Gelsenkirchen . NRW und Gelsenkirchen hat gewählt. Großer Jubel bei den Grünen, herbe Enttäuschung bei der FDP, verhaltene Freude bei der SPD. Die Reaktionen.

„Gelsenkirchen ist Düsseldorf!“: Schon nach den ersten Prognosen um 18 Uhr ist es klar – die 27-jährige Studentin Ilayda Bostancieri wird die erste Gelsenkirchener Grünen-Abgeordnete im Landtag. „Danke an alle, die für mich diesen ganzen Scheiß gemacht haben“, fällt es ihr nur noch aus dem strahlenden Mund, als sie ihren Parteifreunden danken will – und kämpft mit den Tränen. Sowohl landesweit als auch in Gelsenkirchen, wo die Grünen 2017 noch abgeschlagen hinter AfD, FDP und Linkspartei lagen, konnte die Partei ihr Ergebnis verdreifachen.

„Wir haben uns bemüht, sichtbar zu sein“, erklärt sich Bostancieri den Wahlerfolg. Aber natürlich sei es auch der Landes- und Bundestrend gewesen – die Zufriedenheit mit den Ministern Robert Habeck und Annalena Baerbock, die Energiepolitik im Land, bei der die Grünen auf „Unabhängigkeit von Diktatoren“ durch erneuerbare Energien gepocht hätten.

Schwarz-Grün böte Konfliktpotenzial in Innenpolitik für Gelsenkirchenerin Bostancieri

Landtagskandidatin Ilayda Bostancieri (Grüne, links sitzend) freut sich über das Wahlergebnis der Bündnisgrünen. Sie zieht als erste Gelsenkirchener Grünen-Abgeordnete in den Landtag ein.
Landtagskandidatin Ilayda Bostancieri (Grüne, links sitzend) freut sich über das Wahlergebnis der Bündnisgrünen. Sie zieht als erste Gelsenkirchener Grünen-Abgeordnete in den Landtag ein. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Dass es rein rechnerisch nun am ehesten auf eine schwarz-grüne Koalition hinausläuft, könnte allerdings gerade für eine Politikerin wie Bostancieri zu einem Problem werden. Die junge, fließend gendernde Frau steht für die Themen der Grünen Jugend, setzt sich gegen verdachtsunabhängige Kontrollen bei der Polizei oder für ein Antidiskriminierungsgesetz ein. „Die CDU-Politik der letzten fünf Jahre habe ich stark kritisiert“, sagt sie. Dennoch sei die Union nun natürlich ein potenzieller Partner. „Für Gelsenkirchen wäre es aber sehr schön, wenn wir drei demokratische Landtagsabgeordnete in der Regierung hätten.“ Heißt: Bostancieri hofft, dass sie sich künftig mit Sebastian Watermeier und Christin Siebel von der SPD in einer Koalition wiederfinden wird.

Bei den Sozialdemokraten scheint man da jedoch nicht so ganz dran zu glauben. Die obligatorische Currywurst gibt natürlich es am Abend im Hans-Sachs-Haus. Bei der CDU in der vierten Etage dürfte sie besser geschmeckt haben als bei den Sozialdemokraten im Ratssaal.

SPD-Kandidatin Siebel bekommt rund 42 Prozent der Erststimmen

Der Gelsenkirchener Landtagskandidat Sebastian Watermeier (SPD, rechts) blickt mit gemischten Gefühlen auf die Hochrechnungen. Er hat es wieder in den Landtag geschafft, die SPD hat aber deutliche Verluste hinnehmen müssen.
Der Gelsenkirchener Landtagskandidat Sebastian Watermeier (SPD, rechts) blickt mit gemischten Gefühlen auf die Hochrechnungen. Er hat es wieder in den Landtag geschafft, die SPD hat aber deutliche Verluste hinnehmen müssen. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Die Stimmung ist hier eher gedrückt. Anders als im Wahlkampf, den die Genossen trotz Corona-Beschränkungen zwar schwieriger, aber „ambitioniert und erfolgreich“ erlebt haben. Sebastian Watermeier, frisch wiedergewählt, nimmt verhalten Glückwünsche entgegen. Christin Siebel, mit positivem Coronatest außer Gefecht und nun neu im Landtag, „ist stolz“, dass ihr so viele Menschen in Gelsenkirchen und Gladbeck das Vertrauen geschenkt haben. „Das freut mich riesig“, sagt sie am Telefon. Rund 42 Prozent der Erststimmen hat sie bekommen. „Und auch bei den Zweitstimmen sind wir deutlich besser als auf Landesebene“, hält Christin Siebel fest.

