Düsseldorf. CDU und Grüne sind die Gewinner der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Doch am Wahlabend dominiert eine Frage: Wer regiert zusammen?
Fast könnte es ein lockeres Sommerfest sein, das hier stattfindet. Pavillons spenden Schatten im Garten der CDU-Landesgeschäftsstelle der CDU in Düsseldorf, die Getränke sind kühl, auf den Stehtischen lächelt von Bierdeckeln der Spitzenkandidat: Hendrik Wüst, CDU-Chef und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Anführer, ausweislich des Bierdeckels, von #TeamWüst.
Aber entspannt ist hier niemand, als am Sonntagabend die Uhr auf 18 Uhr umschlägt und die ersten Prognosen auf den Bildschirmen erscheinen. Viel zu knapp war dafür das Rennen zwischen CDU und SPD. Viel zu viel steht an diesem Abend bei der Landtagswahl in NRW.
Umso größer, umso befreiter ist der Jubel, als die Zahlen kommen. Ein eindeutiges Ergebnis für die CDU in NRW. Ein Triumph, der auch hier im Garten viele überrascht. Bis zuletzt hatten CDU und SPD sind ein Kopf-an-Kopf-Rennen geliefert, und es galt nicht als ausgemacht, dass Wüst als Amtsinhaber, die CDU als Regierungspartei den entscheidenden Vorsprung ins Ziel retten würden. Doch dieses Ergebnis hat seine Aussichten, das Land weiterregieren zu dürfen, erheblich verbessert.
NRW-Landtagswahl: Der Ball liegt im Feld von Wüst
Der 46-jährige Wüst hatte wenig Zeit, sich warmzulaufen für diese Wahl. Erst im Herbst war er vom Verkehrsminister der schwarz-gelben Koalition zum Ministerpräsidenten geworden, als Nachfolger Armin Laschets. Nur sieben Monate blieben ihm, um ein Bild aufzubauen von sich als kümmerndem Landesvater. Nicht genug für einen echten Amtsbonus, wie ihn Parteikollege Daniel Günther vor einer Woche mit in die Wahl in Schleswig-Holstein gebracht hatte.
Für ihn ist dieses Ergebnis auch ein persönlicher Triumph: Sollte er wieder Ministerpräsident werden, dann zum ersten Mal, weil ein Großteil der rund 13 Millionen Wahlberechtigten das wollte.
Landtagswahl in NRW hat Auswirkungen auf den Bund
NRW ist längst das, was man in den USA einen Swing State nennen würde. Im ehemaligen SPD-Herzland an Rhein und Ruhr wurde über die Jahre politisch einiges ausprobiert, in den letzten 20 Jahren wechselten CDU und SPD sich ab in der Düsseldorfer Staatskanzlei.
Das hat Auswirkungen auch auf den Bund. Denn wer im bevölkerungsreichsten Land der Republik regiert, prägt die Politik weit darüber hinaus. Wer bestehen will in Nordrhein-Westfalen, mit seinen sozialdemokratisch geprägten Industrieregionen, mit seinen konservativen ländlichen Regionen und grünen Groß- und Universitätsstädten, der muss einen Ton anschlagen, der fast alle anspricht. Auch deshalb gilt die Wahl im Westen als „kleine Bundestagswahl“.
NRW: SPD wird kaum den Ministerpräsidenten stellen
Die Wahlergebnisse aus dem Saarland und Schleswig-Holstein konnte man in den Zentralen der jeweils unterlegenen Parteien noch wegerklären als regionale Phänomene. Doch die Abstimmung in NRW ist mindestens ebenso sehr Stimmungstest für den Bund wie eine Entscheidung über Schulpolitik und Straßenbau. Auch deshalb ist die Erleichterung hier an diesem Abend groß.
Umfragen hatten im Vorfeld CDU und SPD beide bei etwa 30 Prozent gesehen – und damit eine Reihe von möglichen Koalitionsoptionen in Zweier- und Dreierbündnissen. Doch kurz nach 18 Uhr scheint es unwahrscheinlich, dass die SPD mit ihrem historisch schlechten Ergebnis hier einen Ministerpräsidenten stellen kann. Der Ball liegt klar bei Wüst.
