henze.

Bislang noch keine plötzliche Erhöhung der Stromsperren in Gelsenkirchen

Die Stromkosten dagegen müssen vom Hartz-IV-Regelsatz bezahlt werden. Und hier glaubt Henze, dass „die Energiepauschalen, die der Bund nun zahlen will, die höheren Kosten wohl nicht deckeln werden“. So sieht das jetzt beschlossene Entlastungspaket eine einmalige Zahlung von 200 Euro für Arbeitslosengeld-II-Empfänger vor. Der Bund sei deswegen gefordert, hier für noch mehr Entlastung zu sorgen, so Henze. Auf kommunaler Ebene werde man dagegen versuchen, mit weiteren Beratungsangeboten „noch mehr in die Prävention“ zu gehen.

Bislang allerdings – das machten die Emscher Lippe Energie (ELE) und das Jobcenter im vergangenen Sozialausschuss deutlich – hat die angespannte Situation auf dem Energiemarkt noch nicht dazu geführt, dass in mehr Gelsenkirchener Haushalten der Strom abgeschaltet werden musste. Schließlich konnte die ELE ihre Energiepreise bisher stabil halten, die Steigerung der Preise folgt erst zum 1. August. Grundsätzlich plädierte Heinz Huyeng, Chef des ELE-Forderungsmanagements, jedoch dafür, „das Thema Energiearmut von den Sperrungen zu trennen.“

„Jeder Kunde, der sich bei uns vorzeitig meldet, mit dem können wir Regelungen treffen“, betonte Huyeng im Ausschuss. „Die Kunden, die wir sperren müssen, sind diejenigen, die sich bei uns eben nicht melden, die nicht reagieren. Und die Hälfte der Kunden, die wir sperren, kommen aus dem Umkreis EU-Ost-Erweiterung. Diese Klientel fangen wir einfach nicht ein.“ Zudem sei ein großer Teil der gesperrten Kunden zwischen 20 und 40 Jahren alt.

In Gelsenkirchen gibt es laut Huyeng eine Sperrquote von 1,7 Prozent der Zähler. Allerdings gebe es auch immer wieder Kunden, bei denen mehrmals im Jahr gesperrt wird – „ganz nach der Mentalität: Der Strom kommt aus der Steckdose, die Heizung ist warm, der Rest interessiert uns nicht“, formulierte es Huyeng im Ausschuss. Manche Kunden werden also angemahnt, dann wird gesperrt, sie begleichen den offenen Betrag – und zahlen ihren Abschlag dann wieder nicht.

Sperrungen betreffen gar nicht so viele Klienten des Jobcenters Gelsenkirchen

Bei den meisten offenen Beträgen handele es sich nicht um Riesenbeträge, die Durchschnittsforderung belaufe sich auf 142,56 Euro, so Huyeng. Für einen Hartz-IV-Empfänger ist auch das viel Geld – jedoch betonte der ELE-Vertreter, dass Klienten des Jobcenters oft gar nicht in die Sperr-Situation kommen würden, „weil sie wissen, wo sie Hilfe kriegen“. Es gebe hier ein „sehr geregeltes Verfahren mit dem Jobcenter.“

Sozialdezernentin Andrea Henze zum Schutz vor Energiearmut: „Wir wollen die Sommermonate nutzen, um Möglichkeiten zur weiteren Unterstützung auszuloten.“
Sozialdezernentin Andrea Henze zum Schutz vor Energiearmut: „Wir wollen die Sommermonate nutzen, um Möglichkeiten zur weiteren Unterstützung auszuloten.“ © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Das bestätigte Anke Schürmann-Rupp, Geschäftsführerin des Jobcenters, in deren Augen aktuell jedoch möglicherweise nur eine verdächtige Ruhe herrscht. Man verzeichne aktuell zwar noch nicht vermehrt Vorsprachen zum Thema Energiesperrungen, „aber sicherlich wird das noch kommen, im Laufe dieses Jahres oder Anfang nächsten Jahres.“ Unter den relevanten Akteuren der Stadt – ELE, Jobcenter, Verbraucherzentrale, das Sozialamt und Wohlfahrtsverbände – wolle man jedoch Lösungen finden, falls es zu weiteren Preissteigerungen kommt.

Drohende Energiearmut: Stadt Gelsenkirchen will über Sommer Möglichkeiten zur weiteren Unterstützung ausloten

Diese Akteure sitzen auch regelmäßig zusammen am „Runden Tisch gegen Energiearmut“, der bereits 2013 ins Leben gerufen wurde. Sein Ziel, die Zahl der Stromsperrungen in Gelsenkirchen zu verringern, konnte das Format offenbar erreichen: So wurden vor Einführung des „Runden Tisches“ im Jahre 2012 noch 12.000 Sperrungen in Gelsenkirchen gezählt, heute sind es nach Angaben der Beteiligten etwa 4000 Sperrungen.

Beratungen durch die VBZ

Die Verbraucherzentrale ist die einzige Anlaufstelle für Verbraucher in Gelsenkirchen, die sowohl eine Beratung, als auch eine Rechtsvertretung bei Energiearmut anbietet.

Einerseits wird dabei eine Lösung für die vorhandenen Energieschulden erarbeitet, andererseits werden Unterstützungsmöglichkeiten aufgezeigt, um diese zukünftig zu verhindern. Dabei geht es zum Beispiel um Budgetberatung, damit die Verbraucher ein Gefühl für ihre Ein- und Ausgaben erhalten. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die regelmäßige Kontrolle des Energieverbrauchs.

Die Budget- und Rechtsberatung ist mittlerweile ein fester Bestandteil des Beratungsangebots. Der Durchschnitt der Beratungen liegt nach Angaben der Stadt jährlich bei circa 132 Fällen. Aktuell könne von einem leichten Anstieg gesprochen werden.

Jener runde Tisch soll laut Sozialdezernentin Andrea Henze nun auch noch intensiver genutzt werden, um weitere Möglichkeiten zum Schutz vor Energiearmut in Gelsenkirchen zu diskutieren. „Wir wollen die Sommermonate nutzen, um hier Möglichkeiten auszuloten“, sagte die Stadträtin auf Nachfrage. Zumindest diskutiert werden soll dabei auch die Idee eines Notfallfonds für Härtefälle zur Verhinderung von Stromsperrungen, wie ihn die Gelsenkirchener Linksfraktion immer wieder vorgeschlagen hat.