„Wir haben uns in Gelsenkirchen verbessert. Und das ist auch gut so, bilanziert CDU-Kandidat Markus Karl. Ex-Ob, Ex-Staatssekretär und Ex-Parteichef Oliver Wittke registriert genüsslich das Abschneiden, benennt aber auch das Dilemma“ der CDU vor Ort: „Immer, wenn wir eine Wahl gewinnen, haben wir keinen Gelsenkirchener Kandidaten, der davon profitiert.“

Die FDP und der Gebauer-Faktor

Gedrückt war die Stimmung der Liberalen, die in zwei verschiedenen Lokalen zusammenkamen, noch bevor es die erste Prognose auf den Bildschirm schaffte. Ihnen schwante offenbar nichts Gutes und sie sollten recht behalten. Das Zittern um den Einzug ins Landesparlament begann, als der FDP kurz nach 18 Uhr magere 5,5 Prozent vorausgesagt wurden und danach die NRW-Zahlen ein Auf und Ab um rund 0,5 Prozentpunkte vollführten. Ein Absturz um sieben Prozent im Vergleich zu 2017.

Freuen sich über die Zugewinne der CDU (v. li.): Kreisverbandschef Sascha Kurth (l.) und die Direktkandidaten Markus Karl und Michael Schmitt.
Freuen sich über die Zugewinne der CDU (v. li.): Kreisverbandschef Sascha Kurth (l.) und die Direktkandidaten Markus Karl und Michael Schmitt. © Foto: Stender

Unterschiedlich die Ursachenforschung bei den liberalen Kandidaten Isabell Scharfenstein (Süden) und Robert Hundt (Norden). Während Scharfenstein die Corona-Politik der Landesregierung und insbesondere die von Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) als negativen Einflussfaktor benennt, sieht Hundt den Grund der Wählerwanderung Richtung Union, dass viele Wähler „Rot-Grün im Land verhindern wollten“. Den immensen Zuwachs bei den Bündnisgrünen verortet Hundt unter anderem in der Ukraine- und Energie-Politik im Bund. Auf lokaler Ebene lag Hundt mit einem Prozentpunkt vor Scharfenstein. Im Norden der Stadt können die Liberalen traditionell mehr Stimmen auf sich vereinen.

Gelsenkirchener AfD-Politikerin Zacharias: Grüne sollen sich ruhig mehr verausgaben

Freude über das gute Abschneiden der Grünen gibt es überraschenderweise auch bei der AfD. „Ich freue mich, wenn die Grünen nun an der Regierung beteiligt sind“, sagt Enxhi Seli-Zacharias, die Gelsenkirchen aufgrund ihres guten Listenplatzes künftig auch in Düsseldorf vertreten darf. „Die Grünen sollen sich ruhig mehr verausgaben. Für die AfD kann das von Vorteil sein.“

Die Süd-Kandidatin der rechten Partei hat die Hochrechnungen in Düsseldorf verfolgt. Dort arbeitet die junge Politikwissenschaftlerin seit Jahren dem Abgeordneten Helmut Seifen zu. „Ich kenne den Betrieb hier schon lange“, sagt sie – nicht besonders in Feierlaune. Schließlich hat es ihre Partei nur knapp in den Landtag geschafft. Haben die Leute genug vom Politstil der AfD? „Wir haben einfach andere Konkurrenz bekommen“, sagt Seli-Zacharias und meint damit etwa die Partei „die Basis“. Und: „Wir müssen uns viel stärker um die Nichtwähler kümmern. Die Wahlbeteiligung ist erschreckend.“