Gelsenkirchen. Eine Gruppe von Migrantinnen zeigt ein ungewohnt idyllisches Bild vom Gelsenkirchener Süden. Aber auch sie haben schlimme Erfahrungen gemacht.

  • Die Caritas hat Gelsenkirchenerinnen mit ausländischen Wurzeln im Rahmen der internationalen Wochen gegen Rassismus gefragt: „Wie fühle ich mich an meinem Wohnort?“
  • Die Teilnehmerinnen sind größtenteils sehr zufrieden mit ihrer Nachbarschaft im Gelsenkirchener Süden.
  • Aber auch sie haben bittere Konflikte und Ausgrenzung in ihrer direkten Nachbarschaft erlebt, allein aufgrund ihrer türkischen Wurzeln.

Wenn unsere Redaktion in den vergangenen Monaten mit Anwohnern ins Gespräch über ihre Nachbarschaft gekommen ist, dann waren die Schilderungen meist problembehaftet – gerade im Gelsenkirchener Süden, vor allem in Ückendorf und der Neustadt. Immer wieder wird berichtet von Lärm, Müll und Belästigung. Es herrsche Unwohlsein statt netter Nachbarschaft. Lesen Sie zum Beispiel:Leben in Ückendorf: „Meine Tochter geht da nicht mehr her

Aber es geht auch anders. „Ich bin sehr zufrieden, dass ich in Ückendorf wohne“, „Wenn ich in anderen Städten bin, vermisse ich Gelsenkirchen sofort“, „Meine Nachbarschaft ist toll“: Was eine Gruppe von Frauen mit Migrationshintergrund zur Gesprächsrunde „Wie fühle ich mich an meinem Wohnort?“ im Rahmen der Wochen gegen Rassismus erzählte, klang mehr nach einem Wunschort als nach einem Brennpunkt. „Gelsenkirchen“, sagte eine 52-jährige Teilnehmerin mit einem Augenzwinkern, „ist eben gut für Ausländer.“

Rassismus im Feldmarker Viertel. Mietparteien warnten vor den „neuen Fremden“

Doch nur über Gelsenkirchen geschwärmt werden sollte hier nicht, es sollte auch um die Probleme in der Nachbarschaft gehen, um die Frage, ob auch die anwesenden sechs Frauen im Alter zwischen 35 und 68 Jahren, fünf mit türkischen, eine mit kasachischen Wurzeln, Erfahrungen mit Ausgrenzung und Rassismus gemacht haben. Und ja, das haben sie – sehr bittere sogar.

Kurz nachdem sie umgezogen war, sei im neuen Mehrfamilienhaus überall ein Aushang angebracht worden, erzählte eine 53-jährige Teilnehmerin, die jetzt in der Feldmark lebt. „Passt auf! Fremde Leute sind eingezogen“, sei darauf sinngemäß gewarnt worden, so die gebürtige Türkin.

„Das tut echt weh, so etwas zu hören“, sagte die 61-Jährige gegenüber, die selbst Ähnliches erlebt hat. Als sie in eine neue Wohnung gezogen war, seien die anderen Mietparteien – ausschließlich Deutsche – ebenfalls sehr skeptisch gewesen. „Die waren total dagegen, dass eine Türkin einzieht. Das fand ich grausam. Als ich sie dann fragte, was sie gegen mich haben, da sagten sie nur: Wir haben schon viel gesehen.“

Anfeindung in der Nachbarschaft Gelsenkirchener Frauen haben nicht lockergelassen

Nun könnte man verstehen, wenn die beiden Damen sich versteckt oder die anderen Parteien im Haus gemieden hätten. Aber sie haben lieber mit Freundlichkeit gekontert. „Wir machen negativ zu positiv – mit unserem türkischen Tee und unserem Essen“, sagte die 53-Jährige mit einem Lachen.

„Ich habe nie aufgegeben, immer gefragt, wie es geht, Kaffee gekocht für das ganze Haus, Kuchen vorbeigebracht.“ Und irgendwann, nach über einem Jahr, sei der Damm dann plötzlich gebrochen. Jetzt habe sie mit ihrer Nachbarin bereits zusammen Weihnachten gefeiert.

Ähnliches schildert die 61-Jährige. Auch sie habe tief bohren müssen, in ihrer Nachbarschaft nach ihrem Umzug immer wieder das Gespräch suchen und Hilfe anbieten müssen. „Irgendwann waren sie freundlicher, aber sagten: Wir sind froh, dass du kein Kopftuch trägst. Sowas geht doch niemandem etwas an!“ Aber jetzt, sagt sie, verstehe man sich gut. „Jetzt grüßen wir uns alle, trinken gemeinsam Tee in meinem Garten.“

Bis heute Vorurteile gegenüber Türken in Gelsenkirchen

Dass es immer wieder Skepsis und Vorurteile gibt, auch gegenüber den Türken, die schon seit Generationen hier in Gelsenkirchen leben, dass die Ausländer oft als der Buhmann dastehen, das führt die Gruppe auch auf die gesamte Unzufriedenheit in Gelsenkirchen zurück. „Viele Leute sagen, früher war alles besser. Und ja, wir hatten viel Arbeit, viele Geschäfte; heute haben wir viele Leute mit Hartz-IV“, sagt die 52-Jährige mit den blonden lockigen Haaren und ergänzt: Den Wohlstand von damals, den habe man ja zusammen erwirtschaftet – die Türken und die Deutschen. Also sitze man heute auch im selben Boot, was die Probleme angeht. Lesen Sie auch:Deutsch-Türkisches Abkommen: „Opa hat das alles ermöglicht“

Sie selber spüre von den anhaltenden Vorurteilen in ihrer Nachbarschaft aber nichts, sagt die 52-Jährige. „Ich habe keine negativen Erfahrungen gemacht. Ich kann in unserem Haus bei jedem jederzeit schellen, auch bei den Deutschen – und dann hilft man mir, mein Wasser in die Wohnung zu schleppen.“ Die simple, aber eben auch richtige Botschaft des Tages bringt sie auf den Punkt: „Wenn man sich kennt, ist es eben anders, als wenn man sich nicht kennt.“