Mit dem bisherigen Partner FDP allerdings kann der nicht weiterregieren, die Liberalen schaffen nach schweren Verlusten nur knapp den Wiedereinzug in den Landtag. Möglich ist stattdessen eine Koalition von CDU und Grünen. Es wäre eine Premiere in NRW.
Die Grünen sind der andere große Gewinner dieser Wahl, haben ihr Ergebnis von 2017 fast verdreifachen können. Und obwohl der Landesverband traditionell eher links geprägt ist und in der Vergangenheit schon zweimal mit der SPD regiert hat, hatte Spitzenkandidatin Mona Neubaur sich im Wahlkampf ganz entschieden nicht festlegen wollen auf Wunschpartner nach der Wahl. Eine Zweierkonstellation allerdings wäre der Partei wohl lieber als ein Dreierbündnis. Lesen Sie auch: Wahl in NRW: Die Ampel-Koalition tut nur den Grünen gut
NRW-Ministerpräsident: Wüst arbeitete früh an seiner Politik-Karriere
Vertreter der SPD bemühten sich am frühen Sonntagabend, diese Option nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, und betonten ihre Bereitschaft zu Gesprächen, obwohl die Sozialdemokraten historisch schlecht abschnitten. Auf der Wahlparty empfingen die Sozialdemokraten ihren Spitzenkandidat Thomas Kutschaty mit Sprechchören und Applaus. Immerhin, so erinnerte man hier fast ein wenig trotzig, hat man im Vergleich zu Umfragen von vor gut einem Jahr zulegt.
Zudem hätte eine Ampel-Regierung eine Mehrheit, und falls die FDP im Laufe des Abends doch noch unter fünf Prozent sinken würde, wäre sogar Rot-Grün eine Option. Den Traum vom Regieren wollten auch nach den ersten Prognosen viele nicht aufgeben. Und die Grünen wollten ihn zumindest an diesem Abend nicht zerstören: Man werde ausloten, in welcher Koalition man die meisten grünen Inhalte umsetzen könne, sagte die politische Bundesgeschäftsführerin Emily Büning.
Das könnte auch Schwarz-Grün sein, das hatte Wüst in den vergangenen Monaten immer wieder signalisiert. Kohleausstieg 2030? Machen, fand der CDU-Mann, trotz der Energiekrise durch Putins Krieg. NRW als grüne Industrieregion? Ja, bitte.
NRW-Wahl: Heute feiert die CDU erstmal ihren Erfolg
So anschlussfähig hatte Wüst nicht immer geklungen. Als konservative Nachwuchshoffnung machte er einst Vorschläge wie den, dass Arbeitslose doch auf Spielplätzen Hundekot und benutzte Spritzen auflesen könnten. Der Wüst von heute würde eine solche Idee wohl zurückweisen. Er präsentiert sich heute deutlich weniger scharf, fast staatstragend. Man kann das, je nach Perspektive, lernfähig nennen oder opportunistisch. Wüst selbst spricht von einem Reifeprozess.
Die inhaltlichen Hürden auf dem Weg zu einem schwarz-grünen Bündnis sind nicht hoch. Die Grünen wollen das Wahlalter auf 16 senken, die CDU lehnt das ab. Dafür halten die Konservativen an einer Abstandsregel für Windräder fest, für die Grünen dagegen zählt vor allem, so schnell wie möglich Anlagen aufzustellen.
Doch diese Erwägungen sind am Abend in der CDU-Landesgeschäftsstelle weit weg. Hier feiern sie ihren Wahlsieger und ein neues Schwergewicht der Partei. „Die CDU in NRW hat diese Wahl klar gewonnen“, erklärt Hendrik Wüst, als er nach den Prognosen vor die CDU-Anhängerinnen und -Anhänger in der Parteizentrale tritt. Dann muss er erst einmal eine längere Pause machen. Es dauert, bis der Applaus verebbt ist.
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